Umgang zwischen Damen und Herren.

[143] Die Frau ist zur Gefährtin des Mannes bestimmt. Alle ihre Talente, alle ihre Tugenden sind auf dieses Verhältnis berechnet.

Will man dem weiblichen Charakter eine edle Richtung geben, das Herz des Mädchens mit schönen Gefühlen ihrer Bestimmung erwärmen, so muß man es mit Männern umgehen lassen.

Frauen können sich nur durch den Umgang mit Männern, Männer nur durch den Verkehr mit Frauen bilden.


»– Und willst du wissen was sich ziemt,

So frage nur bei edlen Frauen an –«,


sagt Goethe im »Torquato Tasso«.

Doch darf eins hierbei nicht vergessen werden; bei edlen Frauen, sagt Goethe ausdrücklich. Wenn ein Herr also Umgang mit Damen sucht, so wähle er ihn auch in vorsichtiger Weise. Möge diese zarte Andeutung genügen. Es sei dem Scharfsinn eines jeden überlassen, den Sinn dieser Worte auszulegen.

Der Mann wäge in Gegenwart von Damen seine Handlungsweise vorsichtig ab.

Das männliche Geschlecht räumt dem weiblichen einmal einen Vorzug ein, und dem weiblichen Geschlecht werden ohne Unterschied von Rang und Stand Ehrerbietungen gezollt, welche man nicht vernachlässigen darf.

Zeige Dich aber auch nicht immer in süßlichlächelnder Weise dem weiblichen Geschlecht. Die ununterbrochen[143] scheinende Sonne wird mit ihren Strahlen lästig, und durch ein fortwährendes Unterordnen seiner Person vergibt man seine Manneswürde. Nichts aber stößt ein Weib mehr ab, als einen Mann unmännlich zu sehen.

Man glaube aber auch nicht, seine Männlichkeit durch ein mehr als selbstbewußtes Auftreten an den Tag legen zu müssen. Würde ein Herr sich in Gegenwart einer Dame zu einem Ausbruch des Zornes, zum Schelten, ja sogar zu Flüchen hinreißen lassen, so würde er bei der Dame an Ansehen und Wertschätzung bedeutend verlieren.

Bescheidenheit und Sittsamkeit seien in unserm ganzen Wesen ausgedrückt. Man komme den Damen stets zart entgegen; aber hüte sich vor faden Schmeicheleien, eine gebildete Dame wird sie bald erkennen, und den Schmeichler meiden.

Um keine Dame vor anderen zurückzusetzen, bevorzuge man auch eine einzelne nicht durch Artigkeiten.

Wie sollen junge Mädchen im Umgang mit Männern sich benehmen?

»Einfach und natürlich« ist die beste Art, sich Männern zu zeigen, aber manches junge Mädchen wird zu natürlich, das darf nicht sein. Ein junges Mädchen darf sich nicht in Anwesenheit von Herren gehen lassen. Alles in Sprache, Manieren, Haltung und Kleidung sei mit äußerster Sorgfalt gewählt, aber ohne Künstelei. Männern zu gefallen, bedarf es keiner studierten Künste. Die Männer sind nicht so leicht zu täuschen, der Glanz kann sie anfangs blenden; aber sie werden nachher so viel schärfer sehen.

Ein junger Mann hat zu einem jungen Mädchen Zuneigung gefaßt und sich vorgenommen, bei passender Gelegenheit ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen. Zu diesem Zwecke beobachtet er sie längere Zeit und tritt schließlich zu ihr hin, um sie zum Tanze aufzufordern. Es ist kein richtiges Verhalten, wenn die Dame sich nun einer Freundin zuwendet, ohne den Herrn zu beachten.

Wenn eine junge Dame sich lebhaft für einen jungen Mann interessiert, er sie aber nicht zum Tanze auffordert,[144] auch nicht sieht, daß sie ihren Fächer hat fallen lassen, sondern kalt bleibt, ist das Artigkeit?

Wenn ein junges Mädchen den Besuch eines jungen Mannes im Hause ihrer Mutter empfängt, sich jedoch beim Lesen eines Romanes wenig stören läßt, die Unterhaltung vielleicht ihrer Mutter überlassend, was würde der Betreffende von ihrer Artigkeit denken?

Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 143-145.
Lizenz:
Kategorien: