Abschied von Linz.

[118] Meine Maladie und dabei ein anhaltender Blutauswurf mattete mich sehr ab. So krank ich mich oft fühlte, spielte ich doch. Es war kurz vor Michaeli. Ich freute mich, daß ich in 5 Tagen nichts zu tun hatte, um mich abwarten zu können, als der Herr Graf von Rosenberg einen Bedienten schickte. Der Bediente, da er in die Stube trat und mich sah, erschrak und sagte, ohne mir vorher seinen Auftrag zu sagen: »Ach, Herr Jesus! Madame, wie sehen Sie aus!« »Ich bin die letzte Nacht sehr krank gewesen, bin es noch. Wird wohl bis zum Dienstag besser werden. Was will Er?« Der Bediente: »Der Herr Graf von Rosenberg schickt mich. Er läßt Ihnen seine Empfehlung machen, und Sie möchten doch so gut sein und zur Tanzprobe kommen. Sollen mit tanzen in einem neuen großen Ballett von Herrn Herscheldt.« Ich: »Mein liebes Kind, sage Er dem Herrn Grafen, was Er gesagt, wie[118] Er jetzt zu mir in die Stube trat: ›Herr Jesus, Madame, wie sehen Sie aus!‹ Dies sei Zeuge, daß ich weder zur Tanzprobe gehen, noch mittanzen kann.«

Dies oder weil es die Umstände nicht anders mit sich brachten, veranlaßte den Herrn Grafen, mir gleich nach Michaeli sagen zu lassen, daß die Unternehmer des Theaters darauf sehen müßten, Schauspieler und Schauspielerinnen zu haben, die zugleich mit tanzten. Wollte ich mich dazu entschließen wie die andern, so wäre es ihnen lieb, wenn ich bliebe; wo nicht, so könnten sie mich nicht länger behalten. Ich wählte das letztere, meinen Abschied auf die Fasten. Meine Gesundheit erlaubte es nicht. Und wäre ich auch wirklich noch das Weib gewesen, wie ich das Mädchen vor 15 Jahren war, bei den Tanzproben hätte ich die Schwind- und Gallsucht und alle möglichen Suchten an den Hals bekommen.

Daß man in der Komödie alles leistete und mehr tat, als die Schuldigkeit war, daß man seine eigene Garderobe trug, wovon kein Wort im Kontrakt stand – und es war kein rechtliches Frauenzimmerkleid in der ganzen Garderobe –, das ward für nichts gerechnet. Die Stadt und Gegend gefiel mir, sie sind angenehm; auch hatte ich Bekanntschaft in ein paar Häusern, wo es mir wohl gefiel. Auch war es nicht teuer zu leben, und hätte ich nicht das Unglück gehabt, daß man mir aus meinem verschlossenen Zimmer, ohne das französische Schloß an der Tür zu beschädigen, den 18. April des Abends zwischen 7 und 8 Uhr (da hörte man es, glaubte aber nicht, daß es ein Dieb sei), wie ich die Julie im »Romeo« spielte, zwei Uhren, eine goldene und eine silberne, nebst einer silbernen Tabaksdose gestohlen, so würde ich keinen Schaden gehabt haben. Inzwischen mußte ich Gott danken, daß es dem Dieb nur um Uhren zu tun war. Aus der Dose nahm er vielleicht eine Prise Tabak und steckte solche in Gedanken in seine Tasche, anstatt sie wieder auf die Toilette zu setzen. Sonst nahm er nichts mit, sogar mein Geldbeutel blieb unangerührt auf dem Tisch liegen. Das war ein recht christlicher Dieb.[119]

Man mußte in Linz an eine eigene Art von Schauspielern gewöhnt gewesen sein. Verschiedene Monate darauf wurde auch Herr Borchers bestohlen. Nun sagte man mir, jetzt glaube man, daß mir meine Uhren und Dose wäre gestohlen worden; man hätte gedacht, ich hätte es nur so gesagt, in der Hoffnung, ein Präsent zu bekommen, weil den Abend »Romeo und Julie« war. Auch hätte ich nicht geweint und wäre nicht traurig genug um solchen Verlust gewesen. Die haben mich und meinen Charakter recht gekannt! – Herr Borchers entdeckte seine Diebin, ich aber war nicht so glücklich, meinen Dieb zu entdecken. Er konnte sich aus seinem zertrennten Rock noch einen Frack machen lassen und aus den abgeschnittenen Vorhängen Schnupftücher. Ich aber mußte mir ein neues Petschaft stechen lassen und einen Uhrschlüssel an meine Uhr, die sie mir ließen, weil ich sie zur Julie bei mir hatte, kaufen.

