Rollende Kugeln.

[117] Kinder spielen mit blitzenden Glasperlen, gepreßten Kristallen und glänzenden Ringen – etwas von dieser Sucht ist dem reisen Manne verblieben. Ob aus feingeädertem Elfenbein oder gedrehtem Stahl, Lackholz oder steinhartem Edelgummi – immer fesselt das Ungewisse des polierten Runds. Jeder Mann hat irgendeine stille Liebe zur Kugel, zu der des Spiels, die so oft zum tödlichen Ernst wird.

Sich im Zaum halten können, ist oberstes Gesetz. Auch am grünen Tisch muß der Gentleman Haltung bewahren und Vernunft walten lassen. Nicht einmal flehende Blicke aus großen Augen dürfen ihn zur gänzlichen Unüberlegtheit verleiten. Doch es gehört nicht nur zum guten Ton, nein, zur hochwichtigen Ausrüstung des Mannes, der Erfolg haben will, daß er auch als Nichtspieler Bakkarat und »trente et quarante«, »Boule« und »chemin« wohl zu unterscheiden weiß, und daß er beraten kann und, wenn nötig, einmal als outsider mittun.

Das Jeu hat auch seine harmlosen Formen, wo es sich um ein geistiges Training, einen Wettbewerb von Kombinationsgabe und Konzentration handelt, wie beim Bridge. Kartenverächter und Ignoranten des »atout« sollten sich lieber darüber belehren lassen, welch hervorragendes gesellschaftliches Bindemittel ihnen durch ihre Trägheit oder Unkenntnis abgeht. Regeln des Poker und Rommé, Ecarté und Bridge in den Hauptmerkmalen parat zu haben, ist eigentlich keine unbillige Forderung an einen »in allen Sätteln gerechten« modernen jungen Mann. Wie oft kommt es vor, daß sich einige Partien improvisieren und man dann als störendes Element am Katzentischchen sitzen muß. Bedenkt, welche Genüsse entgehen können – wie nett und vielversprechend es ist, als Kiebitz neben oder hinter einer bezaubernden Frau das gewagte Hin und Her zu verfolgen, den eigenen Rat in die Wagschale zu werfen und trotzdem aus dem Spiel zu bleiben, um dort einzugreifen, wo die höchsten Trümpfe winken.

A propos: Kiebitz – merkst du, daß der Spieler, den du betreust, von Fortuna im Stich gelassen wird, mach dich schleunigst aus dem Staube und nicht durch Hartnäckigkeit unbeliebt. Auch ist es verkehrt, die Frau des Hauses mitten in einem kontrierten Solo darauf aufmerksam zu machen, daß sie die schmalsten Hände und hinreißendsten Fesseln auf der Welt besitzt!

Wenn Karten anfangen, von selbst zu knallen, wenn Bierseidel oder Bowlengläser in bedenkliche Nähe der jeweiligen Coeurdame rücken, haben die Frauen nicht mehr von der Partie zu sein. Wenn schon Dauerspiel des Skats oder Tarocks, dann richtet es auch so ein, daß es an einem Herrenabend stattfindet. Die Bridgepartnerin deiner Gattin behandle aber mit der untertänigsten Liebenswürdigkeit und zeige dich als hilfreicher Hausherr,[117] denn in diesem Falle heißt es nicht: »Was dem einen recht ist, ist dem andern billig!«

Ein wahrhaft Spiel der Könige ist das Schach! Laßt es euch nicht verdrießen und euch in das Reich der Türme und Bauern einführen. Eure Gedankenarbeit bleibt elastisch, wenn ihr im strengen Stil abseits des Getümmels euer Duell absolviert habt. Nicht die schlechtesten Köpfe sind die besten Schachspieler! Eine elegante Kunst, ein immer noch sehr beliebter Zeitvertreib ist der delikate Kampf auf dem glatten Brett mit den drei Zauberkugeln, genannt: Billard, und in Österreich, der Heimat dieses Sports: Karambol. Kein Zufall, daß in Fürstensitzen und Patrizierpalais, Privatvillen und führenden Hotels sehr häufig das große Cadrebrett steht. Wir sahen auch schlanke Gestalten in tiefem Dekolleté des Abenddreß sich beim Masséstoß über den olivenen Filz beugen, wie Lili d'Alvarez, die vielseitige Meisterin.

Nicht unterkriegen lassen, weder im Training des Bluffs beim »Royal flush« noch beim Einsatz der Drinks an der Platte des Bartischs, wenn der lederne Würfelbecher kreist, aber auch niemals außer acht lassen, daß Verpflichtungen aus dem Spiel einem »gentlemen agreement« gleichzusetzen sind und man auch nicht einmal im Scherz sich hinter die Entschuldigung verstecken darf: man habe es nicht so gemeint! Strenger als vieles andere im Leben richtet die Welt den Verstoß gegen die Ehrenschuld, beim Spiel gilt ein Wort – alles! Darum erst zehnmal: »Wägen, dann wagen!«


Rollende Kugeln

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 117-119.
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