Die ersten zehn Jahre in Kassel bis zur Schliessung des Hoftheaters

[126] 1822–1832


Kaum in Kassel angelangt, wurde ich zum Kurfürsten berufen, der mich höchst wohlwollend empfing und mir viel Schmeichelhaftes sagte, unter anderm, daß er hoffe, seine Oper durch mich zu einer der ausgezeichnetsten Deutschlands gebracht zu sehen, und mich deshalb beauftragte, geeignete Vorschläge zu machen, wie dies Ziel zu erreichen sei. Ich erbat mir dazu eine Frist von vierzehn Tagen, um die vorhandenen Kräfte erst genau kennen zu lernen. Ich hörte nun einige Proben und Aufführungen mit an und übernahm dann mein neues Amt mit der Direktion des Winterschen »Opferfest«. Da es dem bisherigen Musikdirektor Benzon, wie ich allgemein erzählen hörte, so sehr an Autorität gefehlt hatte, daß die Sänger und das Orchester sich seinen Anordnungen ohne weiteres widersetzten (was dann auch seine Entlassung herbeigeführt hatte), so hielt ich es für nötig, die Zügel sogleich etwas scharf anzuziehen. Ich nahm es daher bei den Proben zum »Opferfest« sehr genau, fand aber weder bei dem Gesangpersonal, noch bei dem Orchester den mindesten Widerspruch und konnte daher schon bei der ersten Oper, die ich dirigierte, ein besseres Ensemble, als man es bisher gewohnt gewesen war, herstellen. Dies wurde auch allgemein anerkannt und erwarb mir sogleich das Zutrauen des Fürsten wie auch des sämtlichen Theaterpersonals. – Da ich unter den Sängern bereits einige ausgezeichnete vorfand, namentlich den ersten Tenor, Herrn Gerstäcker, und die erste Sängerin, Frl. Dietrich, und erfuhr, daß Herr Feige bereits mit mehreren andern ausgezeichneten Künstlern in Unterhandlung stehe, so beschränkten sich die Vorschläge, die ich nun einreichte, vor der Hand nur auf Vermehrung und Verbesserung[127] des Chor- und Orchesterpersonals. Letzteres bestand zum Teil aus Zivilmusikern, zum Teil aus Mitgliedern der Gardemusik. Unter diesen letzteren befanden sich sehr ausgezeichnete Künstler, denen der Kurfürst ebenfalls wie den Zivilmusikern Anstellungsreskripte auf Lebenszeit bewilligt hatte. Ich konnte es daher nicht mehr durchsetzen, daß das Orchester, um die Kollision zwischen dem Militär- und Orchesterdienst zu vermeiden, aus lauter Zivilmusikern zusammengesetzt werde. Wenigstens hoffte ich aber den Übelstand zu beseitigen, daß die Militärmusiker in vollständiger Uniform erscheinen mußten, was mir beim ersten Besuch des Theaters sehr aufgefallen war. Aber auch dies gelang mir nicht, denn der Kurfürst erwiderte auf meine Vorstellung, »es sei gegen die Militäretikette, daß ein Soldat anders als in voller Uniform vor ihm erscheine«, und als ich nun noch hinzufügte, die enge Uniform erschwere auch den Orchesterdienst, und die hohen Epauletts machten es namentlich den Geigern ganz unmöglich, ihr Instrument so zu halten, wie es sein müsse, so verfügte er lieber, daß den Musikern eine besondere, bequeme Uniform ohne Epauletts für den Orchesterdienst verfertigt werde, als daß er seiner Grille entsagt hätte. Auch meinen weiteren Vorschlag, nun auch den Zivilmusikern dieselbe Orchesteruniform zu geben, verwarf er, und so blieb dies buntscheckige Orchester zum Erstaunen aller Fremden, bis 1830 die Revolution in Hessen den jetzigen Kurfürsten zur Regierung brachte.

Meine Vorschläge zur Vermehrung und Verbesserung des Orchesters wurden aber sämtlich genehmigt und mir der Auftrag erteilt, noch einige gute Geiger sowie ausgezeichnete Solobläser für die ersten Blasinstrumente zu engagieren. Dadurch wurde mir Gelegenheit geboten, meinen Bruder Ferdinand, der nach seinem Abgange von Wien ein Engagement in der Berliner Kapelle gefunden hatte, nun wieder in meine Nähe zu ziehen. Ein Gleiches gelang mir auch mit meinem ehemaligen Schüler und Freunde Hauptmann. Beide wurden auf Lebenszeit reskribiert. Auch einige andere ausgezeichnete Künstler für die Blasinstrumente fanden sich bald, und so wurde das Orchester durch diesen Zuwachs und ein fleißiges Einüben binnen kurzer Zeit eines der vorzüglichsten in Deutschland und ist es auch trotz allem Wechsel der Personen bis jetzt (1853) geblieben.

Doch zurück zum Jahr 1822. Mein Amtsantritt wurde vom Theaterpersonal durch eine solenne Festivität gefeiert, bei der die beiden Chefs der Theaterverwaltung, der Intendant, Polizeidirektor von Manger, und der Generaldirektor Feige, präsidierten. Ich wurde angesungen, angeredet und betoastet und hatte für alles dies auf Worte des Dankes[128] zu sinnen. Da man mir von allen Seiten mit Freundlichkeit und selbst Herzlichkeit entgegenkam, gefiel ich mir ganz gut in diesem Zirkel. Das damalige Personal, größtenteils aus jungen Leuten bestehend, war überhaupt ein fröhliches und lebenslustiges Völkchen. Da nun der Kurfürst, der in den ersten Jahren seiner Regierung sehr freigebig war, dem Generaldirektor Feige besondere Repräsentationskosten zur Bewirtung der einheimischen und durchreisenden fremden Künstler ausgeworfen hatte, so gab dies Veranlassung zu häufigen Gesellschaften in den glänzend eingerichteten Besuchzimmern der Feigeschen Wohnung, bei welchen Madame Feige, die talentvolle Schauspielerin, die Wirtin machte. Diese Zusammenkünfte wurden durch Geist und Witz belebt, und es herrschte da eine zwar ungebundene, aber anständige Fröhlichkeit. Ich besuchte sie daher anfangs ziemlich oft und gern; gegen die Zeit jedoch, wo ich meine Familie erwartete, zog ich mich mehr zurück, teils weil ich mir sagen mußte, daß meiner Frau diese Zirkel doch nicht zusagen würden, teils weil ich durch häufigen und vertrauten Umgang mit dem Sängerpersonal an meiner amtlichen Autorität einzubüßen fürchtete.


Gleich in den ersten Tagen ließ ich mich der Frau Kurfürstin und den beiden Prinzessinnen vorstellen und wurde von ihr zu ihren Abendgesellschaften eingeladen. In einer derselben trug ich auf den Wunsch der Frau Kurfürstin einige meiner Quartetten vor, die ich zu dem Behufe mit den ausgezeichnetsten Mitgliedern der Hofkapelle, den Herren Wiele, Sologeiger, Barnbeck, Vorgeiger, und Hasemann, erstem Violoncellisten (meinem frühern Quartettisten in Frankfurt, der unlängst nach Kassel berufen war), im voraus einübte. Diese Musikpartie, die viel von sich reden machte, war wahrscheinlich die Veranlassung, daß der Kurfürst, der, von seiner Gemahlin getrennt, ihre Abendzirkel nie besuchte, mir den Auftrag gab, ein Hofkonzert zu veranstalten, um sich und seiner Geliebten, der Dem. Ortlöpp (später von ihm zur Gräfin Reichenbach erhoben), ebenfalls Gelegenheit zu verschaffen, mich spielen zu hören. Dieses Konzert, welches ich mit allem, was das Sängerpersonal und die Kapelle an ausgezeichneten Talenten darbot, ausstattete, wurde im großen Saale des Schlosses vor einer glänzenden Gesellschaft (bei der freilich die Frau Kurfürstin fehlte, weil Dem. Ortlöpp ihre Stelle vertrat) gegeben und machte, weil es das erste am neuen Hofe war, große Sensation. Es blieb aber doch für lange Zeit das einzige, weil der Kurfürst und seine Geliebte sich für Konzertmusik nur wenig interessierten.[129]

Auf den Wunsch der Kapelle übernahm ich auch die Direktion der Konzerte, die sie im neuen Stadtbausaale veranstaltet hatte, und trat auch in einem derselben als Solospieler auf. Im ersten Jahre wurde deren Ertrag noch wie bisher unter die Mitglieder der Kapelle verteilt, später aber auf meinen Vorschlag zu einer Witwen- und Unterstützungskasse für die Hinterlassenen verstorbener Kapellmitglieder angesammelt und von einem Komitee nach entworfenen Statuten verwaltet. Diese Unterstützungskasse, in die seit jener Zeit der Ertrag der in jedem Winter vom Hoforchester gegebenen Abonnementkonzerte und einer Oratoriumaufführung am Karfreitage fließt, besteht noch jetzt (1853) und hat im Laufe der Jahre manche Not der Witwen und Waisen verstorbener Orchestermitglieder gemildert. Die Konzerte werden aber schon seit vielen Jahren nicht mehr im Stadtbausaale, sondern im Hoftheater gegeben, und zwar seit der Zeit, daß der vorige Kurfürst sich zum Protektor der Anstalt und sein Hofmarschallamt zur Revision unserer Rechnungen ernannte und unserm Verein als Behörde vorsetzte.

