Gäste und Junggesellin.

[66] Hat es die Junggesellin leicht? Darf sie einladen, Freunde bei sich sehen, Feste arrangieren – ad libitum?


Gäste und Junggesellin

Die Junggesellin in unserem Sinn ist eine vollendete Dame, frei, unabhängig, tüchtig in ihrem Beruf, ladylike in ihrem Äußeren. Sie wahrt das Äußere, sie raucht nicht auf der Straße, unterstreicht nicht die Vermännlichung der Frau, hütet sich besonders, Dinge zu tun, die ein Mann ablehnen würde, brüstet sich nicht mit Freiheiten, die sie sich selber schuf.

Sie kann tun und lassen, was sie will – sie kennt ihre Linie und spielt gewandt mit allen Möglichkeiten ... sie überschreitet nicht die Grenze –, die wahre Junggesellin unserer Zeit!

Sie überschätzt nicht den Wert materieller Angelegenheiten, deren Notwendigkeit sie anerkannt, ihre Stimmung ist nicht abhängig von einem guten »hors d'œuvre« oder einem mißratenen »Omelette«. Sie ist ja kein Snob – sie freut sich, mit einfachen Mitteln Gastgeberin abwechslungsreicher, leiblicher Genüsse sein zu können – –

Abschreckende Beispiele gibt es genug. Wie entsetzlich die Feste der vorgerückten Saison! Die zusammengewürfelten »Oberen Zehntausend« bei den »routs« der Frau Kommerzienrat M. im Januar. Die Majorität der Anwesenden versucht die besten Schnittchen zu erwischen, streut mit Passion die Asche auf die Perserteppiche, wirst Bananenschalen in Vasen, streckt die Beine auf seidenumspannte Sessel und schimpft gemeinsam auf Nichtanwesende. – So sind sie alle, fast ohne Ausnahme, – ohne Stil, ohne Zusammenhang, ganz ohne Kultur.

Aber so sollen sie nicht sein, die Mittage, Tees und Abendessen! Sie sollen eine persönliche Note haben und die Eingeladenen in den Bann der Individualität ihres Gastgebers zwingen.
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Gäste und Junggesellin

Quelle:
Reznicek, Paula von: Auferstehung der Dame. Stuttgart 7[o.J.], S. 66-68.
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