Aus dem Vorwort zur ersten Auflage.

Erziehung macht den Menschen. Dieses so oft angewendete Wort bewährt zu allen Zeiten und in allen Fällen seine zutreffende Wahrheit. Allerdings sagt der Dichter: »Was dem Menschen angeboren, davon trägt er das Gepräge;« allein wenn wir uns in Hinsicht darauf, was Wohlanstand heißt, mit dem begnügen sollten, was uns angeboren ist, so würde es schlecht um uns bestellt sein.

Wenn auch eine gewisse Grundlage bei jedem Menschen vorhanden ist, so bedarf diese jedoch der Ausbildung, um im Auftreten und Benehmen den gesellschaftlichen Anforderungen, die je nach Vornehmheit der Personen, aus denen die Gesellschaft besteht, auch eine in ihrem Verlangen anspruchsvollere ist, zu genügen; deshalb ist es Sache des Erziehers, diesen Keim dem Boden zu entlocken, und die dann entsprießende Pflanze nach Möglichkeit, sowie nach ihrer Bestimmung zu veredeln und Sorge zu tragen, daß die Frucht zur Reife gelange, und nicht nur schön, sondern auch eine genießbare werde.

Die Gesetze des gesellschaftlichen Verkehrs sind immerhin einer Wissenschaft gleich zu stellen, zu deren ausschließlichen Erlernung es bis jetzt noch weiter keine Lehranstalten gibt, als eine einzige Schule – die des Lebens, in der man wohl durch eigene Erfahrung lernt, aber auch mit den Mitteln des eigenen Schadens bezahlt.

Eine Notwendigkeit ist dies Werk schon deshalb, weil sich in dem gesellschaftlichen Verkehr neben dem Echten auch manches Unechte befindet, welches denjenigen, der die Gesellschaftsformen nur durch den Verkehr sich aneignen will, auf Irrwege führen muß.


Die Verfasser.

Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 1.
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