Den Tag nach meiner Ankunft in Kassel wurde ich zur Gräfin von Hessenstein, der Geliebten des verstorbenen Kurfürsten, zu einer Musikpartie eingeladen. Ich traf dort die Dilettanten der Stadt, die sämtlich sangen, und zwar in sehr schlechter Manier. Da aber viele darunter mit guten Stimmen begabt waren, so brachte mich das auf die Idee, meine Wirksamkeit mit der Errichtung eines Gesangvereins zu beginnen. Ich knüpfte daher mit einigen der Sänger Bekanntschaft an und teilte ihnen meine Idee mit, und da sie sich zu interessieren schienen, so beredete ich mit ihnen, daß wir uns an einem der folgenden Tage versammeln wollten, um alles Erforderliche zu bereden. Der Verein trat am Cäcilientage ins Leben und nannte sich nach der Heiligen Cäcilienverein. Er wurde mit einer Hymne an die Heilige, von Frl. von Calenberg gedichtet und von mir komponiert, eröffnet, die aus Chören und einem Sopransolo bestand, womit meine älteste Tochter, die damals eine schöne Stimme besaß, großen Beifall einerntete. Der Verein sang in den ersten Jahren seines Bestehens einige Male in der katholischen Kirche eine Messe von Hauptmann mit Begleitung der Orgel während des Gottesdienstes und machte überhaupt in den wöchentlichen Übungen recht erfreuliche Fortschritte.

Meine Wirksamkeit im Theater begann, nachdem ich das Personal und Orchester genau kannte, mit dem Einüben meiner in Frankfurt geschriebenen Oper »Zemire und Azor«. Eine junge talentvolle Sängerin, Demoiselle Canzi, die damals in Kassel gastierte, sang die Zemire und Gerstäcker, der damals sehr bewunderte erste Tenor unserer Bühne,[130] den Azor. Da auch die übrigen Rollen der Oper gut besetzt waren, so konnte es nicht fehlen, daß sie hier ebenso günstig wie in Frankfurt aufgenommen wurde und während der Anwesenheit der Canzi, die eine sehr liebenswürdige Zemire war, sehr oft wiederholt wurde.


In einem Brief an Wilhelm Speyer vom 29. März 1822 schrieb Spohr:


»Nach der Vorstellung wurde ich gerufen, eine Auszeichnung, die, solange Kassel steht, noch keinem Komponisten widerfahren ist. Der Beifall, mit dem jedes Musikstück aufgenommen wurde, und der sich nach dem Ende zu immer mehr steigerte, hat mich einigermaßen über die ungünstige Aufnahme, welche die Oper in Wien und München gefunden hat, getröstet. Noch mehr hat mich aber der Umstand gefreut, daß die Oper mir selbst gefiel, der ich sie nun seit ein paar Jahren gar nicht gehört hatte und gegen ältere meiner Sachen ein gar strenger Richter bin. Ich habe mich nun aber überzeugt, daß diese Komposition so wie andere meiner Sachen nur recht genau und im Geiste des Werkes gegeben werden muß, um auch dem Nichtkenner zu gefallen, daß sie aber bei nachlässiger Aufführung leicht so verhunzt werden kann, daß auch der Kenner an ihr irre wird.«


Im Frühjahr 1822 kam meine Familie unter dem Schutze meines Bruders Ferdinand, der sie auf der Reise von Berlin hieher in Dresden abgeholt hatte, auch hier an, und ich bezog mit ihnen sogleich die neu gemietete Wohnung im Mansbachschen Hause auf der Belevue. Nun wieder im ruhigen häuslichen Kreise, begann ich auch sogleich, die neue Oper »Jessonda« zu komponieren, und beendigte sie im Dezember desselben Jahres. Einige Nummern daraus, die Ouvertüre, eine Arie der Jessonda und das bekannte Duett zwischen Amazili und Nadori des zweiten Akts wurden schon im selben Winter in den Abonnementkonzerten aufgeführt, und meine Tochter Emilie erntete dabei große Ehre ein. Die ganze Oper wurde zum erstenmal auf unserm Theater am Geburtstage des Kurfürsten am 28. Juli im folgenden Sommer gegeben und mit allgemeinem Beifall aufgenommen. Sie verbreitete sich daher auch bald auf andere Theater.


Diese kurzen Ausführungen Spohrs über sein erfolgreichstes Bühnenwerk ergänzen einige Stellen aus Briefen an W. Speyer über Komposition und erste Aufführungen der »Jessonda«:


26. Januar 1823. »... Wenn ich von dieser Oper mehr erwarte als von den früheren, so stützt sich das auf meine vermehrte Erfahrung und auf[131] die Begeisterung, mit der das wohlgeratene Buch mich fast bei jeder Nummer erfüllte. Um nie anders als in Stunden der Weihe an die Arbeit zu gehen, habe ich mir bei dieser auch mehr Zeit als bei allen früheren gegönnt.«


2. August 1823. »Sie wünschen durch mich von der ersten Aufführung der ›Jessonda‹ etwas zu erfahren; der Auftrag will sich für mich nicht recht schicken, denn ich werde, ohne es zu wollen, doch wohl zu ihrem Lobredner werden müssen. Der Effekt war groß ... Es ist hier Sitte, daß an Geburtstagen nur der Hof mit Applaudissement empfangen und dann die Oper ohne laute Äußerungen des Beifalls angehört wird. Das sollte diesmal auch so sein, aber schon vor Ende des ersten Aktes brach ein stürmischer Beifall los, und nun war die Etikette für den Rest des Abends vergessen. Die Aufführung war vorzüglich, die Solisten ausgezeichnet, Chöre und Orchester, Szenerie, Tänze, Scheingefechte, Umzüge, Gewitter, Dekorationen, Kostüme, alles vortrefflich: so mußte sie wohl eine große Wirkung hervorbringen. Mich hat diese Arbeit sehr glücklich gemacht, und ich darf hoffen, daß die Oper auch an anderen Orten großen Beifall haben wird, da sie viel leichter wie meine früheren ist, ein sehr interessantes Sujet und weit einfachere und größtenteils lieblichere Musik hat ...«


Am 25. 8. 23 nach der dritten Aufführung. »Das Haus faßte wieder nicht alle Zuströmenden. Der Enthusiasmus des Publikums steigerte sich so, daß ich am Ende der Vorstellung herausgerufen wurde. Die Oper bewährt sich auch bei mir selbst. Bis jetzt habe ich noch nichts so Gutes zustande gebracht ...«


Aus den Zimmern unserer Wohnung auf der Bellevue hatten wir eine sehr schöne Aussicht über die Aue hinüber in das Tal, wo die Leipziger Straße durchführt, und die Schönheit der Gegend veranlaßte uns zu häufigen Spaziergängen in die reizende Umgebung von Kassel. Auf diesen Gängen zogen uns hauptsächlich die vielen Gartenwohnungen an, die sich vor dem Wilhelmshöher wie vor dem Kölnischen Tore befinden, und da es anfing, uns hier sehr zu gefallen, so stieg auch bald der Wunsch in uns auf, eine solche Gartenwohnung, wie wir sie in Gotha bereits in Miete besessen hatten, nun als Eigentum zu erwerben. Wenn daher auf unseren Spaziergängen eine solche unser besonderes Wohlgefallen erregte, so fragte ich gewöhnlich an, ob sie dem Besitzer nicht feil sei, wurde aber öfters abgewiesen, bis mir endlich ein kleines Landhaus vor dem Kölnischen Tore, dicht bei der Stadt und nicht fern vom Theater in einer sehr ruhigen Gegend, allenthalben von Gärten[132] umringt, zum Kauf angetragen wurde. Da der dafür geforderte Preis mein kleines, in der Handlung von Wilhelm Speyer in Frankfurt angelegtes Vermögen nicht überstieg, so schloß ich den Kauf sogleich ab. Da wir unsre Stadtwohnung für das folgende Jahr anderweitig vermieten konnten, bezogen wir noch im Herbste das neue Eigentum und erfreuten uns gleich einer reichen Gemüse- und Obsternte. Das Einzige, was ich im neuen Hause vermißte, war ein geräumiges Musikzimmer. Ich ließ daher im ersten Stock eine Wand zwischen zwei Zimmern herausnehmen und gewann dadurch ein für eine Quartettpartie hinreichend geräumiges Zimmer, das für eine günstige Akustik jedoch zu niedrig war, weshalb ich mir für die Zukunft vornahm, einen Anbau mit einem Musiksaal errichten zu lassen.


