Reise des Vaters nach Amsterdam;

Zurückkunft desselben; Rückkehr nach

Tietelsen und Wiederabzug von da

[26] An der holländischen Grenze sagte mein Vater, daß er nun seinen als Metzger in Amsterdam etablierten Bruder besuchen und, wenn er eine günstige Aufnahme bei demselben fände, zu uns zurückkommen und uns dahin abholen wolle, wir möchten uns indes auf der Grenze, in der Gegend von Schwoll, verweilen.

Die schnelle Rückkehr meines Vaters von Amsterdam mit trübem Blick und hinkenden Füßen ließ uns vermuten, daß er nicht gekommen sei, um uns dahin abzuholen. Diese Meinung bestätigte sich jedoch nicht. Sein Bruder hatte zwar große Augen gemacht, als er ihn in der schlechten Witterung überraschte; aber er hatte ihm alle mögliche Beweise seiner Bruderliebe gegeben und ihm erklärt, daß er mich zu sich nehmen wolle. Er brach nur darüber in Klagen aus, daß er seine Füße auf dieser Reise erfroren hätte. Dieser Unfall nötigte uns, bis zu seiner Genesung im Wirtshause stille zu liegen, wo die wenigen Dukaten verzehrt wurden, die er von seinem Bruder erhalten hatte, um mich zu ihm zu bringen, und die zweite Reise nach Amsterdam unterblieb. Sobald er wieder gehen konnte und seine Barschaft überzählte, sagte er: »Kinder, es bleibt mir kein Mittel übrig, als nach Tietelsen zurückzukehren und zu hören, ob sich noch kein Käufer zu meiner Manufaktur gefunden hat.« Wie die Schafe dem Hirten folgten wir ihm dahin und fanden, daß Ratten und Mäuse während unsrer Abwesenheit von dem verlaßnen Paradiese Besitz genommen hatten und daß fast das ganze Wesen vom Wind und Wetter zerstört war. Da war kein Kübel, kein Faß mehr ganz, Dach und Fach zerstört, als ob der Feind daselbst gehauset hätte. Dieser Anblick ging dem Vater zu Herzen, und jammernd rief er aus: »Herr, laß mich nicht ganz verderben! Zwar bin ich nicht wert der großen[27] Güte, die du schon oft an mir getan hast, aber erbarme dich meiner!«

Durch die Nachlässigkeit seines Kompagnons, der sich seit unserm Abzuge nicht weiter um die Sache bekümmert hatte, war das Haus so in Verfall geraten, wie wir es fanden, und nun sah sich mein Vater genötigt, es dem Verkäufer wieder anzubieten, welcher sich endlich unter der Bedingung dazu verstand, daß mein Vater auf Entschädigung für alles verzichte, was er hineingewandt habe. Hiedurch erlitt mein Vater einen Verlust von einigen hundert Talern, und ärmer als jemals, ja ganz leer zogen wir von dannen ab nach Karlshafen.

Der Herr Gastwirt Kümmel schien an dem Mißgeschick meines Vaters innigen Anteil zu nehmen und riet ihm, sowohl seine in frühern Jahren erlangten tierärztlichen Kenntnisse als auch gewisse Ansprüche, die er sich im Siebenjährigen Kriege als hannöverscher Proviantkommissär auf ein eisernes Kapital von tausend Talern erworben hatte, geltend zu machen und deshalb eine Reise nach Hannover zu unternehmen.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 26-28.
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Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers