Anwendungen der Armhaltungen.

[198] Haltung der Arme beim Überreichen oder bei Empfangnahme eines Gegenstandes, beim Entlassen, beim Darbieten der Hand zur Begrüßung oder zum Verabschieden, beim Platzanbieten.


Während man beim Überreichen oder bei Empfangnahme eines Gegenstandes sowie bei der das Entlassensein andeutenden Armbewegung die III. Haltung wählt, nimmt man bei den übrigen vorgenannten Tätigkeiten die Zwischenhaltung I/III. Zur Begrüßung können auch beide Hände gereicht werden. Die Hand wird auf die dargebotene gelegt, sodaß die Finger sich berühren und der Daumen die Finger umschließt. Die empfangene Hand darf nicht festgehalten, gedrückt oder geschüttelt werden, daß es schmerzt, dadurch würde Anmaßung, Derbheit und Grobheit ausgedrückt werden.

Ein herzlicher Händedruck beweist wohlwollende Freundschaft und einen aufrichtigen Charakter. Ein nachlässiger Händedruck kennzeichnet ein kaltes Gemüt.


Haltung der Arme beim Anbieten des Armes. Durch Verbeugung und Entfernung des Armes vom Körper in die II. Zwischenhaltung drückt man der Person die Bitte aus,[198] ihren Arm führen zu dürfen. Diese bekundet durch Verneigen ihren Dank und ihre Bereitwilligkeit und hängt ihren Arm in den dargebotenen, der nun bis auf handbreite Entfernung an den Körper herangezogenen und dessen geschlossene Hand gegen die Brust in III. angeschlossener Haltung gelegt wird.

Festhalten oder Anpressen des eingeschlossenen Armes ist nicht allein lästig, sondern kann auch als Anmaßung ausgelegt werden.

Bemerkung. Beim Armbieten nähert man sich der betr. Person um einen Schritt und zieht den Fuß in die 1. Position heran. Wem man den Arm bieten darf, richtet sich nach dem Verhältnis, in welchem man zu der Person steht, jedenfalls muß es ein vertrauliches sein, z.B. befreundet, verwandt. Als Ausnahme würde man unbekannten Personen den Arm bieten dürfen zum Schutz und zur Hilfeleistung. Oft sieht man, daß junge gesunde Herren sich in den Arm der Dame einhängen. Dies macht einen läppischen Eindruck und läßt den Mann unmännlich erscheinen.


Armhaltung beim Handanbieten zum Führen.

Das Handanbieten geschieht in derselben Weise wie das Armreichen. Wenn der Arm der betreffenden Person entgegengeführt wird, entfernt man den Daumen von den Fingern. Über die dargebotene Hand wird die erbetene gelegt. Der Daumen der ersteren legt sich an die Finger der letzteren. Ein Herr überläßt stets der Damenhand den Platz über der seinigen; er übernimmt die Führung und die Aufgabe Arm und Hand der Dame zu tragen.


Armhaltung beim Abnehmen der Kopfbedeckung.

Die Hand wird aus der I. Hltg. in I a und durch die III. zur Kopfbedeckung geführt und erfaßt dann den Rand derselben. Die Kopfbedeckung wird erst vorwärts, dann abwärts in die III. Haltung und dann im Bogen nach der Seite in die Zwischenhaltung II geführt. Die Innenseite der Kopfbedeckung ist dem Körper oder dem Boden zugekehrt.


Armhaltung beim Essen. Hier wählt man die Zwischenhaltung III. Die Hand bleibt geschlossen, keine Finger abstehen lassen. Braucht man nur eine Hand, so ruht die[199] andere auf dem Bein; die Dame legt die Hand in den Schoß. Nie lege man Hand und Arm während des Essens auf den Tisch. Das Trinkgefäß führt man ebenfalls in Zwischenhaltung III zum Munde, wobei der Rücken der Hand nach oben gerichtet ist. Beim Kaffeetrinken führt man die Untertasse, auf welche man den Löffel gelegt hat, unter der Obertasse mit, zum Schutze der Kleidung gegen herabfallende Tropfen. Gläser wie Tassen schenke man nie über 3/4 voll.


Armhaltung beim Rundtanz (siehe Engagement). Die Innenseite der rechten Hand des Herrn liegt gegen die Taille der Dame. Der rechte Arm der Dame und der linke des Herrn werden in der Zwischenhaltung I/II gehalten, die Hände liegen wie bei 1 angegeben übereinander. Die linke Hand der Dame ruht auf der Schulter des Herrn, – nirgend anders, – sodaß der Arm gerundet auf dem des Herrn liegt. Nur wenn der Herr merklich größer ist als die Tänzerin, darf diese ihre Hand auf den Oberarm legen. Die Finger dürfen nicht gespreizt werden.

Bei der Handtour oder beim Herumführen im Kreise wähle man die Zwischenhaltung II, beim balançè, chaine anglaise, grand chaine die III. Zwischenhaltung.


Armhaltung beim Halten des Fächers. Der geschlossene Fächer wird in der I a gebeugten Haltung zwischen Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand gehalten und eben oberhalb der Verbindungsstelle der Stäbe angefaßt, sodaß der obere Teil des Fächers nach unten hängt. Der Daumen liegt über dem Zeigefinger oder gegen denselben. Das Öffnen des Fächers geschieht folgendermaßen. Man zieht den Zeigefinger zurück unter den Fächer neben den Mittelfinger, sodaß nur der Daumen obenauf liegt. Nun richtet man den Fächer auf, führt mit demselben einen kleinen Schwung nach links oder rechts aus, wodurch das Öffnen des Fächers eingeleitet wird. Die auseinanderschiebende Bewegung der Finger einerseits und des Daumens andererseits beenden das Öffnen des Fächers. Hierauf wende man die Hand nach einwärts gegen den Körper; nun liegen die 4 Finger gerundet nach innen und der Daumen nach außen. Indem man den Mittelfinger leicht gegen den Handballen drückt, gibt man dem Fächer den nötigen Halt.[200]

Der Fächer dient meist als Putz zur Vervollständigung des Anzuges, besonders der Balltoilette. Er wird entweder an einer Kette oder an einem seidenen Bande getragen, welches an der rechten Brustseite mit einer Schleife befestigt ist. Der Fächer dient auch zur Erzeugung eines kühlenden Luftzuges, als Spielzeug und zum Kokettieren. Das Luftzufächeln soll dem erhitzten Körper weniger zuträglich sein. Es ist auch gestattet, den Fächer mit beiden Händen zu halten. Alsdann legt man den Oberteil desselben in die etwas höher gehaltene linke Hand. Auch darf der Fächer mit leichtem Anschlag gegen die Hand bewegt werden. Mit dem Fächer ins Gesicht zu schlagen oder zuviel mit demselben in der Luft herumzuschwingen oder ihn unter den Arm zu nehmen ist unstatthaft.


Armhaltung beim Handkuß. Beim Darreichen der mit der Innenseite nach unten gerichteten Hand führt man den Arm aus der I. Haltung in die Zwischenhaltung I/II oder I/III. Die erfassende Hand wird bis zum mittleren Gelenk unter die 4 aneinanderliegenden Finger der dargebotenen Hand gebracht, und der Daumen oben aufgelegt. Die rechte Hand erfaßt die linke und umgekehrt. Das Erfassen der zum Kusse dargebotenen Hand mit beiden Händen ist nur den der betreffenden Person sehr nahe stehenden oder vertrauten Personen gestattet; bei besonderen Fällen, beispielsweise im Zustande höchster Gemütsbewegung, mag es auch zulässig sein.


Armhaltung beim richtigen Tragen des Stockes und Schirmes. Benutzt man Stock oder Schirm zur Unterstützung des Gehens, so ruht der Griff in der Hand, umschlossen vom Mittel-, Gold- und kleinen Finger, während der Zeigefinger und der Daumen nach abwärts gestreckt sind, den Stock berührend. Sobald man Stock und Schirm außer Gebrauch trägt, erfaßt man dieselben eben unterhalb des Griffes, auch lassen sie sich zur Abwechslung zwischen Zeige- und Mittelfinger tragen. Das Tragen des Schirmes oder Stockes auf der Schulter, auf dem Rücken, unter dem Arm oder über den Arm gehakt ist unfein und gefährlich. Niemals trage man Stock oder Schirm so, daß Vorübergehende oder hinter uns gehende Personen[201] dadurch verletzt werden können. Das Schwingen mit den genannten Gegenständen ist gleichfalls zu unterlassen.


Armhaltung beim Stehen. Beim Stehen wähle man die 4. oder verminderte 4. Position und halte die Arme in der I. Haltung. Stehen 2 oder 3 Personen zusammen, so überläßt man der bevorzugten Person den Platz zur Rechten oder in der Mitte.


Armhaltung beim richtigen Tragen eines Stuhles. Will man einen Stuhl tragen oder an einen anderen Platz stellen, so trete man hinter den Stuhl und fasse bei gestrecktem Arm I. Haltung mit der rechten Hand die Stuhllehne ziemlich weit nach unten, mit der linken Hand die andere Seite der Lehne oben. Alsdann hebt man den Stuhl erst in die Höhe und dann nach rechts, daß die linke Hand vor der Brust in der Zwischenhaltung III ruht. Beine und Füße des Trägers sind jetzt zur Fortbewegung frei, welche mit dem linken Fuß zu beginnen hat. Vor dem Niederstellen bringt man erst den Stuhl in lotrechte Haltung und stellt dann denselben geräuschlos auf den Fußboden, wobei die Vorderbeine zuerst den Boden berühren.


Armhaltung beim Sichsetzen. Will man einen Sitz einnehmen, so gehe man so dicht an denselben heran, daß die linke Wade den Sitz berührt, führe die linke Fußspitze unter den Sitz und lasse sich leicht und gefällig über der Mitte des einzunehmenden Platzes nieder. Die Hände ziehen sich beim Niedersetzen aus der I. Armhaltung nach vorn, legen sich beim Herrn aufs Bein und bei der Dame in den Schoß. Es ist unfein, beim Sichsetzen die Hände auf den Stuhl zu stützen oder an den Seiten desselben herabhängen zu lassen. Die Füße befinden sich in I., III. oder verminderte IV. Position. Setzt man sich neben eine Person, so wende man derselben beim Niedersetzen die Vorderseite des Körpers zu. Wenn möglich, setzt man sich so, daß eine Dame oder vornehmere Person zur Rechten sitzt.


