Aufenthalt bei meinen Pflegeeltern;

Beschäftigungen und Schicksale daselbst

[48] Mein Pflegevater, ein roher Natursohn, welcher von Gott und seinem Worte nicht viel wußte, war ein Bauer, im vollen Sinne des Wortes, und lebte ganz für Ackerbau und Viehzucht; seine Frau dagegen, ein gutes, regsames Weib, hielt sehr viel auf Religion und glaubte, daß Beten und Singen alles Böse aus dem Hause scheuche, weshalb ich früh, mittags und abends mit ihr beten und oft singen mußte. Fluchen und Schwören war ihr unerträglich, und das Pfeifen zur Nachtzeit hielt sie für die größte Sünde. Ungewaschen und ohne mich zuvor bekreuzigt zu haben, dürft ich früh nicht aus dem Hause treten.

Bisher hatt ich mich willkürlich mit kleinen häuslichen Arbeiten beschäftigt, nach meiner Wiedergenesung aber meinte mein Pflegevater, es wäre doch wohl nun Zeit, daß ich auch etwas mit angriff, daher mußte ich mich bequemen, Holz zu machen, ackern und eggen zu lernen, Dünger zu streuen, Holz und Laub aufladen zu helfen und dergleichen. All diese ländlichen Arbeiten wurden mir anfangs sehr sauer, nach und nach aber gewöhnt ich mich so daran, daß ich sie freiwillig für kein anderes Geschäft in der Welt vertauscht hätte.

Was mir anfangs gar nicht in den Kopf wollte, war, daß ich nach vollbrachtem Tagewerke, oder auch manchmal in den Mittagsstunden, die Ochsen und Pferde auf die Weide treiben und hüten mußte, wobei ich mein Essen in einem Schnürsack oder Kober bei mir trug.

Diese ungewohnten und oft übertriebenen Strapazen und die brennende Sonnenglut zogen mir öfters den Schlaf zu, während welchem mein Vieh gemeiniglich zu Schaden ging, wofür ich von dem Pfanner oder Flurschützen manchmal tüchtig ausgeledert wurde.

Je mehr ich leistete, desto mehr mutete mir mein Pflegevater zu, und so mußt ich mich endlich auch der Nachthut[48] des Viehes unterziehen, welche in dieser Gegend des Sommers über gewöhnlich ist, die Witterung mag sein, welche sie will.

Das schlimmste von der Sache war, daß ich nur selten bei Kameraden sein konnte, welche sich wetterfeste, mit Rasenbatzen bedeckte Hütten anlegten und an Weidefeuern erwärmten, während ich bei dem schlechtesten Wetter – nach Bostels Befehl – die sumpfigsten, grasreichsten Gegenden abhüten und statt unter einem Baume oft unter freiem Himmel oder in einem Graben kampieren mußte.

Auf großen Gütern hat man Nachtkoppeln oder Schläge, das heißt befestigte Stücken Weide, wohin das Vieh zusammengetrieben und von einem Nachthirten bewacht wird, damit es nicht ausbricht, wodurch der größte Schaden angerichtet werden könnte. – Kann das Vieh bei sehr schlechter oder kalter Witterung nicht in den Nachtkoppeln erhalten werden, so wird es in den Wald getrieben, wo die Wächter sich Feuer anmachen.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 48-49.
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Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers