Empfang der Braut.

[1] In Braunschweig bekommt sie Wilhelms 110. Brief und außerdem 10 frische Dörsche, herrlich schmeckende Fische, die auf seine Gesundheit verzehrt werden. Sie schreibt ihm nun auch ihren letzten, den 112. Brief. In Lüneburg erregt die schöne Braut, die an diesem Tage ein grünes, mit Gold reich besetztes Amazonenkleid und einen Hut mit weißer Feder trägt, die Bewunderung der Leute. Mit jeder Stunde klopft ihr Herz bänger und bänger. Einen Bauern, der ihr mit einem Kohlwagen begegnet, fragt sie auf plattdeutsch, ob Fremde aus Hamburg auf dem Hopt sind.

»Ja, Mamsell!« »Nun, Kutscher, fahr zu, fahr zu, fahr zu!« Der Kerl gehorchte, und mein Wagen flog. Ach, und mir schien's, als ob es nicht von der Stelle ging. Nun kam ich dem Hopt näher. Schon sah ich das Haus, wo sie sein mußten. Ich sah durch dürre Bäume etwas Rotes schimmern. Ha, das ist Madame Herzog in ihrem roten Pelz. »Kutscher fahr doch zu!« Nun sah ich aus dem Haus meinen Wilhelm eilen im grünen Kleide, die Herzog und ihren Mann; sie sehen, die Kutschentür aufreißen, aus dem Wagen springen und meinem Wilhelm in die Arme fallen, war nur ein Augenblick. Sprechen noch denken konnte ich nichts, nur sehen und fühlen, daß ich in Wilhelms, in meines Wilhelms Armen lag.

Alle vier sind nun innig froh. Nur Christian geht sehr mürrisch umher. Endlich schüttelt er sich zurecht, räuspert sich, spukt aus und stellt sich zwei Schritte vor dem Brautpaare ganz gerade auf, um die wohlvorbereitete Rede anzubringen, zu der ihm Karolines ungestümes Herausspringen keine Zeit gelassen. Sein ganzes Konzept war ihm dadurch verrückt worden; denn er hatte sie ganz ambassadeur- und zeremoniellmäßig überliefern wollen, das Kleinod, das ihm anvertraut worden, sie, die er auf diesen seinen Armen getragen, damit sie ihren Fuß nicht in den Kot setzte.

[1] Bei schönstem Wetter fahren sie in einem Ewer über die Elbe nach Zollenspieker. Von da geht es nach Bergedorf, wo man übernachtet. Abends erzählt die Herzog ihrer Freundin noch viel von der Familie, in die sie hineinheiratet. Am nächsten Tag fährt man erst nachmittags nach Hamburg. Zu Wilhelms ältester Schwester, der Mad. Fritsch und ihrem Mann, geht es. Das sind freundliche Leute. Sie haben eine Tochter, ein munteres, liebes Geschöpf von 22 Jahren. Ferner wohnt bei ihnen die unverheiratete 64jährige Schwester des Hausherrn, eine Angehörige des Johannisklosters. Außer diesen Leutchen findet sie aber zu ihrer Ueberraschung noch einen ganzen Riesenschwarm von Verwandten und Freunden vor. »Ma soeur, ma tante,« schwirrt es um sie. Am Fenster stand ein ziemlich kleiner, dicker Mann in schwarzem Rock und runder Perücke, mit Kopf und Gesicht wie der Vollmond. Er zeigte allen seinen breiten Rücken und betrachtete die Sterne.

Nachdem sie sich gegen jeden stumm verneigt und alle Damen geküßt, bittet sie ihren Wilhelm, sie vorzustellen. Ihr guter Wilhelm aber stand da, als wenn er's Fieber hätte, blaß von Gesicht und klappernd mit den Zähnen, Tränen in den Augen, wollte reden, konnte aber nicht. Der mit anwesende Professor Nölting, der einzige, der sie kennt, übernimmt darum das Vorstellen. Der am Fenster ist Abendroth. »Ach, mein Bruder!« sagte sie so ganz aus der Fülle ihres Herzens und wollte ihm um den Hals fallen. Er aber streckte sehr lang seine Hand aus und murmelte ein »Gehorsamer Diener«. Er sollte sich über ihr spätes Kommen geärgert haben. Unzartheiten kamen auch sonst vor, so, wenn der Bräutigam und zwei weibliche Verwandte in dem für sie eingeräumten Zimmer weinend vor ihr stehen, nachdem ihr gesagt ist, daß man untröstlich sein würde, wenn Wilhelm, der Liebling der Familie, nicht glücklich werden würde. Bei Tische gerät die angeblich so friedliebende Familie in einen wüsten Streit, ob es besser wäre, vom Schlage gerührt, Knall und Fall zu sterben, oder durch Krankheit gewarnt. Die Braut leitet durch irgendeine Geschichte das Gespräch in ruhiges Fahrwasser. Es war fast so weit gewesen, daß sie sich Schurken nannten und sich Flaschen und Teller an die Köpfe warfen.

Nach 12 Uhr fahren die Gäste alle fort. Schwägerin und Nichte wollen ihr beim Auskleiden helfen. Auch dem Dienstmädchen gegenüber will sie von hamburgischem Brauch beim Ausziehen der Schuhe und Strümpfe nichts wissen. Beim Frühstück am andern Morgen ist sie mit Fritschs schon sehr fröhlich und gemütlich. Und als Wilhelm kommt, sagt die alte, mit dem messingnen Hörrohr bewaffnete Mamsell Fritsch zu ihm: »Er hat recht gehabt, mon frère, daß er sich so eine Braut gewählt und sich von allen denen Narren nicht hat abraten lassen. Wäre ich ein Mann wie er, fürwahr, sie hätte mich selbst verliebt gemacht.« Kummerfeld freut sich und sagt: »Ja, lernt nur erst mein gutes Linchen ganz[2] kennen! Doch nun muß ich fort in die Bank.« Sie trägt ihm ihr Kompliment an alle seine Herren Kollegen auf, die bald auch die ihren sein würden, worüber alle herzlich lachen.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 1-3.
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