Armhaltung beim Sitzen. Beim gesellschaftlichen Umgang wolle man inbezug auf das richtige Sitzen folgendes beachten:[202]

Die Körperhaltung ist aufrecht. Die Füße befinden sich in I., III. oder verminderter IV. Position. Die Dame legt die Hände in den Schoß (nicht falten), der Herr aufs Bein, Handrücken nach oben gekehrt.


Armhaltung beim Aufstehen vom Sitz. Man setzt, bevor man sich erhebt, einen Fuß in die 4. Position zurück auf die Fußspitze, zieht den Körper etwas nach vorn und erhebt sich leicht und ungezwungen. Nach dem Erheben nimmt man I. Position und I. Armhaltung. Beim Erheben stütze man sich nicht auf den Sitz oder drücke sich nicht auf die Schenkel, wodurch das Aufstehen ein unschönes Ansehen bekommt. Sitzt uns eine Person zur linken, so setzt man beim Aufstehen den rechten Fuß vor.


Armhaltungen bei National- und komischen Tänzen. Hierbei kommen meist angeschlossene Haltungen in Anwendung.

1. Beim polnischen Tanz werden die Arme vor der Brust verschränkt; III. angeschlossene Haltung.

2. Beim ungarischen Tanz werden die Hände auf die Hüften gestemmt (II. angeschlossene Haltung), wobei die Hand geschlossen, und der Handrücken nach vorne gerichtet ist. Die oberen Handknöchel werden gegen den Körper gestemmt. Eine andere Armhaltung bei diesem Tanze ist das abwechselnde Anlegen der rechten und linken Hand an den Hinterkopf, sodaß die 4 Finger den Kopf berühren und die Arme nach seitwärts gerichtet sind. IV. angeschlossene Haltung.

3. Beim Tiroler-Tanz werden die Hände auf die Hüften gestemmt, sodaß die Handfläche nach vorn und der Daumen nach hinten gerichtet ist, und die Handfläche flach anliegt. Auch werden die Hände gegen die Achselhöhlung gehalten, wobei der Daumen unter die Hosenträger gehakt wird und der Handrücken nach vorn gerichtet ist (III. angeschlossene Haltung). Beim Tiroler-Tanz wird auch die Musik mit Klappen der Hände begleitet, rechte Hand liegt oben.

4. Beim spanischen Tanze kommen die meisten und verschiedensten Armhaltungen und Armbewegungen vor. Die Haltungen und Bewegungen der Arme sowie des Körpers[203] müssen leicht, gefällig und graziös sein. Über die Haltung der Requisiten beim spanischen Tanze, des Tamburins und der Castagnetten gilt folgendes.

Beim Anfassen des Tamburins umspannt die Hand den Reif, sodaß der Daumen außen auf dem Fell, die 4 Finger nach innen zu liegen kommen. Die geschlossene Seite des Tamburins ist dem Körper zugekehrt. Beim Schlagen gegen das Fell darf man nicht die Handknöchel benutzen, wodurch leicht eine Beschädigung des Felles verursacht werden könnte. Die Benutzung des Tamburins geschieht in der Weise, daß man mit demselben gegen die Fingerspitzen der anderen Hand schlägt. Die Finger der linken Hand werden deshalb zum Griff gebeugt nach vorn gehalten. Das Schütteln der Rasseln geschieht durch kurzes rasches Hin- und Herbewegen der Hand, welche das Tamburin führt.

Die Castagnetten werden am Daumen befestigt und mit den 4 Fingern derselben Hand nacheinander geschlagen, wobei der kleine Finger beginnt. Um das Schlagen zu erleichtern, werden die Castagnetten auch an dem Mittelfinger angebracht, wobei ein kunstvolles Schlagen aber unmöglich ist.


Handhaltungen und ihre mimische Bedeutung. Bei theatralischen Aufführungen durch Dilettanten hört man oft die Bemerkung: »Die Rolle wurde sehr hübsch gespielt; aber der Betreffende wußte nicht, wo er mit den Händen bleiben sollte.« Ihm war die mimische Bedeutung der Handhaltungen nicht bekannt, er wußte die Haltung der Hände nicht in Übereinstimmung zu bringen mit der jeweiligen Gemütsstimmung der Person, welche er in seiner Rolle darstellte. Die Kenntnis der mimischen Bedeutung der Handhaltung dürfte deshalb von größter Wichtigkeit sein.

Fest zusammen gepreßte, voneinander abstehende oder gar gespreizte Finger machen einen unangenehmen Eindruck und sind nicht plastisch schön.

1. Die leicht geschlossene Hand sieht graziös aus, läßt auf Milde und Güte schließen und weist auf Feinsinn und edlen Charakter hin.

[204] 2. Die plumpe Handhaltung deutet auf Derbheit, Grob- und Rohheit hin und ist ein Merkmal für Leute, die schwere Arbeit verrichten.

3. Die zusammengepreßte Hand ist unschön, sieht steif aus und zeigt Zwang an, den man sich antut.

4. Die gespreizte Hand gleicht der Tatze; sind die Finger gekrümmt, so scheinen auch noch die Krallen dazu zu kommen. Sie sieht linkisch und tölpelhaft aus und drückt Schreck, Furcht, Entsetzen und Abscheu aus.

5. Einzeln abstehende Finger erscheinen geziert und affektiert, sind unschön und nicht graziös.

6. Die Hand zur Faust geballt sieht derb und plump aus, zeigt Festigkeit, Mut, Widerstandskraft, aber auch unterdrückten Ärger und Wut an.

