Die große Ballnacht.

[36] Es gibt keine Exklusivität mehr! Die Pforte zu den öffentlichen Bällen hat sich allen geöffnet – ein Nadelöhr, durch das arm und reich ohne Unterschied von Rang und Person in das Paradies der Freude schreitet. Als Erzengel Gabriel mit dem feurigen Schwert fungiert der galonierte Portier, fangschnürebehängt, welcher die zum Festestaumel Berufenen am – »schwarzen Abendanzug« erkennt. Ein »laisser-passer«, typisch für unsere Zeit. Neben dem nötigen Obolus ist das Dreß einzige Voraussetzung, um für eine Nacht – meistens weniger, selten mehr – selig zu werden!

Warum das Auflehnen gegen die Kleiderordnung? Frack, Smoking zu teuer? Gewiß – tanzen möchte jeder, kann jeder sowieso an ungezählten Orten. Aber zur glanzvollen Ballnacht gehört nun einmal der Festanzug wie die Uniform zum Militär. Wer auf Teilnahme bei so etwas aus bestimmten Gründen gelegentlich doch nicht verzichten darf, entlehne sich lieber einen Smoking – es ist wirklich keine Schande.

So unhygienisch und in flatterndem Zustand unschön die Frackschöße, so unbequem und empfindlich die erhitzenden geplätteten Hemdpanzer auch sind – unsere Epoche hat beides fest akzeptiert und wird voraussichtlich nicht so bald davon abgehen.

Der Ruf nach einem ästhetisch vollwertigen, der Farben nicht entratenden Abendanzug des Herrn nach der Art der Schöpfungen vergangener Jahrhunderte mit Escarpins und anderen solchen Leckereien wird Zukunftsfanfare bleiben, wenn auch hierdurch sicherlich ein würdiges Pendant zu leuchtenden, rauschenden Gewändern um schlanke Frauenkörper geschaffen würde.

Ein einziges Abweichen von der strengen Regel mag die allzu Unzufriedenen trösten – in südlichen Zonen, ferner bei ganz zwanglosen Tanzabenden, beim Ballfest im Klubheim in heißer Sommernacht ist Anlegen des weißseidenen Faltenhemdes oder der ebenfalls weichen glatten Waschseide (– hierzu halbsteifer Umlegekragen –) zum Smoking mit schwarzem Querbinder gestattet.

Alles übrige bleibt: tabu.
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Die große Ballnacht

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 36-38.
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