Baden, Basel, Bern, Solothurn, Aarau, Baden, Zurzach.

[109] Nun ging's nach Baden. In einem halben Tag war die Reise zurückgelegt. Viel hatten wir noch nicht zu tun. Nur einmal spielte ich mit, und das in einem Schäfernachspiel »Das Kätzchen, genannt die Margeris.« Madame Ackermann lachte über mich, daß ihr die Tränen in die Augen kamen, und sagte: »Ist ein herrlich Mädchen.« Und zweimal haben wir getanzt. Blieben kaum drei Wochen da, so reisten wir wieder fort nach Basel, wo uns Herr Ackermann alle erwartete. Nun ging's ernsthafter an die Arbeit. In allen Balletten hatten wir mitzutanzen, und ich bekam auch Rollen. Die erste, die ich gespielt habe, war wieder die Margeris, und die zweite? Da wurde denn endlich mein Herzenswunsch erfüllt, es war die Chimene. Der Beifall, der aus allen Ecken erscholl, war groß. Und weil ich gewiß nach meinem Alter alles geleistet, was man nur von der ältesten und erfahrensten Schauspielerin fordern kann, hieß es: »Ja, heute hat sie sehr gut gespielt; aber das macht, sie hat unsern Ton angenommen.« Ob sich nun der Ton so geschwind lernen läßt, überlasse ich jedem Vernünftigen zu beurteilen. Ueberhaupt habe ich meine Bildung auf dem Theater niemand zu verdanken, als mir selbst, meinem Fleiß, meinem Nachdenken und den guten Grundsätzen meines Vaters. Wer hätte mich das lehren sollen? Wenn es auch welche gekonnt hätten, denen ließ es ihr Neid und ihre Mißgunst nicht zu. Denn ich glaube nicht, daß vor mir, noch nach mir wieder eine Schauspielerin kommt, die mehr Verfolgung erlitten hat als ich, die mehr unterdrückt worden. Und ich gestehe es selbst: ein Wunder ist's, daß ich das geworden, was ich war. Zum Glück für mich[109] war mein munteres Temperament. Wär das nur im geringsten melancholisch gewesen, würde man mich verzagt gemacht haben. Freuen würde ich mich, wenn ich, da ich aller meiner Wohltäter in diesen Blättern nachgedenke, auch den oder die nennen könnte, denen ich dankbar eingestünde: Dir verdanke ich's, daß ich das wurde, was ich war. So aber keinen, keinen, was man auch in die Welt gedruckte und ungedruckte Lügen über mich hineingeschickt hat. Kopiert habe ich auch keinen, müßte denn einige Male aus Spaß geschehen sein, um mich über die gar zu viel und unfehlbar Glaubenden lustig zu machen. Denn was kommt bei Kopieren heraus? Nur wenige weiß ich, denen es ganz geglückt. Könnte sie nennen, wenn ich wollte. Doch sie gehören nicht in meine Geschichte. Manche, aus denen viel gemacht wird, haben einen trefflichen Schauspieler sowohl in traurigen wie lustigen und launischen Rollen kopiert. Aber wie? Wie man die Kopie in einer tragischen Rolle sieht, so sieht man ihn in allen, und so geht's mit den komischen und launischen. Nur haben die Kopien vergessen, den großen Mann in seiner Mannigfaltigkeit zu studieren, daß er, so oft ihn der Zuschauer in einer neuen Rolle sieht, auch immer wieder neu ist. Aber wie viele Zuschauer sind denn wohl, die das verstehen, zu beurteilen? Größer wär unsere Kunst? Nein, ich sage, sie fällt, fällt und fällt immer mehr. Vor lauter Natur weiß kein Zuschauer, der nicht recht nahe am Theater sitzt, was sie haben gesagt oder sagen wollen, und besonders da, wo nicht der Gebrauch ist, daß Stücke dürfen wiederholt werden. Doch ich komme von meiner Geschichte ganz ab, werde, was diesen Punkt betrifft, noch oft genug Gelegenheit haben. Also weiter!

Nun bekam ich immer mehr und mehr Rollen1; fleißig[110] war ich und gab mir auch mit der kleinsten von wenigen Worten so viel Mühe, wie sich die, die die größten spielten, nicht geben konnten.

Gleich nach der Messe in Basel reisten wir nach Bern. Auch da spielte und tanzte ich mit Beifall. Merkwürdiges fiel mir nicht vor. Kabalen, Lästerung, Neid und Bosheit ist bei dem Theater unvermeidlich. Auch der Rechtschaffenste soll es nicht sein. Ich kümmerte mich um weiter nichts als um meine Arbeit und ließ jedem seine Narrheit, wie sie ihm am besten anstand. Wir blieben in Bern bis in Fasten 1759, reisten fort und fingen nach Ostern in Solothurn an. In Bern war zu uns gekommen Herr und Madame Doebbelin und Madame Hensel. Von da reisten wir nach Aarau, dann wieder nach Baden und von Baden nach Zurzach. Wie wir uns und unser Herr Wirt sich freuten, einander zu sehen! Er hatte für uns zwei Kammern aufgehoben; auch speisten wir nun alle Mittag und Abend an der Tafel mit ihm. Der Mann traktierte trefflich. Sonntags, wenn die erste Komödie vorbei war, brachte er uns selbst gebratene Hühner oder andere gute Braten, Brot und guten alten Wein aufs Theater. »Haben viel zu arbeiten, und das gibt Kräfte.« Kurz, der Mann tat an uns, was kein Bruder in unserer jetzigen Zeit mehr an dem andern tut. Wie wir wegreisten, war seine Rechnung zwar wieder alle Woche 9 Fl.; aber wir schütteten wieder all unser bißchen Geld auf den Tisch. Er nahm etliche Gulden ungezählt davon und ließ uns reisen. Das weiß Gott, daß ich oft gewünscht hatte,[111] nachher, wie mich Gott in bessere Umstände versetzt hatte, dem Mann oder seinen Kindern Gutes zu tun. Denn für uns war's so eine Wohltat, die nicht größer hätte sein können bei 9 Fl. die Woche und immer auf Reisen.

Als wir nach Zurzach kamen, ließen wir Mad. Doebbelin und Mad. Curioni in Baden zurück. Beide starben auch in Zeit von 14 Tagen. Und ohnmöglich kann ich mit Stillschweigen eine edle Handlung von Herrn und Mad. Ackermann übergehen. Ohngeachtet alle zwei Frauen, seit wir in Bern waren, die eine nicht mehr gespielt und die andere nicht mehr getanzt, so haben sie doch immer ihre volle Gage bekommen. Zeige man mir jetzt die Direkteurs! 6 Wochen, und wenn sich's da nicht bessert, müssen die Schauspieler von ihrem Gehalt ihren leidenden Kameraden erhalten. Der Direkteur ließ ihn umkommen und damit man nicht denkt, daß ich eine Unwahrheit schreibe und man auch keinem gutherzigen Direkteur unrecht tut: Herr Großmann ist der Direkteur und Herr Schiemann der kranke Schauspieler.

1

W.H.: [Von Basel an hat sie keinen Tag frei. Zwar spielt sie noch nicht in den meisten Stücken, aber in allen Balletts tanzt sie mit.] Mein Bruder bekam keine einzige gute Rolle. Briefträger, Soldatenanführer und Statisten war sein Fach. Nun ward sein ganzer Fleiß auf die Tanzkunst gelegt. Ich arbeitete mit ihm viele Stunden und hatte es nur meiner außerordentlichen, gefunden Natur zu verdanken, daß ich nicht die Schwindsucht bekam. In Bern gab mein Bruder das erste Ballett her: Die betrunkenen Bauern. Curioni setzte Konzert und Finale. Das Ballett gefiel. H. Ackermann sagte (nach seiner gewöhnlichen Art, wenn er's gut meinte): »Hast's gut gemacht, Junge; mach bald wieder eins!« So lieferte er manche neue Balletts, die gefielen und der Kaffe Nutzen brachten. So bestrebte er sich, kein unnützes Mitglied bei dem Ganzen zu sein. Jahre darauf, als große Veränderungen bei der Gesellschaft vorfielen, sollte er auch spielen, bekam schöne Rollen, aber da war's zu spät. Er lebte ganz fürs Ballett. Chevaliers und Dümmerlinge waren die einzigen Rollen, die er leidlich spielte. Gerne gab er, sobald nur einer zur Gesellschaft kam, ernsthafte Rollen ab.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 109-112.
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