7. Gerungene Hände zeigen Mutlosigkeit, Verzweiflung, auch Naivität an.


Fingerhaltungen und ihre mimische Bedeutung. Die Fingerhaltungen ergänzen die Handhaltungen. Durch Unrichtigkeit in der Haltung und den Gebrauch der Finger zeigt sich nicht nur des Öfteren ein Mangel an gesellschaftlichem Takt, sondern man kann auch dadurch sich und andere Menschen in Verlegenheit bringen. Darum mag auch ein kurzes Wort über die Fingerhaltungen hier Platz finden.

1. Der Daumen oder Schließfinger umschließt beim Ballen der Hand zur Faust einige der anderen Finger. Er kann den anderen Fingern gegenüber gestellt werden und befähigt die Hand erst zum Anfassen und Greifen. Man vermeide, den Daumen in den Mund zu stecken oder bei gefalteten Händen damit zu rollen. Ersteres würde Gedankenlosigkeit und Albernheit ausdrücken, letzteres würde in der Gesellschaft besonders verletzen, weil es ein Zeichen der Langeweile ist. Bei eingezogenen Fingern benutzt man den Daumen zum Zeigen nach rückwärts oder seitwärts, wobei man die III. Zwischen-Armhaltung anwendet.

2. Der Zeige- oder Deutefinger wird zum Zeigen oder Hindeuten auf Personen oder Sachen benutzt. Der Zeigefinger erhoben bei IV. Armhaltung droht, mahnt zur Ruhe, zur Aufmerksamkeit, so meldet man sich zum Wort; in der III.[205] Armhaltung wird der Takt geschlagen. Der Finger an die Stirn gelegt, deutet Nachdenken oder einen plötzlich auftretenden guten Gedanken an. Um eine bedenkliche Sache auszudrücken, legt man wohl den Zeigefinger oder auch mehrere Finger hinter das Ohr. Beim Schwur streckt man Zeige-, Mittelfinger und Daumen in die Höhe bei IV. gestreckter Armhaltung; die übrigen Finger werden eingezogen. Man vermeide beim Gespräch über andere Personen mit dem Zeigefinger auf diese hinzudeuten.

3. Der große, Mittel-, Greif- oder Verteidigungsfinger. Weil er der längste ist, tritt er natürlich beim Zugreifen, Verteidigen, Kratzen usw. am meisten in Funktion. Er wird zum Be- und Anklopfen benutzt. Durch rasches Aufklopfen mit demselben kann man Ungeduld ausdrücken.

4. Der Gold-, Ring- oder Symbolfinger. Ihm ist der Trauring, das Symbol der Treue und Zusammengehörigkeit anvertraut. Durch Deuten auf diesen Finger bezeichnet man Verlobung, Verheiratsein und Liebe an.

5. Der kleine oder Kokettier-Finger. Eitle Personen pflegen den kleinen Finger von den anderen abgesondert zu halten. Es ist unschicklich, mit dem kleinen oder anderen Finger in dem Ohr zu wühlen.


Mimik oder Darstellungskunst.

Mimik ist die Kunst durch Geberden und Gesten im weiteren Sinne die Zustände des Gemüts zusammenhängend und mannigfaltig auszudrücken. Sie dient zur Unterstützung der sprachlichen Darstellung, muß deshalb von dem Schauspieler völlig beherrscht werden und besteht darin, dem Gesichte durch willkürliche Verstellung der Gesichtsmuskeln jeden gewünschten Ausdruck geben zu können. Bei der mimischen Darstellung eines Gemütszustandes kommt die Mitwirkung des ganzen Körpers und der Gliedmaßen noch hinzu. Die Mimik ist im Umgang von besonderer Wichtigkeit. Da es im Leben viel auf den äußeren Eindruck ankommt, müssen wir uns bemühen, unser Minenspiel in der Gewalt zu haben, damit wir nicht durch den Ausdruck unseres augenblicklichen Seelenzustandes uns Nachteil zufügen oder die Mitmenschen unserer Umgebung in unliebsamer[206] Weise beeinflussen. Es muß unser Bemühen sein, auch in Fällen tiefster Gemütserschütterung unseren Gleichmut zu bewahren, wir müssen, wie man sagt, uns beherrschen lernen.

Physiognomik und Physiognomie. Physiognomik ist die Kunst, aus der äußeren Erscheinung des Menschen, besonders aus den bleibend gewordenen Gesichtszügen und aus gewissen Bewegungen und Lebenstätigkeiten des Menschen seinen Gemütszustand und seine Geistesbeschaffenheit zu erkennen.