Unsere neue stille Gartenwohnung begeisterte mich zu neuen Kompositionen, und so schrieb ich zuerst ein drittes Quartett zu den beiden schon in Dresden angefangenen, welche bei Peters in Leipzig als Op. 58 herausgekommen sind. Um dieses Quartett sowie die frühern zu hören zu geben, veranstaltete ich auch hier einen Quartettzirkel, wo abwechselnd bei einigen musikliebenden Familien wöchentlich drei Quartette exekutiert und die Abende mit einem frugalen Mahle beschlossen wurden. Anfangs bestand das Quartett aus mir, Herrn Wiele, dem Sologeiger und späteren Konzertmeister unsrer Hofkapelle, meinem Bruder Ferdinand, welcher die Viola übernahm, und unserm trefflichen Violoncellisten Hasemann. Da aber nach und nach, wie im Orchester, so auch in diesem kleinen Kreise der Tod aufräumte, so mußten andere an die Stelle treten, und es bedurfte dann immer einiger Zeit, bis wir das alte gewohnte Ensemble wieder gewannen. Zuerst wurde im Jahre 1831 mein Bruder abgerufen, dann Wiele, zuletzt Hasemann, immer aber die Lücken aus neuen Mitgliedern unsrer Hofkapelle wieder besetzt, so daß die Quartettpartien, welche jedoch nur während des Winters stattfanden, keinmal ganz aufhörten, und ich selbst bis in die neueste Zeit in denselben jedesmal zwei Quartetten gespielt habe. Nachdem ich das dritte Quartett des 58. Werkes vollendet hatte, bekam ich Lust, eine Idee auszuführen, mit der ich mich schon lange getragen hatte, und von der mir, wenn ich nicht irre, Andreas Romberg, als wir das letztenmal vor seinem Tode Quartett spielten, zuerst gesprochen hatte, nämlich die, mich in einem Doppelquartette zu versuchen. Der Umstand, daß Romberg sich jahrelang mit dem Gedanken beschäftigt hatte, ohne zu einem Versuche gekommen zu sein, reizte mich besonders, und ich stellte mir die Aufgabe, wie auch er sie aufgefaßt hatte, zwei Quartetten nebeneinander sitzend ein Musikstück ausführen zu lassen, dabei[133] aber die beiden Quartetten nach Art von Doppelchören häufig abwechseln und konzertieren zu lassen und das achtstimmige nur für die Hauptstellen der Komposition aufzusparen. Nach dieser Aufgabe schrieb ich also mein erstes Doppelquartett (Op. 65), begann das Thema des ersten Allegro mit beiden Quartetten unisono und forte, um es den Hörern recht einzuprägen, und führte es dann konzertierend durch beide Quartetten abwechselnd durch. Unter den zum Quartettzirkel gehörigen Familien besaß der Hofmarschall von der Malsburg das größte Lokal, weshalb ich wartete, bis an ihm die Reihe war, das Quartett zu halten, wählte dann die fähigsten meiner damaligen Schüler und einen zweiten Violoncellisten aus dem Orchester aus, studierte mit ihnen das neue Quartett gehörig ein und gab es unserm Zirkel zu hören. Ich hatte die Freude zu bemerken, daß seine Wirkung weit über die der einfachen Quartetten und Quintetten hinausreichte, und da diese neue Gattung von Kammermusik auch auswärts viel Anklang fand, wie es die häufigen Aufführungen derselben beweisen, so erwartete ich nichts anderes, als daß die Komponisten damaliger Zeit diese bald nachahmen und allgemein machen würden. Es ist dies aber ebensowenig der Fall gewesen wie mit einigen andern Erweiterungen der Kunstformen, die ich in späteren Jahren versucht habe, wie z.B. bei der Symphonie mit zwei Orchestern: »Irdisches und Göttliches im Menschenleben« (Op. 121), bei der historischen Symphonie (Op. 116) und der vierhändigen Klavierbegleitung zu einigen Tenorliedern. Nur ein einziger junger Komponist aus Lübeck, namens Pape, der später im Theaterorchester zu Bremen als Violoncellist angestellt ward, schickte mir einst ein Doppelquartett im Manuskripte zu. Er hatte viel Talent zur Komposition, fand aber keine Gelegenheit, seine Sachen zu veröffentlichen, und verkümmerte deshalb wie so viele junge Deutsche aus Mangel an Anerkennung. Auch dieses ist niemals herausgegeben worden, und so sind meine vier Doppelquartetten sowie auch die andern oben genannten Werke von mir die einzigen ihrer Gattung geblieben. Ein Oktett für Streichinstrumente von Mendelssohn-Bartholdy gehört nämlich einer ganz andern Kunstgattung an, in welcher die beiden Quartetten nicht doppelchörig miteinander konzertieren und abwechseln, sonderen alle acht Instrumente zusammenwirken. Diese Gattung, obwohl nicht so interessant als die Doppelquartetten, ist auch nachgeahmt worden, denn der Violoncellist Schuberth in Petersburg hat ein solches bei seinem Bruder, dem Musikverleger in Hamburg, herausgegeben, und es ist auch bei uns in Kassel mehrmals mit Beifall zur Ausführung gekommen![134]

In dieser Zeit beschäftigten mich noch verschiedene andere Kompositionen: zwei Potpourris über Themen aus »Jessonda« (Peters in Leipzig), der eine für Geige (Op. 66), der andere für Geige und Violoncell (Op. 64), welche beide im Laufe des Winters in unsern Abonnementkonzerten von mir vorgetragen wurden. Ferner komponierte ich eine Hymne an die hl. Cäcilie, die von Fräulein von Calenberg zu der am 22. November veranstalteten Feier des Cäcilientages gedichtet war und aus Chören nebst einem brillanten Sopransolo bestand, welches meine älteste Tochter Emilie damals sehr gut vortrug.


Zur Feier dieses Tages, welche der von mir gestiftete Singverein in diesem Jahr zum ersten Male beging, versammelte sich eine Gesellschaft von etwa 120 Personen, meist Angehörige der Vereinsmitglieder, in dem zu diesem Zwecke schön eingerichteten Österreichschen Saale, der mit dem lebensgroßen Bildnisse der hl. Cäcilie ausgeschmückt war. Die Festlichkeit begann mit der an die Heilige gerichteten Hymne, worauf ein Mitglied eine geistreiche Rede über das Wesen der Kunst hielt und mir unter den schmeichelhaftesten Ausdrücken des Dankes und der Anerkennung ein wertvolles Geschenk des Vereines überreichte, bestehend aus zwei großen, bronzenen Leuchtern, von dem später so berühmt gewordenen Bildhauer Henschel gefertigt, welche mit Szenen aus meinen drei hier gegebenen Opern verziert waren. Hierauf wurden ein Vaterunser von Fesca, das Salve regina von Hauptmann und während des Abendessens einige Lieder für Männerstimmen gesungen. Im folgenden Jahre komponierte Hauptmann zum Namenstage unserer Schutzheiligen eine ebenfalls von Fräulein von Calenberg gedichtete Hymne, und da sich diese sowie meine Komposition stets des ungeteiltesten Beifalls zu erfreuen hatte, so wurden beide Musikstücke abwechselnd bei allen spätern, am Cäcilientage stattfindenden Aufführungen vorgetragen. Die bei diesen Gelegenheiten gesammelten freiwilligen Beiträge dienten nur zu wohltätigen Zwecken, und die Feier des Tages wurde, wenn auch durch einzelne Störungen unterbrochen, doch bis in die neueste Zeit bald in engerer, bald in ausgedehnterer Weise begangen. Im folgenden Jahre (1824) erhielt ich eine Einladung vom Hofrat Küstner, der damals Direktor des Theaters in Leipzig war, meine Oper »Jessonda« auf seinem Theater in Szene zu setzen.


