Duell der Zungen.

[62] Sie: Ganz nett – ganz lehrreich – ganz passabel: aber nichts Prickelndes, Verführerisches, Anregendes, Pikantes –


Duell der Zungen

Er: Ihre Ungeduld verrät Interesse nach »mehr« –

Sie: Langweilen Sie mich nicht mit philosophischen Reden und Erklärungen, der »umhüllte Adam« liegt hinter uns, wir spitzen uns auf den dritten Akt, der bekanntlich Stärke oder Schwäche eines Werkes enthüllen soll ...

Er: Es handelt sich nur um Sekunden, dann dürfen Sie sogleich kritisieren – lassen Sie wenigstens den geplagten Schauspielern Zeit, sich zur Folge paradiesischer Freuden in Stimmung zu bringen –

Sie (interessiert näherrückend): »Paradiesische Freuden« höre ich gern, bereiten Sie mich ein wenig vor, ich hoffe, daß ich alles verstehen werde –

Er: Das setze ich sowieso voraus, denn mein Fleisch ist zwar willig, aber mein Geist ist schwach –

Sie: Zuerst kommt bekanntlich der »Geist« im Urtext ...

Er: Verzeihung, daß ich widersprechen muß, bei uns doch wohl: das Fleisch –! Der Mittelakt behandelt dieses Thema sicher in ausgiebigster Weise!

Sie: Wörtlich oder bildlich? – ich fürchte nur, Sie nehmen den Mund ein wenig zu voll, verleiten zu falschen Hoffnungen oder verdorbenen Mägen –

Er: Kein Meister ist vom Himmel gefallen, schöne Nachbarin, auch der Kochlöffel kann zum Zepter werden, der Junggeselle am Küchenherd zum Herrscher, der nicht nur eine Lippe, nein, der auch einen verbrannten Mund riskieren muß, wenn er auf der ganzen Linie siegreich bleiben will –

Sie: Tun Sie nicht so, solange es nur eine Lippe ist ...

(Die Lampen verlöschen, der dritte Akt beginnt)
[63]

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 62-64.
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