Im ganzen großen Reiche der Natur, welches sich unseren Augen offenbart, zeigt es sich deutlich, daß das Innere sich in dem Äußeren ausdrückt, daß eine Wechselwirkung zwischen dem Innern und Äußeren, zwischen Geist und Materie stattfindet. Am vollkommensten ist diese Wechselwirkung in der höchsten Erscheinung der Natur, bei den Menschen. Was der Mensch denkt, womit sich sein Inneres beschäftigt, sein Fühlen, Wollen und Wünschen, sein Hoffen und Fürchten drückt sich in seinem Antlitz aus. Wiederholen sich die geistigen Betätigungen häufig und andauernd, so wird sich auf dem Gesichte des Menschen, in seinen Zügen, seinem Blick ein Ausdruck zeigen, welcher dem Geistesleben des Menschen entspricht und es wiederspiegelt. Dieser Ausdruck des Antlitzes wird allmählich durch die Gewohnheit feste Formen annehmen und somit kann man mit Recht behaupten, daß das Gesicht der Spiegel der Seele ist. Kunst und Verstellung, Krankheit und sonstige Umstände können allerdings die äußere Form verändern, darum ist nicht immer mit Sicherheit aus den Gesichtszügen auf den Charakter des Menschen zu schließen. Aber nicht nur in dem Antlitz prägt sich das Geistesleben des Menschen aus, sondern auch in seiner Haltung, seinen Bewegungen, seiner Sprache, seiner Schrift etc. Im weiteren Sinne nennt man deshalb den ganzen Komplex der äußeren Erscheinungen, welche einen Schluß auf das Innere des Menschen gestatten, seine Physiognomie. Inbetreff des Antlitzes kommen besonders in Betracht: 1. Die Gesichtsbildung, 2. die Gesichtszüge und 3. die Minen oder in Bewegung gesetzten Gesichtszüge, insofern sie gleichförmig wiederkehrende Gesichtsgeberdungen sind.

[207] Kopf und Hals. Der Kopf ist einem Bienenkorb vergleichbar, worin jede Tätigkeit der Seele ihre Zelle hat und wohin sonnenhelle, geflügelte Gedanken kommen und ihren Honig hineinlegen. Ein zu großer Kopf deutet auf Beschränktheit und Dummheit, die gegenteilige Beschaffenheit auf Schwäche und Albernheit. Ein hoher Oberkopf zeigt Gemüt, Ehrfurcht und Religiosität an, während ein breiter Unterkopf auf Leidenschaft deutet. Kopf und Hals sind beweglich nach vor- und rückwärts, sowie nach den Seiten, und die Bewegung derselben sollte nicht ohne notwendige Veranlassung stattfinden, da man der Haltung und Bewegung des Kopfes und Halses Bedeutung beimißt. Der vorgebeugte Hals deutet auf Neugier und Geiz. Ein biegsamer Hals deutet auf Elastizität des Geistes und Körpers. Vieles Wenden und Recken des Halses gibt der Person ein geckenhaftes, geziertes Aussehen und verrät Neugier, Schüchternheit, Furchtsamkeit und Unstetigkeit im Charakter. Ein steifer Hals ist das Merkmal für schwere Lenkbarkeit und Ungeselligkeit. Während ein dünner, langer Hals auf Gleichgültigkeit und Unmännlichkeit hindeutet, zeigt der dicke, gedrungene Hals auf Heftigkeit und Zorn. Ein schöner Hals ist das Kennzeichen für einen guten festen Charakter.

Kopf-Haltung. Die natürliche und in jeder Beziehung richtige Haltung des Kopfes ist einfach gerade. Der gerade gehaltene Kopf zeigt Ruhe und Festigkeit an, bei eingezogenem Hals auch Beharrlichkeit und Starrsinn. Der Kopf rechtsseitwärts geneigt deutet auf Klugheit, links seitwärts auf Verschwendungssucht. Der vorwärtsgeneigte Kopf, das Symbol der Sympathie oder Zuneigung, drückt Wohlwollen, Güte, Teilnahme, Nachgiebigkeit, Versöhnung und Herablassung aus. Die entgegengesetzte Kopfhaltung, das Symbol der Antipathie oder Abneigung, drückt Eitelkeit, Stolz, Anmaßung, Überhebung, Keckheit, Übermut, Hoffnung und Gottvertrauen aus. Ist der Kopf nach vorn seitwärts geneigt, so liegt in dieser Haltung Schlaffheit, Müdigkeit, Niedergeschlagenheit, Mutlosigkeit und Traurigkeit.

Kopf-Bewegungen. Ein langsames Beugen des Kopfes nach vorn oder Nicken mit demselben kann das Zeichen eines[208] Grußes sein oder Bejahung ausdrücken. Schütteln des Kopfes oder Beugen von Seite zu Seite drückt Verneinung oder Verwunderung aus.

Das Antlitz. Der vordere und schönste Teil des Kopfes ist das Gesicht. Es ist der Teil des Körpers, der zuerst auffällt und am meisten unserer Kritik gewürdigt und unterworfen wird. Eine hübsche Gestalt, schöne Haltung oder Kleidung regen vielleicht zuerst unsere Aufmerksamkeit an; aber das ausschlaggebende bei der Betrachtung einer Person ist doch das Gesicht. Obgleich sich wohl jeder ein recht hübsches Gesicht wünscht, müssen wir doch mit dem Gesicht, welches uns die Natur verliehen hat, zufrieden sein. Es gibt schöne und häßliche, magere und volle, kleine und große, runde und lange, zarte und derbe, intelligente und stupide, blasse und rote Gesichter. Die Form und Farbe unseres Gesichtes hängt mit unserem Temperament, unserem Charakter zusammen. Der Sanguiniker hat ein volles Gesicht, eine frische und blühende Gesichtsfarbe. Der Choleriker hat ein mehr hageres Gesicht und gelbbraune Hautfarbe. Der Melancholiker hat hohle Wangen und bleichgelbe Hautfarbe. Der Phlegmatiker hat weiche und schlaff hängende Wangen und blasse Hautfarbe. Läßt sich nun an der Form und Farbe unseres Gesichtes nicht viel ändern, so lassen sich die Gesichtszüge wohl verbessern, aber auch vernachlässigen. Kein Teil des menschlichen Körpers ist so mannigfaltiger Bewegungen und Modifikationen fähig als das Gesicht wegen der vielen Muskeln, die sich in demselben befinden. Bei allen Erregungen der Seele als Freude, Entzücken, Verwunderung, Staunen, Schmerz, Traurigkeit, Mitleid, Schreck, Zorn, Neid, Wut, Verzweiflung etc., ziehen sich die Muskeln, die unter der Gesichtshaut liegen, zusammen oder dehnen sich aus nach der Art der Einwirkung der Nerven. Die Bewegungen der Muskeln bilden Falten oder Züge in der Gesichtshaut, die, je öfter sie wiederkehren, immer sichtbarer und endlich dauernde werden. Wir sollen deshalb möglichst die Erregungen unserer Seele, die unserm Gesichte abstoßende Züge einprägen würden, vermeiden und so viel wie möglich uns bemühen, heiter zu sein. Besonders im gesellschaftlichen Leben ist dies notwendig. Da[209] ist es sogar unsere Pflicht, den verbitterten Gesichtsausdruck, der aus dem augenblicklichen Zustand unserer Seele entspringt, zu verbannen und freundlich zu erscheinen, damit wir nicht anderen Mitgliedern der Gesellschaft die Freude verderben.