Ein Brief an Wilhelm Speyer vom 15. Februar 1824 berichtet über die Leipziger Erstaufführung der »Jessonda«:


»... Beim Eintritt ins Orchester wurde ich schon mit allgemeinem Jubel begrüßt, die Ouvertüre wurde stürmisch und anhaltend da capo verlangt,[135] da aber schon aufgezogen war, so ließ sich das Publikum es endlich gefallen, daß wir zur Introduktion schritten. Jede Nummer wurde mit lebhaftem Beifall aufgenommen, vier wurden noch da capo verlangt, worunter auch ein Chor, der erste des zweiten Aktes, sich befand. Den größten, wirklich wütenden Enthusiasmus erregte das Duett zwischen Amazili und Nadori. Gleich nach dem ersten Akt erhob sich in einer Loge des ersten Ranges ein Sprecher und hielt eine kleine Anrede an mich, in der er mich als einen wahren Meister deutscher Kunst bezeichnete, und forderte die Anwesenden auf, mir ein dreimaliges Lebehoch zu bringen. Dies geschah mit Begleitung von Trompeten und Pauken in einem Tutti, daß ich glaubte, die Mauern würden einstürzen. Ein gleiches bravo und ›da capo Jessonda!‹ verlautete beim Schluß der Oper. Der Hofrat Küstner, der früher mit mir um das Honorar gehandelt hatte, überschickte mir tags nach der Aufführung das Doppelte des Bedungenen, und wie ich bei der Abreise im Wirtshause die Rechnung bezahlen wollte, war sie schon berichtigt. Auch ein glänzendes Fest gab er mir. Peters, der Verleger des Klavierauszuges, erklärte mir auch nach der Aufführung, daß das von mir bestimmte Honorar nach dem nun zu erwartenden Erfolg der Oper zu gering angesetzt sei, und daß ich ihm erlauben solle, selbst eines dafür zu bestimmen. Bei dem Eindruck, den ich die Musik auf das große Publikum machen sah, darf ich nun wohl hoffen, daß sich diese Oper Bahn brechen und meine anderen beiden wohl auch noch mitschleppen wird. In Leipzig ist wenigstens schon die Rede davon, die Zemire neu in Szene zu setzen und den Faust einzustudieren ...«

Von Leipzig zurückgekehrt, erhielt ich vom Kurfürsten den Auftrag, für die Vermählungsfeier seiner Tochter, der Prinzessin Marie, mit dem Herzoge von Sachsen-Meiningen, die im nächsten Jahre stattfinden sollte, sich aber bis zum 24. März 1825 verzögerte, eine neue Oper zu schreiben. Schon in Wien hatte ich mich mit dem Gedanken beschäftigt, mir das Märchen von Musäus »Rübezahl« als Oper bearbeiten zu lassen. Ich wandte mich daher wieder an Herrn Eduard Gehe in Dresden, der mir das Buch zur »Jessonda« so ganz zu meiner Zufriedenheit bearbeitet hatte, und bat ihn, mir das genannte Märchen zu einer Oper einzurichten. Da ich ihm aber nicht wieder ein genaues Szenarium für die Oper einsenden konnte, weil ich über die Bearbeitung des Stoffs mit mir selbst noch nicht einig war, so hatte ihn seine Phantasie im Stich gelassen, und er schickte mir eine Bearbeitung, die mir gar nicht zusagte, und zu deren Komposition ich mich durchaus nicht aufgelegt fühlte. Nun hatte ich zu meiner Zeit in Frankfurt einen Pauker im Orchester[136] gehabt namens Georg Döring, der zugleich Literat war und sich seit jener Zeit durch einige gelungene Romane bekannt gemacht hatte. An diesen wandte ich mich nun wegen der Oper und teilte ihm auch meine Ansichten über die Bearbeitung des Stoffs mit, unter anderm auch, daß es mir unnötig scheine, daß eine große Oper, wie der Rübezahl werden sollte, mit Reimen versehen sei, die mir für die Komposition unnötig schienen, und zwar weil mir viel Seichtes in der Geheschen Bearbeitung des Rübezahl als Folge des Zwanges, den der Reim dem Dichter auferlegt hatte, erscheinen wollte. Als Folge dieser Bemerkung hatte dann auch Döring den Reim durchgehend vermieden, und obgleich dies vielfältig getadelt worden ist, so bin ich doch immer noch der Meinung, daß eine durchkomponierte Oper des Reims nicht bedarf, und daß bei meiner Oper »Der Berggeist«, wenn sie nicht allen Ansprüchen genügt, der Mangel des Reims am wenigsten die Schuld daran trägt! Also, obgleich mir das Döringsche Buch auch nicht ganz zusagen wollte, so war doch keine Zeit zu verlieren, und ich mußte mich an die Arbeit machen, um so mehr, da die Oper nicht die einzige Arbeit war, die mir der Kurfürst zur Vermählungsfeier aufgetragen hatte. Ich sollte auch einen Festmarsch schreiben mit eingemischter Melodie des alten deutschen Liedes: Und als der Großvater die Großmutter nahm, und einen Fackeltanz für 53 Trompeten und 2 Paar Pauken (so viel besaß nämlich die hessische Armee in ihren Musikchören), und da ich zu diesem Fackeltanz der Modulation wegen verschiedene Stimmungen der Trompeten nehmen mußte, die Trompeter bei der Regimentsmusik [aber] in der Regel nicht sehr musikalisch sind, so hatte ich auch die Verpflichtung, ihnen diesen Fackeltanz im voraus einzustudieren. Dieses Einstudieren abgerechnet, war ich mit der Oper und den übrigen mir aufgetragenen Arbeiten doch zu Ende des Jahres 25 fertig und konnte nun an das Einstudieren des »Berggeist« gehen. Unterdes war Gerstäcker, der schon lange gekränkelt hatte, gestorben, und wir hatten für die neue Oper keinen Tenor. Der Kurfürst befahl daher, uns um einen fremden Sänger umzusehen und diesen für die Zeit seines Geburtstages auf Gastrollen einzuladen. Ein junger Sänger in Hamburg namens Cornet machte damals von sich reden. An ihn wandten wir uns daher; er war aber mit der dortigen ersten Sängerin, Frl. Kiel aus Sondershausen, verlobt und im Begriff, sich mit ihr zu verheiraten, stellte daher die Bedingung, daß auch sie mit ihm zugleich für ein Gastspiel und die erste Sopranpartie der neuen Oper engagiert werde. Der Kurfürst, dem die Vermählungsfeier seiner Tochter und daher auch die neue Oper sehr am Herzen lag, genehmigte gern das doppelte Engagement, und ich[137] wurde beauftragt, den beiden Sängern ihre Partien in der neuen Oper zuzusenden, damit sie im voraus einüben sollten! Nun hatten wir damals von Anfang Juni an bis zum Geburtstage des Kurfürsten Theaterferien. Ich mußte daher das Einüben der Oper für den Geburtstag des Kurfürsten schon im Frühjahr mit dem einheimischen Personal beginnen. Kaum hatten aber die Proben begonnen, so bekam ich einen mich sehr überraschenden Brief von Spontini, der mich um die Partitur von »Jessonda« bat und mich einlud, sie selbst zu dirigieren, sobald sie einstudiert sein würde. Er hatte nämlich damals so oft in den Berliner Blättern lesen müssen, daß er nur seine Opern gäbe und, um sie zu heben, bemüht sei, alle andern neuen wertvollen Opern von der Berliner Opernbühne fernzuhalten, daß er auf die Idee gekommen war, den Komponisten der »Jessonda« einzuladen, um durch das Gegenteil diese Anklage am eklatantesten zu widerlegen. Ich ahnte davon nichts und war sehr froh, meine Oper auch in Berlin bekannt werden zu sehen. Ich erbat mit dem Beginn unserer Theaterferien daher zu der Reise nach Berlin einen 8wöchentlichen Urlaub, wie er mir bei meiner Anstellung zugesichert war, und reiste mit meiner Frau nach Berlin ab. Spontini empfing mich sehr freundlich; als ich aber von ihm zum Graf Brühl ging, um ihm, dem Intendanten des Hoftheaters, ebenfalls meinen Besuch zu machen, und von diesem erfuhr, daß Spontini mich eingeladen habe, ohne es vorher mit dem Intendanten besprochen zu haben, und dann hörte, daß zwar die Partien der Oper ausgeteilt seien, aber die Zimmerproben noch gar nicht begonnen hatten, so merkte ich bald, daß es Spontini gar nicht darum zu tun war, die Aufführung der Oper zu befördern. Um nun nicht unverrichteter Sache wieder heimkehren zu müssen, suchte ich den Graf Brühl, der mir über die Vernachlässigung, welche Spontini gegen ihn sich erlaubt hatte, empfindlich schien, zu besänftigen, welches mir auch gelang, und beredete dann mit ihm alles, was die Ausstattung der Oper betraf, besuchte dann den Kapellmeister und die Sänger und trug Sorge, daß die Zimmerproben sogleich begannen. Ich hatte die Freude zu sehen, daß die Hauptpartien in guten Händen waren: Bader und Blume als Nadori und Tristan sowie die Damen Schulze und Seidler als Jessonda und Amazili waren treffliche Sänger; auch die Partie des Dandau war durch Herrn Krause gut besetzt, und Lopez, der anfangs einem Komiker zugeteilt worden, wodurch der Ernst der Oper beeinträchtigt wurde, übernahm der junge Baritonist Devrient, nachdem ich mich dazu verstanden, einige Abänderungen in den Rezitativen zu machne. So konnte die Oper bald aufs Repertoire gesetzt werden, als plötzlich Bader erkrankte und nach[138] seiner Wiederherstellung Frau Seidler durch Heiserkeit Störung veranlaßte. Da mein Urlaub zu Ende ging, so bat ich um Verlängerung desselben. Der Kurfürst hatte sich jedoch über die mir von Seiten Spontinis und der Berliner Intendanz in den Weg gelegten Hindernisse gekränkt gefühlt und bewilligte daher nur noch einige Tage, nach deren Verlauf ich abreisen sollte, die Oper möge zustande kommen oder nicht. Zum Glück war es mit Frau Seidler besser geworden; ich konnte daher die erste Aufführung der »Jessonda« in Berlin selbst dirigieren und von deren überaus günstiger Aufnahme Zeuge sein. Gleich darauf reiste ich ab, und zwar drei Nächte hindurch, um die versäumte Zeit in Kassel wieder einzuholen.

