Damenwahl.

[259] In manchen Kreisen ist man der Ansicht, daß eine Dame sich keinen Herrn wählen dürfe, der sie nicht schon vorher engagiert hatte. Hierüber eine besondere Regel aufzustellen, würde dem Grundbegriffe einer Damenwahl widersprechen. Eine Dame darf in diesem Fall ebenso frei unter den Herren wählen, wie der Herr sonst eine Dame wählt.

Als allgemeine Regel dürfte hierüber gelten, daß eine Dame vielleicht den Sohn oder sonst ein Mitglied der Familie des Festgebers oder den Herrn, der sie zum ersten Tanz gewählt etc. erst engagiert. Der unliebsame Wettlauf, wie man ihn seitens der Herren oft sehen kann, wenn es gilt, eine bevorzugte Dame zn engagieren, darf von den Damen auch nicht entriert werden.

Bevor eine Dame auf die Herren zugeht, überlege sie vorher, welchen Herrn sie engagieren will. Sollte ihr jedoch eine Dame, welche denselben Herrn zu engagieren beabsichtigt, dabei zuvorkommen, so wähle sie, – nahe dem Ziel ihren Kurs ändernd – einen andern Herrn, gehe aber auf keinen Fall ohne zu wählen auf ihren Platz zurück.

Es haben, da in Gesellschaft Höflichkeit und Artigkeit auf Gegenseitigkeit beruhen, die Damen auch den Herren die nötige Beachtung zu schenken, damit nicht ein oder einige Herren vergessen werden und den ganzen Tanz sitzen müssen, was nicht allein langweilig, sondern auch peinlich für diese wird.

Eine Dame gehe beim Wählen nicht zögernd nach dem Herrn, als sei ihr dieses unlieb, auch bleibe keine Dame auf ihrem Platz, ohne sich an der Damenwahl zu beteiligen, am allerwenigsten aber dürfen Damen oder Herren bei diesem Tanze sich aus dem Saal entfernen.

Daß eine Dame ein und denselben Herrn mehrere Mal in dieser Tour holt, schickt sich nicht. Ebenso wäre es unpassend,[259] wollte eine Dame den Herrn nach beendetem Tanze an seinen Platz bringen.

Wie bei allen Tänzen, so bringt auch hierbei der Herr die Dame zu Platz, da er, ganz davon abgesehen, daß das Gegenteil schlecht aussehen würde, dieses von der Dame weder verlangen noch annehmen darf. Zum Dank für die erwiesene Aufmerksamkeit oder unter Umständen für die Ehre, die ihm durch das Engagement erwiesen, führt der Herr die Dame an ihren Platz.


Quelle:
Samsreither, J. V. & Sohn: Der Wohlanstand. Altona-Hamburg 2[1900], S. 259-260.
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