Ordnung und Reinlichkeit.

[46] Es gibt eine Menge Vorschriften über Ordnung und Reinlichkeit. Diese erfüllen aber nur ihren Zweck, wenn sie durch wiederholte und unermüdliche Übung dem Menschen zur Gewohnheit geworden sind. Es ist deshalb notwendig, die Ordnungs- und Reinlichkeitsregeln niemals, auch wenn man sich nicht beobachtet sieht, außer Acht zu lassen. Ordnung ist im Gefolge der Reinlichkeit. Durch Ordnung entsteht Genauigkeit,[46] durch diese die Sparsamkeit, welche wieder die Wohlhabenheit erzeugt. Die Reinlichkeit erhält und fördert die Gesundheit, das höchste Gut des Menschen. Die Gesundheit erhält die körperliche Schönheit, das frische jugendliche Aussehen. Körperliche Schönheit vereint mit gewinnenden Umgangsformen ist ein offener Empfehlungsbrief, wodurch schon mancher sein Glück gemacht hat. Von der äußeren Reinlichkeit ist wohl ein Schluß auf die Reinheit des Geistes und Gemütes naheliegend. Ein reiner Körper birgt reines Herz und reinen Sinn. Die Vernachlässigung der Reinlichkeit entwürdigt den Menschen, erzeugt bei anderen Menschen Abneigung gegen ihn und wirkt schädigend auf Gesundheit, körperliches und materielles Wohlergehen. Die Reinlichkeit erstreckt sich jedoch nicht nur auf unseren Körper, sondern auch auf unsere Kleidung und Wohnung. Sie bedingt also zuerst eine Reinhaltung des Körpers im allgemeinen.

Diese wird erzielt durch Waschen mit frischem, kühlen Wasser, durch regelmäßiges Baden; bei warmen Bädern sollte man nie verabsäumen, durch eine kühle Abbrausung des Körpers denselben gegen Erkältung zu schützen und der Haut wieder jugendliches, frisches, glattes Aussehen zu geben. Auch die Kopfhaut erfordert ihre Pflege. Das Waschen des Kopfes wirkt aber nicht nur wohltätig auf die Kopfhaut, sondern gibt auch dem Haar ein schönes Aussehen. Wohlgepflegtes und schön geordnetes Haar ist eine rechte Zierde unseres Hauptes. Das gilt auch von dem Barte. Es ist notwendig, auch diesem die rechte Pflege angedeihen zu lassen. Besonders hat der Besitzer eines Vollbartes Aufmerksamkeit beim Essen und Trinken zu üben.

Ist es notwendig in Unordnung geratenes Haar zu ordnen, so muß es im Vorzimmer oder in der Garderobe geschehen; in der Gesellschaft und in Gegenwart anderer Personen darf es nicht geschehen. Eine schlechte Angewohnheit ist, mit den Fingern durch die Haare zu fahren oder fortwährend den Bart zu drehen oder zu streicheln. Inbezug auf die Nase gelten viele Vorschriften. Das Putzen der Nase muß möglichst vorsichtig und geräuschlos geschehen. Lautes Schnupfen wolle man nicht nur vermeiden, weil es ekelhaft ist, sondern[47] auch, weil es leicht Bluten der Nase veranlassen kann. Beim Gebrauch des Taschentuches wendet man sich von der Person ab oder dreht sich um. Das geöffnete Tuch wird mit der rechten Hand zur Nase geführt und mit der linken nachgehoben. Nach dem Gebrauch schließt man es wieder, indem man es derartig zusammenfaltet, daß die benutzte Seite, eine Seite des Taschentuches darf nur benutzt werden, nach innen kommt. Man behalte das Taschentuch nicht in der Hand noch lege man es auf Möbel bei sich hin. Zum Abwischen des Mundes oder des Schweißes sollte man ein besonderes Tuch bei sich führen. Es macht einen unangenehmen Eindruck, wenn Herren zum Schutze der Kleidung beim Tanzen ein Taschentuch in die rechte Hand nehmen. Wer keine Handschuhe anlegen kann, lasse auch das Tuch weg. Mit dem Finger in der Nase oder dem Ohr zu bohren ist durchaus zu vermeiden.

Muß man niesen, so halte man das Taschentuch vor die Nase. Überrascht das Niesen, so halte man wenigstens die Hand vor die Nase und beuge sich zur Seite oder herab. Besonders muß man auch auf Reinlichkeit in Bezug auf den Mund Acht haben. Man vermeide alles, was einen üblen Geruch gibt, halte die Zähne durch Benutzung von Zahnbürste und Zahnstocher rein. Beabsichtigt man in Gesellschaft, zu gehen, so esse man nicht scharfgewürzte oder mit Zwiebeln zubereitete Speisen, welche einen üblen Mundgeruch verursachen. Spirituosen und Tabak vermeide man auch, besonders wenn man in Damengesellschaft zu gehen hat.

Reinlichkeit in der Kleidung hängt mit der Reinlichkeit des Körpers zusammen; beide zusammen geben erst das wahre Bild der Sauberkeit, die auch auf Reinheit des Gemüts und Pünktlichkeit in der Pflichterfüllung, auf Sauberkeit und Genauigkeit in der Arbeit schließen läßt. Reinlichkeit in der Kleidung und äußerlicher Putz sind nicht identisch. Ein einfaches, sauberes Kleid ziert mehr als ein prunkendes, unter welchem gelegentlich Unsauberkeit und Unordnung hervorlugt. Vom Hut bis zum Stiefel muß die Kleidung in tadelloser Ordnung sein; nicht ein kleines Knöpfchen darf fehlen, nicht ein Fleckchen da sein, kein Fädchen an irgend einer Stelle[48] sichtbar werden. Auch die Unterkleidung und Leibwäsche muß zu jeder Zeit heil und sauber sein; man kann nicht wissen, was einem unterwegs zustoßen kann, wodurch ein Entkleiden notwendig wird.


Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 46-49.
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