Das Auge. Das Auge ist das Organ des Gesichtssinnes, eine lebendige camera obscura für die Menschenseele. In den Augen liegt unstreitig der stärkste Ausdruck. Man hat sie auch als Fenster angesehen, durch welche man gleichsam in das Innerste der Seele schauen kann. Und in der Tat, wie sprechend und beredt ist nicht das Auge des Menschen!

Durch das Auge wirft die arme gefangene Seele wie aus ihrem Kerker einen Blick auf die Welt und empfängt auch durch dieses Fenster Kunde von den Vorgängen der Außenwelt. Die Augen sind auch zweier Schießscharten in einer Festung vergleichbar. Aus ihnen werden die Geschosse, Blicke genannt, in das Herz des Menschen gesendet. Der Farbe der Augen legt man gewisse Bedeutung bei.

Die blauen Augen gehören einem träumerischen, melancholischen, religiösen Gemüt; sie verraten keinen besonders starken und festen Charakter, aber deuten meist auf Klugheit und Gemüt hin; sie sind dem sanguinischem Gemüt eigen.

Die hellblauen Augen deuten meist eine große Fassungsgabe an. Man findet sie bei argwöhnischen, eifersüchtigen und neugierigen Menschen und besonders beim melancholischen Temperament.

Die braunen, ins gelbliche spielenden Augen zeigen die Kraft und die Großmut des Löwen an, deuten auf Genie und finden sich meist beim cholerischen Temperament.

Die schwarzen Augen sind dunkel wie die Nacht, die sich in ihnen malt; sie sind begehrend, deuten auf festen Charakter und finden sich meist beim pflegmatischen Temperament.

Die seltenen seegrünen Augen deuten auf Unbeständigkeit und sind treulos, wie die Wellen, deren Farbe sie besitzen, sie kommen vor beim cholerischen Temperament.

Die grauen oder blaugrauen Augen verraten meist keinen guten Charakter, sie sind verräterisch.

Die Augenbrauen und Wimpern. Einen nicht unwesentlichen Einfluß auf die Schönheit des Auges, sowie auf den[210] mimischen Ausdruck desselben haben die Augenbrauen und Wimpern. Die Kenntnis des Herstellens und Färbens dieser Teile beim Schminken ist besonders für den Darsteller und Mimiker von großer Wichtigkeit. Leicht kann durch falsche Herstellung der Augenbrauen dem Gesichte ein ganz falschen Ausdruck gegeben werden.

Helle Augenbrauen und Wimpern lassen das Gesicht ausdruckslos erscheinen.

Dunkle Augenbrauen mit langen, dichten Wimpern heben das Auge, indem sie das Weiße des Auges und der Stirn leuchtender erscheinen lassen.

Dünne, schmale Augenbrauen sind ein Zeichen von Phlegma und Schwäche.

Dichte, starke, schwarze, tiefsitzende Augenbrauen erregen einen finsteren, nachdenklichen, zornigen Eindruck, verraten meistens Trotz, Verachtung, Hohn, aber auch einen festen, tiefen Charakter.

Über die Nase zusammenlaufende Augenbrauen verraten einen eigenartigen, eifersüchtigen Charakter, oft aber auch Geist und Witz.

Sind die Brauen an den Schläfen statt nach unten nach oben gebogen, so entsteht der teuflische oder Mephisto-Ausdruck.

Ist der Abstand der Brauen von den Augensternen zu groß oder sind die Brauen zu kurz, so ergibt sich das erstaunte oder auch dumme Gesicht.

Der Blick. Der Blick ist im Umgang mit anderen Menschen von großer Bedeutung. Es gibt Blicke, welche einen günstigen, empfehlenden Eindruck hervorbringen, weil sie etwas Offenes, Bestimmtes, Bescheidenes, Freundliches und Wohlwollendes haben. Es gibt aber auch Blicke, die höchst nachteilig wirken und uns jede Annäherung an fremde Personen erschweren, weil sie etwas Verdächtiges, Zweideutiges, Anmaßendes und Abstoßendes haben. Es ist schwer, zu jeder Zeit und in jeder Situation den richtigen Blick zu senden oder zu erwidern. Bei der Unterhaltung soll der Blick in das Auge des Sprechenden gerichtet sein; aber ohne Anstarren mit stierem Blick, was in Verlegenheit bringt. Gesellschaftliche[211] Unarten sind: mit den Augen Personen zu fixieren, die Augen zukneifen oder weit zu öffnen, ebenso das freche und und kecke Umherblicken.

