Wir und das Kind.

[166] Der einzige, wirklich ernst zu nehmende Daseinszweck ist – das Kind!


Wir und das Kind

Wenn man einen Augenblick den Kopf in die Hände stützt und genau überlegt, daß unser ganzes Dasein eigentlich nichts anderes als ein verlängerter Selbstmord ist, daß wir jeden Augenblick durch irgendeine Schicksalswendung tot umfallen können, daß wir unbedingt und mit unentrinnbarer Sicherheit in nicht allzulanger Zeit, heute, morgen oder übermorgen, starr und unbeweglich unter dem sogenannten »grünen Rasen« ruhen werden, daß diejenigen Menschen, an denen wir hängen und deren Nähe wir ersehnen, eher oder später von demselben Lauf der Dinge ereilt werden und wir machtlos dabeistehen und zusehen müssen, dann erscheint uns das ganze Leben sinnlos und erschütternd traurig. Wozu sich mühen, arbeiten, ausruhen und anstrengen – wozu und für wen? Der religiöse Mensch weiß warum – aber auch selbst dieser läßt sich mitunter von der Brutalität des menschlichen Daseins unterbekommen und fragt sich wie die anderen: für wen?

Und immer wieder – für das Kind! Ebensoviel Altruismus wie Egoismus hat es zu beanspruchen. Mann wie Frau kommen sich darin in ihren Empfindungen entgegen – sie ersehnen ein Weiterleben in einem Dritten, eine Ergänzung von ihnen beiden in einer neuen Generation. Das Kind ist das Erste und das Letzte im Lauf der Weltgeschichte und das einzige, untrügliche Zeichen, daß die Liebe zwischen den beiden Geschlechtern doch noch Wunder hervorzubringen imstande ist ...[166]

Quelle:
Reznicek, Paula von / Reznicek, Burghard von: Der vollendete Adam. Stuttgart 1928, S. 166-167.
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