Unterdessen waren die fremden Sänger aus Hamburg eingetroffen, hatten mit großem Beifalle gastiert und in den Zimmerproben, die der Chordirektor Baldewein gehalten hatte, gezeigt, daß sie ihre Partien gut gelernt hatten; ich konnte daher die Theaterproben zum »Berggeist« sogleich beginnen, hatte aber bis zum Geburtstage noch saure Arbeit, weil ich jeden Tag außer der Oper auch das laufende Repertoire probieren mußte und nebenbei den Trompetern den Fackeltanz einzuüben hatte. Bei letzterem unterstützte mich Herr Hauptmann. Inzwischen trug mir der Kurfürst noch eine Arbeit auf. Der Herzog von Meiningen sollte nämlich am Tage seiner Ankunft in Kassel mit einem ländlichen Festspiel im Theater begrüßt werden, in welchem ein Chor von Bauern und Bäuerinnen vorkam, und der Wunsch des Kurfürsten war, daß ich in diesem Chor Meiningische Volksmelodien anbringen möge. Ich wandte mich deshalb an meinen Schüler, Kapellmeister Grund, und bat ihn, mir Meiningische Volksmelodien aufzuschreiben, welche ich dann, so gut es gehen wollte, bei der Arbeit benutzte. Die Vermählung fand im Bellevueschlosse statt. Beim Marsch der Neuvermählten und deren Gefolge in den großen Saal, wo gespeist wurde, spielte die Kapelle meinen Festmarsch, der sich sehr festlich und an der Stelle, wo das Großvaterlied eingewoben ist, auch recht lieblich machte. Der Kurfürst und der Herzog, der freilich musikalischer als sein Schwiegervater war, sagten mir beide viel Artiges über den Festmarsch, der auf ihr Geheiß wiederholt werden mußte. Der Empfang des Brautpaares bei der Festvorstellung am andern Abend im Theater war ein sehr glänzender und lärmender; denn ich ließ die dreiundfünfzig Trompeten und zwei Paar Pauken, die ich auf der Galerie aufgestellt hatte, mit in den Tusch und das Vivatrufen des Publikums hineinschmettern!

Dem vom Hofrat Niemeyer verfaßten Festprologe folgte dann meine neue Oper, die zwar von dem gedrängt vollen und festlich erleuchteten[139] Hause mit ebendem lärmenden Beifalle wie »Jessonda« aufgenommen wurde, aber mich selbst weder so befriedigte noch auch sich so schnell auf anderen Bühnen verbreitete wie jene. Der Kurfürst, der mit allem, was ich bei dieser Veranlassung geschrieben hatte, sehr zufrieden war, ließ mich am andern Tage zu sich rufen, dankte mir und beschenkte mich mit einer sehr schönen, goldenen Dose, auf welcher, für einen Musiker wohl etwas unpassend, eine Reiterszene sehr kunstreich ziseliert und unter Glas gefaßt ist. Sie war aber, was das Beste dabei, mit Friedrichsdoren angefüllt und daher eine reiche, fürstliche Gabe.


Nur Küstner in Leipzig ließ die neue Oper kommen und berief mich im nächsten Winter, um sie zu dirigieren, bei welcher Gelegenheit wir drei auch wieder im Gewandhaussaale Konzert gaben, wovon ich aber nichts zu berichten weiß, als daß ich ein neues Violinkonzert (das elfte) spielte und den gewohnten Beifall einerntete.


In zwei Briefen an Wilhelm Speyer berichtete Spohr über diesen Leipziger Aufenthalt:


Leipzig, 18. 9. 1825. »Vorgestern ist ›Der Berggeist‹ hier mit dem allerglänzendsten Erfolg vom Stapel gelaufen. Er war so gut, wie es das hiesige Personal nur erlaubt, besetzt ... Die Orchesterpartie studierte ich in vier großen Proben, die ich dirigierte, erst noch recht sorgfältig ein. Die Ausstattung war so glänzend, wie man sie nie vorher in Leipzig gesehen hat, und einige Dekorationen waren so schön, daß nicht allein die unsrigen in Kassel weit zurückstehen müssen, sondern daß ich auch nie in meinem Leben etwas Ähnliches gesehen habe. Der hiesige Dekorationsmaler Gropius ist auf dem Wege, der erste der Welt zu werden; ich habe weder in Italien noch in Paris oder London etwas so Zauberhaftes gesehen wie die Schlußdekoration des zweiten Aktes. Die Aufnahme, welche die Oper fand, war die schmeichelhafteste, die ich noch je erlebt habe ... Die Aufführung war sehr gelungen zu nennen. Außer einem Fehler in der Ouvertüre und einem widerspenstigen Felsen, der nicht aus der Erde herauswollte, passierte nichts Fehlerhaftes. Auf dem Theater war fast alles besser als in Kassel, besonders der Berggeist (Köckert) und Oscar (Vetter) ... Das Orchester, obgleich es dem unsrigen weit nachsteht, leistete doch Außergewöhnliches.«


Kassel, 23. September 1825. »... Habe ich alle Ursache, mit der Aufnahme, die mir in Leipzig als Komponist zuteil geworden ist, zufrieden zu sein, so kann ich es doch noch weit mehr mit der sein, die mir als Geiger wurde, gewissermaßen ganz gegen meine Erwartung. Zwar hatte ich mich, der vielen Proben und andern Abhaltungen ungeachtet, tüchtig[140] vorbereitet und jeden Tag meines dortigen Aufenthaltes durch die Bank zwei Stunden geübt. Daß es mir indessen so glücken würde, hatte ich kaum gehofft, da man mich in Leipzig in meiner besten Periode oft gehört hat, und die Erwartungen daher sehr hoch gespannt waren. Mein neues Violinkonzert hat mich aber über Wasser gehalten und die Leute glauben gemacht, ich geige jetzt besser als je. Der Enthusiasmus steigerte sich von Satz zu Satz so, daß man von allen den kleinen Tuttis im Rondo vor Applaudieren keine Note gehört hat...«.

