Schreckliche Begebenheit

[152] Als ich am andern Morgen sehr früh aufgebrochen war und im Gehen andächtig ein Morgenlied sang, unterbrach mich plötzlich eine Stimme durch den Zuruf: »Halt, Spitzbube! – Woher, Galgenstrick! – Sind das nicht gestohlne Sachen? Schon gut, daß wir Euch Hecht erwischt haben! – Marsch, fort mit uns!« – Man ließ mich nicht zum Worte kommen, sondern packte mich an und riß mich mit sich fort. Als ich mich endlich von meiner Überraschung erholt und erklärt hatte, daß ich keinesweges ein Dieb wäre, sondern im Fischerkrug, dem nächsten Dorfe, als ehrlicher Reisender übernachtet hätte, rief einer: »Das wird sich ausweisen, jetzt nur keine Sperenzien gemacht!« Das ging mir zu weit und machte, daß ich mich weigerte, einen Schritt weiterzugehen, aber plautz! plautz! wurden mir ein paar Prügel aufgeworfen, die mir durch mein Reisebündel wehe taten, auf welches man sie führte. Ich wäre zu Tode geschlagen worden, hätte ich mich länger weigern wollen, deshalb ließ ich mich nun ohne weiteres nach dem Dorfe Schafhof oder einer Schäferei transportieren, wo schon ein Gefangener bewacht wurde. Man öffnete und durchsuchte mein Bündel und stutzte, als man nichts Verdächtiges darin fand, noch mehr aber, als ich im Gefühl meiner Unschuld darauf bestand, daß man nach dem Fischerkruge gehen und sich nach mir erkundigen möchte, worein man endlich willigte. Einer von ihnen sagte mir, es wäre in der Nacht zu Harnstorf ein ansehnlicher Diebstahl verübt worden, weshalb man den Tätern nachgesetzt sei und mich ergriffen hätte.

Es dauerte nicht lange, so brachte man, zu meiner Rechtfertigung, die wirklichen Diebe, zwei schwedische Schiffer und einen Dänen, gefangen ein, bei welchen man die gestohlnen Sachen gefunden hatte, die einer von den Bestohlnen für die seinigen erklärte, mit dem Zusatze, daß unter meinen Sachen kein Stückchen sei, das ihm gehöre.[153]

Demungeachtet gab man mir meine Sachen nicht zurück und nötigte mich dadurch, als die Vagabunden gegen Mittag an das Amt Ratzeburg abgeliefert wurden, gleichfalls meinen Weg dahin zu nehmen und mich wegen der mir zugefügten Unannehmlichkeiten zu beschweren. Der Bauer rechtfertigte sein Benehmen dadurch, daß ich mich mitzugehen geweigert hätte. Der Herr Amtmann bedauerte, daß der Bauer in seinem Diensteifer etwas zu weit gegangen wäre, sagte mir aber zugleich, daß es mich zu lange aufhalten würde, wenn die Sache genau untersucht werden sollte; deshalb nahm ich meinen Bündel und ging damit in die Stadt zu meinem Freunde, der nicht müde wurde, mich wegen des unangenehmen Vorfalls zu bedauern. Ich mußte bei ihm übernachten, ließ meinen Bündel in seiner Verwahrung und ging am folgenden Morgen nach Niendorf, wo ich meine Eltern in einem zwanzig Quadratruten haltenden Garten arbeitend überraschte. Sie erstaunten, als ich ihnen erzählte, daß ich von Lübeck komme und schon über ein Jahr von Weimar fort wäre. Sie brachen daher beide von der Arbeit ab und nötigten mich auf eine frische Milch in die Stube, wo wir uns einander unsre bisherige Schicksale erzählten. Der Vater beschwerte sich, daß man ihm vieles, was man ihm versprochen, nicht gehalten und, als er darüber geklagt, ihn auf diese neuangelegte Holländerei versetzt hätte, wo er sich gleichsam von neuem anbauen müßte. Schon hätte er einen ganzen Jahrgehalt für Arbeiterlohn an seinen Garten gewandt und mehrere veredelte Obstbäume hineingepflanzt, von denen er vielleicht keine Früchte erlebe; wie es scheine, würde er dieses Jahr nicht für sechzehn Taler Nutzen daraus ziehen. Meine Mutter tadelte mich, daß ich ein armes Mädchen geheuratet hätte, da ich in dortiger Gegend Haus und Hof hätte erheuraten können. Ich verteidigte mich mit dem Gemeinspruche, daß geschehene Dinge nicht zu ändern wären und daß das Schicksal es vielleicht so gewollt habe, der Mensch denke und Gott lenke usf., wobei man sich endlich beruhigte.[154]

Während meines Aufenthalts bei meinen Eltern machte ich in der Umgegend verschiedene Besuche bei meinen Bekannten, besonders bei dem Schulmeister in Kuhlrade, wo sich ein lustiger Spaß zutrug.

Quelle:
Sachse, Johann Christoph: Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers. Von ihm selbst verfasst, Berlin 1977, S. 152-155.
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Der deutsche Gil Blas oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers
Der deutsche Gil Blas. Eingeführt von Goethe. Oder Leben, Wanderungen und Schicksale Johann Christoph Sachses, eines Thüringers