Wen soll ich bloß heiraten?

[153] Teufel auch, es ist wirklich nicht leicht! Wenn man nicht, völlig über der Situation stehend, seinem ausgesprochenen Instinkt und relativ objektiven Gefühl nachzugehen den Mut hat, macht man Schemata, läßt sich zu- oder abreden, rollt man Statistiken auf, schüttelt heute besorgt den Kopf, sagt morgen skrupellos »Ja« und meint übermorgen: Vielleicht!

Dann spricht man gewichtig über die vier Kategorien der in Frage kommenden Frauen – die man in seinem Innern mit ungefährer Kennmarke versieht:


Jungfrauen.


Im allgemeinen sagt der gestrenge Mitbürger: »Unverständlich, wie man bloß ein Mädchen heiraten kann, das nicht mehr unschuldig in die Ehe kommt – bei mir – ausgeschlossen!« Der gestrenge Mitbürger vergißt aber dabei, daß ungezählte Erfahrungen bestätigen, daß die Gefahren, ein junges Mädchen zu heiraten, welches das Leben noch nicht kennt, in der Ehe erst erwacht – also noch keine Urteile hat, sich umsehen, vergleichen, Illusionen suchen wird – oft größer sind als die, eine Frau zu wählen, welche Enttäuschungen schon hinter sich hat und mit keinen falschen oder unbegründeten Hoffnungen auch als Kameradin einen Mann durchs Leben begleiten, glücklich sein und – glücklich machen kann. Andererseits ist der konservative Standpunkt des Mannes in einer so wichtigen Sache verständlich und in diesem oder jenem Fall auch ratsam. Nur bei der Einstellung der heutigen jungen Mädchen, wenn diese wirklich noch, so wie es eine alte Sitte vorschrieb, keusch und sittsam ihre zwanzig Lenze verbringen, liegt die Tendenz nahe, daß sie mit aller Gewalt »unter die Haube« kommen wollen – ein Grund, der, wenn er vom Mädchen oder deren Mutter ausgeht, ein reifliches, vorsichtiges Überlegen beim Brautschauer auslösen sollte!


Berufstätige und Künstlerinnen.


Eine Frau, die für sich selbst zu sorgen imstande ist, muß anders beurteilt werden als das junge Mädchen, welches im Hause die Vorteile der Elternobhut genießt. Die erstere hat mehr Rechte,[153] aber auch mehr Pflichten. Was bei ihr selbstverständlich ist, kann bei der Achtzehnjährigen Übertretung sein. Vielleicht sind aber gerade die berufstätigen Frauen die besten Ehegattinnen! Bei ihnen fällt der für den Mann so unendlich quälende Zweifel fort, ob er wirklich um seiner selbst willen erwählt worden war. Eine Frau, die ihr Leben allein fristen kann und keine unnötigen Rücksichten zu nehmen hat, wird sich nur dann zu einer Ehe entschließen, wenn sie den Betreffenden in der Tat schätzt und sich von einer gemeinsamen Zukunft etwas verspricht.

Anders ist es mit den Künstlerinnen. Phantasie und Abenteuerlust gaukeln leicht falsche Bilder, unrichtige Vorstellungen von Männern vor, die heute noch wie zärtliche Eroberer oder unvergleichliche Don Juans wirken, im Strudel des täglichen Lebens aber rascher als sonst verblassen und desillusionieren. Künstler und Künstlerinnen sollten sich das Heiraten jahrelang überlegen, wenn es dann noch in Frage kommt, dürfte es keine Enttäuschungen mehr geben – die ungeeignetsten Eheobjekte sind natürlich die Künstlerkollegen.


Witwen:


Frauen, die die schwerwiegendsten Erlebnisse tief in sich vergraben, und die meist nur durch die Länge der Zeit wieder Freude am Leben bekommen, bilden einen Kreis für sich. Es hängt in jedem einzelnen Fall zu sehr von den Individualitäten und der gewesenen Ehe ab, um ein verallgemeinerndes Urteil bilden und über die »Witwe« als solche sprechen zu können. Wenn sich eine Wittib überhaupt wiederzu einer Gemeinschaft mit einem Mann entschließt, eine Frau, die weder leichtfertig geartet, noch sonst allzusehr auf Äußerliches eingestellt ist, kann man einem Mann wohl zureden. Wenn auch ein altes Volkswort sagt: »Männer, die wieder heiraten, sind zu verstehen, Frauen, die wieder heiraten, sind unweiblich«, so bedeutet das, genau besehen, mehr zur Redensart erstarrter Aberglaube, denn selbst bei den


»Geschiedenen Frauen«


drückt man heutzutage ein Auge zu und beurteilt unbefangen den jeweiligen Vorgang. Wir erinnern uns ja nur zu gut, wiebesonders bei der älteren Generation »Ehen im Himmel geschlossen« wurden, wir verschließen uns nicht der Tatsache, daß sich leider viel öfters,als es vorkommen sollte, zwei Menschenkinder aus irgendwelchen von den Eltern oder Verwandten stipulierten Vernunftgründen fürs Leben zusammenketten mußten, ohne sich zu kennen, zu verstehen oder gar zu mögen – nicht selten sogar gegen besseres Wissen und Wünschen. Eine derart durch »force majeure« zum Unglücklichsein verurteilte Frau, die den Mut, sich frei zu machen, gehabt hat, trägt den Namen einer »geschiedenen Frau« zur Ehre und nicht als Makel, wie die Unbeugsamen lehren. Rechtzeitige Ehelösung verhütet mitunter Unheil und sollte in den Augen der Welt lieber anerkannt, statt mit hämischer Médisance belegt werden. Daß man vernünftigerweise die Gattung »Geschiedener«, die nur von Ehe zu Ehe und von Freiheit zu Freiheit flattern, heute diesen Typ als »stilecht« und morgen jenen als »ultramodern« halten, niemals in obige Gruppe einreihen darf, versteht sich von selbst.


Wen soll ich bloß heiraten

»Der brave Mann denkt« – so heißt es – »an sich selbst zuletzt« – aber in dem Augenblick, wo es um eine Frau geht, hat er die Verpflichtung, an sich selbst – zuerst zu denken!


Wen soll ich bloß heiraten

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 153-157.
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