Ich blieb lange unschlüssig, was ich tun sollte. Kochs Theater, das mein letztes war, hatte ich immer mir vor Augen schweben. Die Ordnung, die Ruhe, der Respekt, die Achtung untereinander selbst, ach, all das Vortreffliche ist mit Koch zu Grabe gegangen. Wohl war mein neunjähriger Privatstand zwar mit manchen trüben Wolken vermischt, aber so ein Hottentotten- und Zigeunerleben?! Wenn man sich auch zurückzieht, wenn man sich in acht genommen, mit keinem einen Zank gehabt, wer kann sich so verleugnen, daß er zeitlebens blind, taub, stumm und unempfindlich bleiben soll?! Und das muß jetzt der Gutdenkende bei dem Theaterleben sein, wenn er Ruhe haben will. Schade, um noch manchen guten, gesitteten Menschen, den sein Schicksal zwingt, dabei zu bleiben. Ich entschloß mich, ganz davon abzugehen, noch eher, als ich es im Sinn hatte, da ich es in Hamburg 1777 wieder betrat. Ich schrieb damals an meine vertrautesten Freunde: »Wenn es Gottes Wille ist, länger als 10 Jahre bleibe ich nicht auf dem Theater. So lange wünschte ich, bei solchem zu arbeiten, mir eine kleine Summe Geldes zu ersparen und mich dann zur Ruhe zu setzen; freilich nicht, um von meinen Interessen leben zu können, dazu gehört viel, nein, auch zu erwerben im Privatstand, mit Handarbeit.[120] Wenn ich nur soviel gewiß habe an Einkünften, daß ich nicht für Miete, Feuerung und Wäscherlohn sorgen muß. Soviel ich zu meiner Lebensnahrung gebrauche, verdiene ich gewiß mit meinen Händen.«

Nach Frankfurt am Main hatte ich mein Augenmerk gerichtet, weil mein Bruder dort als Tanzmeister sein gutes Auskommen hatte und bald drei Jahre da war. Ich hoffte alles durch die Vermittelung seiner Freunde, die ihn so rechtschaffen unterstützten. Mein Bruder schrieb mir, ich sollte kommen. Mit frohem Herzen nahm ich Abschied. Herr Borchers allein ging mir nahe. Er sagte, als ich zu ihm hinkam, indem er von meinen Rollen eine nach der andern in die Hände nahm: »Wem werde ich nun, wenn Sie weg sind, meine Weiber geben?« »Das weiß ich nicht. Doch lassen Sie das Sorgen! Hier kommt es an bei der Direktion, nicht darauf, wie sie gespielt werden, wenn man nur alles macht: spielt, tanzt und singt. Sie haben Ihren guten Akkord, und die Mohren waschen Sie nie weiß.«

Oeffentlich danke ich Herrn Borchers, daß er so freundschaftlich mich behandelt, und mich freut es innig, daß ich ihn gewiß nie, nie mit einem Gedanken beleidigt. Allen gutgesinnten Schauspielern wünsche ich einen Direkteur, wie Herr Borchers, und Herrn Borchers als Direkteur und Schauspieler solche Kollegen und Kolleginnen, wie ich war. Den 4. März 1783 spielte ich das letztemal. – Zweihundertmal ist in dem Jahr gespielt worden. Hundertzwanzigmal habe ich mitgespielt, ohne die Ballette. Ich hatte 63 Rollen, und neu einstudiert 39. Ich glaube, ich bin auch in Linz fleißig gewesen. Den 25. März reiste ich von Linz ab und kam den 2. April in Frankfurt gesund und wohl an.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 118-121.
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