Ein richtiger Blick ist derjenige, in dem sich eine harmonisch gebildete Seele spiegelt, der daher, ohne es zu wollen, für alle etwas Vertrauenerweckendes, Anziehendes hat. Er ist bescheiden für sich und aufmerksam für andere, offen, rein, klar, natürlich und ungezwungen, gewinnend ohne Berechnung, verbindlich und freundlich ohne Untertänigkeit und Gefallsucht zu offenbaren.

Blick und Auge sind nicht dasselbe.

Das Auge ist das Organ des Gesichtssinnes, während der Blick die Summe der Tätigkeiten des Auges und seiner äußeren Teile ist. Die Spannung des Auges, seine Lage, die Tätigkeit der Augenmuskeln, Wimpern und Brauen, wodurch dem ganzen Auge ein bestimmter Ausdruck zuteil wird, bilden den Blick. Die leiseste Empfindung der Seele durchzuckt das Auge; es wird zum Spiegel der Seele, in welchem verwandte Seelen, so tief und verständnisvoll zu blicken verstehen. Wie oft hat nicht ein einziger Blick das Schicksal eines Menschen freudig oder traurig gestaltet.

Der Blick verrät die Regungen des Herzens, er läßt die Merkmale des Charakters erkennen, zeigt die edlen Seiten des Menschen und verkündet auch die bösen Gedanken. Es soll deshalb dem Blick und seiner Bedeutung, der in ihm liegenden Offenbarung und seiner Wirkung weitere Erörterung gewidmet werden.

Der offene Blick zeugt von Aufmerksamkeit und Teilnahme, Selbstgefühl, ruhiger Denktätigkeit, erweckt Zutrauen und Zuneigung.

Der feste Blick deutet auf Festigkeit des Charakters, Mut, Entschlossenheit, Zuverlässigkeit und erweckt ebenfalls Vertrauen und Zuneigung.

Der freundliche Blick deutet auf Wohlwollen und gibt zu erkennen, daß man gern gesehen, angenehm und beliebt ist.

[212] Der heitere Blick deutet auf Unbefangenheit und Zufriedenheit, erweckt Freude und frohe Stimmung. Er verscheucht den Zwang und die Befangenheit.

Der unstäte Blick, der schielend, in bebender, blinzelnder Bewegung hin und her schwärmt, deutet auf unlautere, unaufrichtige, zweideutige Gesinnung, auf ein böses Bewußtsein auf Neugierde und zeugt von flüchtiger Denktätigkeit; er erweckt Mißtrauen.

Der versteckte, stechende, tückische Blick, der verstohlen, lauernd und drohend aussieht, deutet auf Falschheit, Neid, Mißgunst, Hohn, Schadenfreude, Hinterlist und auf überlegte Denktätigkeit; er erweckt Abneigung.

Der selbstgefällige, anmaßende Blick deutet auf Stolz, Hochmut, Überhebung, Prahlerei, Eigenliebe.

Der niedergeschlagene Blick deutet auf Schüchternheit, Verlegenheit, Teilnahmslosigkeit, Verschlossenheit, Demut, Koketterie; er erweckt wenig Vertrauen, zweifelhafte Meinung, Mitleid und Bedauern.

Ein Blick der schwimmend auf einen Gegenstand gerichtet ist, deutet einen tiefen ernsten Gedanken an.

Die Stirn. Auch aus der Bildung der Stirn lassen sich Schlüsse ziehen auf die geistige Veranlagung und auf Charektereigenschaften des Menschen.

Eine niedrige Stirn deutet auf festen, soliden Charakter auf geringe Denkkraft, aber auf Gefühl und Leidenschaft.

Die gewölbte Stirn zeugt von Geist und Genie, von klarer Anschauungsweise und hellem Verstand, während eine glatte, senkrechte Stirn Mangel an geistigen Fähigkeiten erwarten läßt. Die gefaltete Stirn ist ein Zeichen der Neugier und der Gutmütigkeit.

Die Nase ist für das Gesicht eine Zierde und erhöht wesentlich den Ausdruck desselben. Aus der Form der Nase darf man auch auf die geistigen Fähigkeiten des Menschen schließen.

Die römische Nase kündet Gedankentiefe und Ernst an.

Die griechische Nase läßt auf Freiheit und Verschlagenheit schließen.[213]

Die Adlernase zeigt Kühnheit und Hoheitsgefühl an.

Die Habichtsnase deutet auf Stolz, Ehrgeiz und Genie.

Die schöne Nase läßt auf einen guten Charakter schließen.

Die lange, starke Nase verrät im allgemeinen Gutmütigkeit, Klugheit und Mut.

Die Stülpnase ist ein Zeichen von Lebhaftigkeit, Mutwillen und Freimütigkeit.

Die spitze Nase deutet auf Hohn und Geiz.

Die schmale, mittelmäßige Nase soll Erregbarkeit, Phantasie und Begeisterung verkünden.

Das Kinn. Ein spitzes Kinn deutet Schlauheit und List an, ein breites Stolz und Heftigkeit. Das runde, auch mit Grübchen versehene Kinn ist ein Zeichen für Güte, Schalkhaftigkeit und Witz. Ein langes Kinn deutet Ernst und Kälte an, während ein kleines Kinn Schüchternheit und Ängstlichkeit verrät.

Der Mund ist die Pforte des Herzens, der Quell der Rede. Wie das Auge, so deutet oder verrät auch der Mund nach seiner Beschaffenheit im Zustande der Ruhe sowohl, als auch in seiner Bewegung die Regungen, Gefühle, Eindrücke und Leidenschaften des Menschen. Freilich gehört zur Beobachtung des Mundes und zur Erkennung der spezifischen Zeichen ein geübtes Auge und ein gründlich beobachtender Geist. Der in richtigem Größenverhältnis zu den übrigen Teilen des Gesichts stehende Mund ist ein gutes Zeichen und deutet auf einen edlen Charakter. Ist der Mund groß, so deutet er auf beschränkten Verstand und Plauderhaftigkeit.

Ein kleiner Mund deutet ein sanftes, friedfertiges Gemüt an. Der leicht geschlossene Mund zeugt von Kaltblütigkeit, Eigensinn, aber auch von großer Ordnungsliebe und Pünktlichkeit. Ein geöffneter Mund, der die Zähne zeigt, hat etwas Herausforderndes im Ausdruck, zeugt aber von Dummheit, Denkuntätigkeit und Stumpfsinn. Ein an den Seiten in die Höhe gezogener Mund deutet auf Ziererei, Eitelkeit, Leichtfertigkeit und Bosheit. Der zusammengezogene Mund mit gekräusten Lippen verrät die Absicht, den Mund kleiner erscheinen zu lassen und deutet auf Spottsucht, Spitzfindigkeit[214] und Koketterie. Unstatthaft ist es, mit den Zähnen auf den Lippen zu kauen oder mit der Zunge an den Zähnen im Mund herumzufahren.

Lachen und Lächeln. Das Lachen ist eine Art krampfhafter Bewegung, welche durch eine Aufregung der Nerven hervorgebracht ist. Es wird hervorgebracht durch ein inneres Freudengefühl. Wir fühlen uns dem verlachten Gegenstande überlegen. Dies ist auch der Grund, weshalb für den einen Menschen ein Gegenstand lächerlich, d.h. lachenerregend sein kann, der für einen anderen ganz gleichgültig, vielleicht sogar ernst und erhaben ist. Der Ungebildete wird sich schon da auf eine geistige Überlegenheit etwas zugute tun und also lachen, wo der Gebildete die Sache als etwas ganz Selbstverständliches betrachtet. Daher hat man mit Recht gesagt, daß der Mensch seinen Bildungsgrad durch nichts besser dokumentieren kann, als durch das, was er belacht.

Der Ungebildete lacht über einen Hanswurst, an dem der Gebildete gleichgültig oder gar ärgerlich vorübergeht. Der Gebildete lacht über einen Witz oder über eine Charaktereigentümlichkeit, wofür die Fassungskraft des Ungebildeten nicht ausreicht.

Das Lachenerregende oder Lächerliche heißt in der Kunstsprache der Ästhetik das Komische. Es ist daher klar, warum man zwischen einer höheren und niederen, einer feinen und derben Komik unterscheidet. Beide Arten der Komik gehen auf Hervorbringung des Lachens aus, nur wenden sie sich an verschiedene Bildungskreise.

Man unterscheidet zwei Arten des Lachens: das innerliche verhaltene oder unterdrückte und das äußerliche, sichtbare Lachen, wobei der Mund geschlossen oder geöffnet sein kann; beim letzteren Fall zeigt der Mund eine besondere Stellung. Die Skala des Lachens geht vom leisesten Lächeln bis zum stärksten Grinsen und Hellauflachen, wobei sich das Gesicht zur Grimmasse verzieht und das übliche »Hahaha« zu Gehör kommt.

Wie man sich bei allen physischen Äußerungen beherrschen lernen muß, so muß man auch das Lachen in seiner Gewalt haben und es unterdrücken können, wenn es der gute[215] Ton und die Rücksicht auf andere erfordern, selbst wenn ein komischer Anlaß noch so sehr dazu reizen sollte. Dies ist nun gar nicht leicht, da bekanntlich das Lachen sehr zum Mitlachen reizt. Lachen steckt an. Fortwährendes Lachen ist ein Zeichen der Albernheit. Sehr lautes Lachen verrät Mangel an Bildung und deutet auf einen derben Charakter.

Lächeln. Das Lächeln kann der Akzent des Gesichts genannt werden. Die Anmut des Lächelns kann als zuverlässiger Barometer der Herzensgüte und des Adels des Charakters dienen. Hebt sich der Mund leicht nach den Winkeln, so ist der Ausdruck des Lächelns Verachtung.

Zieht sieh der Mund hernieder wie ein Hufeisen, so ist es ein unedles, obscönes Lächeln.

Zieht sich der Mund in die Breite, nach den Ohren zu, so ist das Lächeln bitter, oft sogar grausam. Zieht sich der Mund nach den Schläfen hin, so ist es ein geistreiches Lächeln. Verzieht sich der Mund beim Lächeln auf unnatürliche Weise so deutet es auf Zwang oder Verstellung.

Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 198-216.
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