Das Benehmen gegen Deine Eltern und Geschwister.

[19] Sei gegen Deine Angehörigen niemals rücksichtslos und derb; glaube nicht, Deine männliche Unabhängigkeit und Stärke hierdurch beweisen zu müssen. Trage den Ton, der etwa unter Deinen Kameraden herrscht, nicht in Dein elterliches Haus. Auch im Elternhaus hast du stets Anstand und gute Sitte zu wahren. Alle Deine guten Charaktereigenschaften kommen erst zur rechten Geltung und Wirkung, wenn der Rahmen des guten Tones sich darum schlingt.

Bezeige Deinem Vater allergrößte Ehrerbietung und Achtung. Begrüße ihn nie nachlässig, stehe auf, wenn er kommt, lasse ihn zu Deiner Rechten geben. Nimm ihm manche Bemühung oder schwere Arbeit ab. Höre Dir seine Ermahnungen stehend an; schweige, wenn er spricht, widersprich ihm selten und nur in bescheidener, ruhiger Weise. Zeige Dich ihm gegenüber nie gereizt oder übler Laune. Passe Dich seinen Eigenarten an, schone seine Schwächen. Weißt Du mehr als er, so zeige Deine größere Bildung durch besondere Rücksicht auf[19] ihn. Je älter Dein Vater wird, desto ehrfurchtsvoller behandle ihn. Stütze ihn durch Deinen jungen Arm; es gibt keinen schöneren Anblick als einen alten Vater, der am Arm des jungen, kraftstrotzenden Sohnes lehnt. Stelle ihm gern Deine Hände, Füße und Augen zur Verfügung.

Deiner Mutter bist Du doppelte Ehrerbietung schuldig! Begegne ihr, auch wenn Du allein mit ihr bist, voll zarter Rücksicht. Bitte sie höflich um alles, achte auf ihre Wünsche erfreue sie oft durch kleine Aufmerksamkeiten. Ist ihr das Rauchen unangenehm, so rauche überhaupt nicht in ihrer Gegenwart. Öffne ihr gern die Tür, laß sie die Treppe vor Dir hinab-und nach Dir hinaufsteigen. Überlasse ihr auf der Treppe das Geländer, hilf ihr in den Wagen hinein und heraus, geh ihr entgegen, reiche ihr den Arm, begleite sie mit Deinem Schirm. Kränke sie nie durch ein rücksichtsloses Wort; bedenke stets »wie klein sie Dich gesehen hat«. Sei ihr, wenn's Deine Zeit erlaubt, mit kleinen Arbeiten im Haushalt gefällig, hilf ihr schwere Lasten tragen. Ehre sie wie die feinste Dame, auch wenn sie noch so einfach in Kleidung und Sitte ist.

Schäme Dich niemals Deiner Eltern! Sei der Verheißungen des vierten Gebotes eingedenk! Laß andere von »ihrem Alten« oder »ihrer Alten« oder vom »alten Herrn« und »alter Dame« sprechen, sprich Du, wie es sich gehört, von Vater und Mutter!

Verkehre auch mit Deiner Schwester nur in den Grenzen guten Tones. Gib Deiner Schwester nie Anlaß, in den von jungen Mädchen schon so oft gehörten Seufzer einzustimmen: »So ungalant kann nur ein Bruder sein!« Schone ihre Schüchternheit, ihre mädchenhafte Empfindlichkeit; necke sie nicht zu oft. Tadle sie nie lieblos und hart, beschäme sie nicht in Gegenwart anderer. Kommandiere nicht mit ihr herum, bespöttle ihre Mädchenfreundschaften nicht. Sei stets und an jedem Ort ihr Ritter und Beschützer. Sprich achtungsvoll von ihr zu Deinen Kameraden und dulde nicht, daß man ihr die leiseste Unbill in Wort oder Tat antut. Verletze nie durch ungezogene Äußerungen ihr Zartgefühl; sei höflich und zuvorkommend gegen ihre Freundinnen. Erwirb Dir die ersten Spuren Deiner Ritterlichkeit im Verkehr mit Deiner Schwester! Rede Deine Schwester nicht nur in Deinen Briefen mit »Liebe Schwester« an, sondern nenne sie auch im täglichen Umgang so.

Sei gegen jüngere Geschwister nie hart und abweisend, sondern stets lieb und freundlich, sanft und geduldig. Sei niemals müßig. Halte keine häusliche Arbeit zu gering für Dich.[20]

Sprich nicht zu anderen von Familienangelegenheiten, stehe mit Deinen Geschwistern gleich einem festen Wall zur Ehre Deines Hauses zusammen.

Alles oben Gesagte gilt sinngemäß auch für Dein Benehmen gegen die übrigen Verwandten.

Quelle:
Roeder, Fritz: Anstandslehre für den jungen Landwirt. Berlin 21930, S. 19-21.
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