Im Sommer 1825 kam ein liebenswürdiger junger Mann, Herr Curschmann, nach Kassel, in der Absicht, sich unter meiner Leitung zum Musiker auszubilden. In Göttingen hatte er zwar schon seine juristischen Studien begonnen, doch gedachte er dieselben aufzugeben und versuchte sich bereits in allerlei Kompositionen, besonders Liedern, die er mit einer wohlklingenden Baritonstimme vortrug und sich dadurch in unsre musikalischen Zirkel einführte. Da seine Vorbildung in der Musik noch mangelhaft war, so riet ich ihm, sich zunächst an Hauptmann zu wenden, der auf meinen Wunsch begonnen hatte, meine Violinschüler in der Theorie der Musik zu unterrichten, und vorzügliches Geschick dazu entwickelte. Auch unserm Cäcilienvereine trat er bei und wurde ein sehr nützliches Mitglied desselben, da er nicht nur die Baßsoli sehr gut vom Blatte sang, sondern öfters auch die Klavierbegleitung übernahm und das Amt eines Bibliothekars darin mit vielem Eifer bekleidete. In Gemeinschaft mit einigen der eifrigsten unsrer Dilettanten stiftete er daneben ein Opernkränzchen. So belebte er in mannigfacher Weise das Kunsttreiben unserer Stadt und wurde bald der Liebling aller musiktreibenden Dilettanten.


In demselben Jahre hatte mir Hofrat Rochlitz, der Redakteur der Leipziger Musikzeitung, einen Oratorientext: »Die letzten Dinge« zur Komposition angetragen, den ich mit Freuden annahm, weil ich mit meinem frühern Versuch in dieser Kunstgattung, dem in Erfurt aufgeführten Oratorium: »Das jüngste Gericht«, durchaus nicht mehr zufrieden war und daher nicht einmal einzelne Nummern daraus in unserm Verein aufführen mochte. Ich begann nun mit neuen Studien des Kontrapunktes und des Kirchenstiles und machte mich mit großem Eifer an die Komposition, wobei ich den Vorschlägen des Dichters folgte, welche er mir bei Übersendung des Textes über die Auffassung desselben gemacht hatte, und die ich sehr bewährt und fördernd fand! So wurde der erste Teil des Oratoriums bald fertig, und ich konnte ihn bereits Ende November mit dem Gesangverein in einem Konzerte zum Besten der kürzlich Abgebrannten in Seesen, freilich nur mit Klavierbegleitung, aufführen.[141] Mit Freuden bemerkte ich dabei, daß er einen tiefen Eindruck sowohl auf die Mitwirkenden als auf alle Zuhörer machte. Mit erneueter Arbeitslust ging ich nun an den zweiten Teil, so daß das ganze Werk bis zum folgenden Karfreitag (1826) beendet und dann in der lutherischen Kirche zuerst aufgeführt wurde. Der tiefe Eindruck, den das Oratorium sichtlich auf das Publikum hervorbrachte, mochte durch die feierliche Kreuzbeleuchtung, die mit der Karfreitagsstimmung sehr harmonierte, noch erhöhet worden sein. Nur der Kurfürst war mit der Wahl der lutherischen Kirche und ihrer »katholischen Beleuchtung«, wie er das Kreuz nannte, nicht zufrieden und befahl der Kapelle, ihre künftigen Karfreitagskonzerte in der Hof- und Garnisonskirche mit Beleuchtung von Kronleuchtern, welche uns aus der kurfürstlichen Lichtkämmerei geliehen werden sollten, zu geben. Dies wurde denn auch seit jener Zeit so gehalten, bis dessen Sohn, der jetzige Kurfürst, später an die Stelle der Kronleuchter einfache Öllampen einführte.


Ein Brief an Wilhelm Speyer vom 26. März 1826 faßt das Wichtigste über die erste Aufführung der »Letzten Dinge« zusammen:


»Der gestrige Tag war für die hiesigen Musikfreunde ein sehr festlicher, denn eine so solenne Musikaufführung, wie die meines Oratoriums, hat in Kassel noch nicht stattgehabt! Auf allgemeinen Wunsch war sie abends bei beleuchteter Kirche. Wolff, mein Schwiegersohn, der Architekt, der lange in Rom war, machte den Vorschlag, die Kirche wie am Karfreitage in Rom durch Kreuzbeleuchtung zu erhellen, und führte die Sache auch aus. Ein vierzehn Fuß langes, mit 600 Glaslampen behängtes Kreuz, schwebte in der Mitte der Kirche und verbreitete ein so helles Licht, daß man allenthalben die Textbücher lesen konnte. Das Orchester- und Sängerpersonal, beinahe 200 Personen stark, war auf der Emporkirche terrassenförmig aufgestellt und den Zuhörern unsichtbar. Das über 2000 Personen starke Auditorium beobachtete während der Musik eine feierliche Stille. Meine beiden Töchter, die Sänger Wild, Albert und Föppel und noch ein Dilettant sangen die Soli, und die Aufführung war fehlerlos. Die Wirkung war, ich muß es mir selbst sagen, außerordentlich! Nie hatte ich früher bei Aufführung eines meiner größeren Werke diese Genugtuung gehabt! Immer mußte ich nachher entweder Mangelhaftes der Ausführung oder verfehlten Effekt oder etwas anderes beklagen. Diesmal war das ganz anders. Das Werk ist auch einfach und leicht und doch nicht weniger reichhaltig als die andern ...«

Im selben Jahr erhielt ich von meinem Londoner Freunde Ferdinand Ries, der, nach Deutschland zurückgekehrt, damals in der Gegend von[142] Godesberg wohnte, die Einladung, mein neues Oratorium bei dem rheinischen Musikfeste in Düsseldorf, dessen Arrangement ihm von dem Komitee des Festes aufgetragen war, selbst zu dirigieren. Obgleich nun die rheinischen Musikfeste auf Pfingsten, also zu einer Zeit stattfanden, wo unsre Theaterferien noch nicht begonnen hatten, und ich daher eines ausdrücklichen Urlaubes dazu bedurfte, so gelang es mir doch, denselben sogleich zu erhalten, da der damalige Kurfürst sich geschmeichelt fühlte, wenn sein Kapellmeister zu auswärtigen bedeutenden Musikaufführungen eingeladen wurde und sich dabei Ehre und Ruhm erwarb.

Während ich mich nun rüstete, mit meiner ganzen Familie, Ida ausgenommen, die sich inzwischen mit Professor Wolff verheiratet hatte, die Reise anzutreten, war indessen von vier der eifrigsten hiesigen Musikfreunde, Herrn Curschmann, Referendar Karl Pfeiffer, Frau von der Malsburg und deren Freundin, Fräulein von Heister, beschlossen, uns zu begleiten, und zwar wie wir mit der Extrapost zu reisen, um immer mittags und nachts an denselben Orten einkehren zu können. Vom schönsten Wetter begünstigt, traten wir am 9. Mai 1826 unsre Reise an, und da die Wagen stets beisammen blieben, wir in ihnen die Plätze zuweilen vertauschten und auch unsre Mahlzeiten stets gemeinschaftlich hielten, so brach die fröhliche und geistreiche Unterhaltung gar nicht ab, und ich erinnere mich nicht, jemals eine fröhlichere Fahrt gemacht zu haben.


Am dritten Tage wurden wir eine Stunde vor Düsseldorf vom Festkomitee, den Herren Ferdinand Ries, Herrn von Woringen und der Familie des Regierungsrat von Sybel, welche mich mit meinen Angehörigen bewirten wollten, feierlichst eingeholt und, kaum in Düsseldorf angekommen, vom Gesangvereine mit einem Ständchen bewillkommnet! In der am folgenden Morgen stattfindenden ersten großen Probe mit sämtlichen Sängern und dem ganzen Orchester hatte ich die Freude zu bemerken, daß mein Oratorium von den verschiedenen Vereinen mit Genauigkeit und Sorgfalt eingeübt war und mit Begeisterung für das Werk gesungen wurde. Nicht so zufrieden konnte ich mit dem Orchester sein, das aus vielen Orten zusammen gekommen war, und worin selbst Dilettanten, u.a. mein Freund Thomae aus Kleve (1. Fagott), bei den Blasinstrumenten mitwirkten. Es war dann schon eine sehr schwierige Aufgabe, alle Instrumente in gleiche Stimmung zu bringen. Mit Geduld und öfterem Wiederholen ging es am Ende doch auch mit dem Orchester, wenn auch nicht so gut wie mit den Chören. Am Nachmittag desselben Tages war die Probe zur zweiten Aufführung,[143] welche Ries dirigierte. Es wurde darin eine neue Symphonie von Ries (Manuskript D-dur), Sanctus und Credo aus einer Messe von Friedrich Schneider, die Jubelouvertüre von Carl Maria von Weber und endlich eine Auswahl der schönsten Nummern aus Händels »Messias« gegeben. Die Sopranpartie in den Gesangsachen mußte, weil die Solosängerin, Demoiselle Reinigen aus Krefeld, plötzlich krank geworden, meine Tochter Emilie noch mit übernehmen. Sie studierte nun so fleißig daran, daß sie schon bei der ersten Probe sich ganz gut aus der Sache zog und keine Störung machte. Um so mehr Not hatte Ries bei seiner Symphonie mit den Blasinstrumenten. Er entwickelte dabei aber eine auffallende Geduld und ging sehr schonend mit der dilettantischen Ungeschicklichkeit derselben um! Am folgenden Tage waren noch zwei Proben zu den am ersten und zweiten Pfingsttage (14. und 15. Mai) stattfindenden Aufführungen, die denn auch nach so sorgfältigem Probieren ohne Fehler vorübergingen. Namentlich wurde mein Oratorium von den Ausübenden und den Zuhörern mit solcher Begeisterung aufgenommen, daß schon am Abend des ersten Tages die Rede davon war, das Musikfest zu verlängern, um »Die letzten Dinge« zu wiederholen. Dies wurde am Tage der zweiten Aufführung bekannt gemacht, und die meisten anwesenden Fremden blieben, um der Wiederholung beizuwohnen. So wurde meinem Werke die Ehre einer zweiten Aufführung zuteil, worauf ich wohl stolz sein darf, da dieses später, soviel ich weiß, nie wieder mit einem bei den rheinischen Musikfesten gegebenen Werke der Fall war. Auch in den musikalischen Zeitungen erschienen sehr günstige Berichte, und ich beeilte mich daher, es im Klavierauszuge in eigenem Verlag herauszugeben. Die nicht sehr hohe Anzahl der Exemplare war bald vergriffen, und ich verkaufte das Eigentumsrecht an Herrn Simrock in Bonn, der auch die Singstimmen im Druck erscheinen ließ, wodurch die zahlreichen Aufführungen in fast allen Städten Deutschlands, Hollands und der Schweiz sehr erleichtert wurden. Mit der Aufnahme und Verbreitung dieses Oratoriums durfte ich daher sehr zufrieden sein, denn es hat sich nie eine tadelnde Stimme dagegen erhoben, sooft es auch aufgeführt und besprochen worden ist.


Mit dem Glück, welches mein erstes Oratorium gemacht hatte, stand das der letzten Oper sehr in Mißverhältnis, und da eine Oper, wenn sie gefällt und sich weit verbreitet, doch den Namen des Komponisten viel berühmter macht als der Erfolg eines Oratoriums, so sehnte ich mich nun darnach, mich zunächst wieder mit einer Oper zu versuchen, trotzdem »Der Berggeist« keine große Verbreitung gefunden hatte, indem er nach den Aufführungen in Kassel und Leipzig nur noch in Prag, wo[144] er zu wiederholten Malen eine glänzende Aufnahme fand, gegeben wurde. Da zu derselben Zeit auch Curschmann einen gleichen Wunsch hegte, so hatte er seinen Reisegefährten und Freund Karl Pfeiffer, der sich damals als Dichter einen Namen zu erwerben anfing, gebeten, ihm eine Novelle von Tieck: »Pietro von Abano« als Operntext zu bearbeiten. Er mochte sich jedoch in seiner musikalischen Ausbildung noch nicht weit genug fortgeschritten fühlen und gab daher, als Hr. Pfeiffer den ersten Akt des Buches bereits vollendet hatte, seinen Vorsatz, sich sogleich an einer großen Oper zu versuchen, wieder auf. Er trug mir nun die Komposition des Pietro an, und da mir sowohl die Novelle als auch deren Bearbeitung als Oper sehr gefiel, und sich der Dichter zu einigen Abänderungen bereit erklärt hatte, so wurde ich bald mit beiden Herren darüber einig und machte mich im Februar 1827 mit großem Eifer an die Arbeit, die ich auch im August desselben Jahres beendigte. Die Oper machte mir wegen der unmittelbaren grellen Folge zweier Szenen, wo in eine Begräbnisfeier ein lustiger Studentenzug störend einfällt, anfangs Sorge; auch wollte mir die Sprechrolle des Bischofs ohne allen Gesang nicht gefallen. Als diese aber von Seydelmann, der damals an unserm Theater engagiert war, aus Interesse an dem Werke übernommen und sehr würdevoll ausgeführt wurde, so beruhigte ich mich hierüber und hatte die Freude zu sehen, daß sie auf die Mitwirkenden, das Orchester und meine musikalischen Freunde, die den Proben beiwohnen durften, einen tiefen Eindruck machte. Auch vom Publikum wurde sie bei der am 13. Oktober 1827 stattfindenden ersten Aufführung mit großem Enthusiasmus aufgenommen, und ich konnte daher hoffen, sie werde sich ebenso schnell wie »Jessonda« verbreiten. Als ich dann aber das Buch einigen Bühnen auf Verlangen einsenden mußte, machte ich bald die Erfahrung, daß nicht bloß die katholischen Städte wegen des Bischofs und des Kirchenapparates Anstoß nahmen, sondern auch protestantische Intendanzen, u.a. Graf Brühl in Berlin, die Oper zurückwiesen, weil sie den Inhalt anstößig fanden. Damals existierten freilich die Meyerbeerschen Opern noch nicht, die das Publikum gegen alles Anstößige gehörig abgehärtet haben, und so fand die Oper »Pietro von Abano« noch weniger Verbreitung auswärts, obgleich sie in Kassel gleichen Enthusiasmus wie »Jessonda« erregte. Auch der Klavierauszug, von meinem Bruder gemacht, fand ziemliche Verbreitung, nach der Partitur ist aber nie Nachfrage gewesen, obgleich in Kassel die Oper mehrere Male, von neuem wieder anders besetzt, eine lange Zeit auf dem Repertoire blieb.[145]

Im Jahre 1827 schrieb ich mein zweites Doppelquartett und suchte, es in der Form meiner ersten Idee der Doppelchörigkeit noch näher zu bringen als das erste, was denn auch zu meiner eigenen Befriedigung gelang, und es hat sich ebenso schnell verbreitet wie das erste und dieselbe Anerkennung gefunden. Bald darauf erhielt ich die Einladung, mein Oratorium »Die letzten Dinge« bei einem Musikfeste in Halberstadt zu dirigieren, und reiste, diesmal nur von meiner Frau und meiner jüngsten Tochter Therese begleitet, dahin ab, da sich kurz zuvor meine Tochter Emilie mit dem Fabrikanten Zahn verheiratet hatte und nun, ebensowenig wie Ida, ihren Haushalt verlassen konnte. Mein Oratorium wurde von den verschiedenen dazu eingeladenen Gesangvereinen trefflich ausgeführt, da sie alle für dasselbe begeistert waren und es allen andern damals gegebenen Werken vorzogen.


Im zweiten Konzerte spielte ich mein neues Concertino in A-dur, welches besonderes Glück machte, und ich glaube mich zu erinnern, daß damals auch meine eben vollendete dritte Symphonie in C-moll (Op. 78, bei Schlesinger) zuerst zur Aufführung kam. Eines Umstandes, der mir nach so langen Jahren noch im Gedächtnisse geblieben ist und sich auf meine damals neunjährige Tochter Therese bezieht, muß ich jedoch noch erwähnen. Ich nahm das Kind in alle Proben mit, weil es schon in Düsseldorf denselben immer beiwohnen wollte, und ich daraus auf großes Interesse für Musik schloß. In Halberstadt äußerte Therese nun besondere Freude über die Schlußnummer des Oratoriums, und da dies eine Fuge war über die Worte: »Sein ist das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit«, so schloß ich weiter, daß sie nicht nur für Musik überhaupt, sondern auch für deren ernste Formen regen Sinn habe, und teilte selbst Doretten meine Freude über die glückliche Disposition unsres Kindes mit. Als ich aber Therese näher über ihre Vorliebe für diese Fuge befragte, erfuhr ich zu meiner Überraschung und Beschämung, »daß sie das bezeichnete Musikstück nur darum vorzugsweise liebe, weil sie von Düsseldorf her wisse, daß die Probe bald zu Ende sei und es dann zum Essen gehe!«


Eine bleibende erfreulichere Erinnerung an dieses Musikfest erhielt ich kurz nachher von den Unternehmern selbst, indem sie mir als Beweis ihrer Dankbarkeit eine kostbare Tischuhr zum Geschenke sandten, die mit bezüglichen Emblemen verziert ist und auf dem Sockel eine Inschrift mit dem Datum des Festes trägt.


Da es mit der Verbreitung meiner Opern auf andern Theatern nicht recht glücken wollte, wandte ich mich wieder der Kirchenkomposition[146] zu und schrieb im Frühjahre 1829 mein Vaterunser nach dem Mahlmannschen Text.

Am [11. und] 12. Juni gab es wieder ein Musikfest in Nordhausen, zu welchem ich ebenfalls eingeladen wurde. Vom ersten Tage desselben habe ich jedoch keine deutliche Erinnerung mehr, weiß aber noch, daß ich am zweiten Tage mit Müller aus Braunschweig, Wiele von hier und Maurer von Hannover des letztern Concertante für vier Violinen spielte. Für mich selbst wählte ich dabei die vierte Partie, weil meine Stradivari-Geige einen besonders guten Ton auf der G-Saite hat, und da wir das berühmte Musikstück sehr genau zusammen eingeübt hatten, so war der Beifall ein ganz ungewöhnlicher! Nicht mindern Anklang fand auch mein neues Klarinettkonzert in E-moll, welches ich für Hermstedt zu diesem Musikfeste geschrieben hatte, das ich aber selbst gar nicht mehr besitze, und wovon ich jetzt nicht einmal mehr weiß, ob es noch existiert. Während unsres Aufenthaltes in Nordhausen wohnten wir im Hause des Kaufmanns Fleck, dessen Gattin eine sehr liebenswürdige Wirtin war, wodurch Eduard Grund, mein ehemaliger Schüler, sich veranlaßt fand, beim Mittagsmahl einen Toast auf dieselbe auszubringen, und dabei die Bemerkung einfließen ließ, daß sie »nichts weniger als ein Fleck in der menschlichen Gesellschaft, sondern eher ein Lichtschimmer oder eine Sonne zu nennen sei.« Auch erinnere ich mich noch mit Vergnügen des vom schönsten Wetter begünstigten Festes, welches die Nordhäuser auf einem nahegelegenen Berge, von wo man die Stadt übersehen konnte, den fremden Gästen gaben. Die mitgebrachten Vorräte wurden auf dem Rasen ausgebreitet, und da es dabei an guten Weinen auch nicht fehlte, so wurde die Gesellschaft bald sehr fröhlich und kehrte in bester Laune nach der Stadt zurück.

Es ließ mir jedoch der Wunsch, noch einmal mein Glück mit einer Oper zu machen, keine Ruhe, und ich bewog daher Herrn Pfeiffer schon im Jahr 1829, mir eine spanische Novelle von Washington Irving, die mir sehr anziehend und ganz und gar für eine Oper tauglich erschien, als solche zu bearbeiten. Da aber Pfeiffers Name auf dem Zettel nicht genannt werden sollte, weil es bekanntlich in Kurhessen nicht gern gesehen wird, wenn ein Staatsdiener sich neben seinen Berufsgeschäften mit poetischen Arbeiten befaßt, so wurde der unverfängliche Name Schmidt anstatt des seinigen gewählt, während bei der Aufführung des »Pietro« der Verfasser gar nicht genannt war, indem der damalige Theaterdirektor Feige es vor dem Kurfürsten und dem Publikum nicht verantworten zu können glaubte, wenn er einen von mir vorgeschlagenen[147] fingierten Namen auf dem Zettel angeben sollte. Im Oktober machte ich mich nun mit dem gewohnten Eifer, mit dem ich jede neue Arbeit begann, an die Komposition der Oper »Der Alchymist«, bebeendigte sie im April des folgenden Jahres, verteilte sie dann sogleich und übte sie für den Geburtstag des Kurfürsten ein. Sie gefiel hier in Kassel ebensosehr wie meine frühern Opern, wurde aber außerhalb nur in Prag mit großem Beifalle gegeben, während der von meinem Bruder Ferdinand angefertigte Klavierauszug eine weitere Verbreitung fand.


1830 kam Paganini nach Kassel. In einem Brief aus Marienbad vom 5. Juli 1830 berichtete Spohr darüber dem Freunde Speyer:


»... Paganini habe ich in seinen beiden zu Kassel gegebenen Konzerten mit dem höchsten Interesse gehört. Seine linke Hand, die immer reine Intonation und seine G-Saite sind bewunderungswürdig. In seinen Kompositionen und seinem Vortrag ist aber eine so sonderbare Mischung von höchst Genialem und Kindischem und Geschmacklosem, weshalb man sich abwechselnd angezogen und abgestoßen fühlt. Der Totaleindruck, besonders nach öfterem Hören, ist bei mir nicht befriedigend gewesen, und ich habe keine Sehnsucht, ihn wieder zu hören. – Am zweiten Pfingsttage war er mittags mein Gast in Wilhelmshöhe und sehr heiter, ja selbst ausgelassen. Abends wurde ›Faust‹ gegeben. Paganini hörte die Oper zum erstenmal und schien großes Interesse daran zu nehmen ...«

Wenige Wochen nachher brach in Frankreich die Julirevolution aus, und als eine allgemeine Erregung auch auf Deutschland übergegangen war, äußerten sich auch hier in Kassel Zeichen von Unzufriedenheit mit den öffentlichen Zuständen. Der Kurfürst war nämlich einige Zeit zuvor mit der Gräfin Reichenbach nach Wien gereiset, wie man glaubte, in der Absicht, dieser am österreichischen Hofe die Fürstenwürde auszuwirken. Darauf hatte er sich nach Karlsbad begeben, und von dort aus kamen allerlei sonderbare Gerüchte über seine schwere Erkrankung infolge von handgreiflichen Streitigkeiten mit der Gräfin Reichenbach, weshalb sein Leibarzt, Obermedizinaldirektor Heräus, nach Karlsbad reiste, jedoch, ohne zu ihm vorgelassen zu sein, nach Kassel zurückkehrte. Eine Deputation, die hierauf vom hiesigen Stadtrate nach Karlsbad abgesandt wurde, erhielt mehrmals Audienz und brachte die Nachricht mit zurück, der Kurfürst werde bald in seine Residenz zurückkehren. Bevor dies indessen zur Ausführung gekommen war, brachen am Abende des 6. September Unruhen aus. Ich befand mich gerade mit meiner Frau im Theater, wo das Raupachsche Lustspiel »Der Zeitgeist«[148] gegeben wurde, als ich plötzlich bemerkte, daß an die im Theater anwesenden Offiziere Boten geschickt wurden, die sie benachrichtigten, in der Stadt werde Alarm geblasen, worauf sie sich sogleich alle entfernten. Dies erregte solches Aufsehen, daß die andern Zuschauer nicht anders glaubten, als ein großer Brand sei in der Stadt ausgebrochen, und ebenfalls während der Vorstellung das Haus verließen. Auch wir, in der Besorgnis um unsere oder unserer Kinder Wohnungen, schlossen uns an und erfuhren erst draußen, daß das unruhige Volk einige Bäckerladen gestürmt und bei den Besitzern derselben Exzesse begangen hatte, weil diesen, trotz der gefallenen Kornpreise, eine höhere Brottaxe zugestanden war. Zur Verhütung von weiteren Exzessen hatte sich mit Erlaubnis des Ministeriums eine Anzahl Bürger bewaffnet, und Militär besetzte außerdem das kurfürstliche Palais, die Königsstraße und den Friedrichsplatz, so daß die Theaterbesucher die abgesperrten Straßen nicht passieren konnten. Auch wir mußten daher auf Umwegen unsre Wohnung zu erreichen suchen und wagten es dann nicht, zu gewöhnlicher Zeit zu Bette zu gehen, da in der Stadt noch große Aufregung herrschte. Erst am 12. September kehrte der Kurfürst, jedoch vorerst ohne die Gräfin Reichenbach, bei lautloser Stille zurück und begab sich sogleich nach Wilhelmshöhe, wohin ihm an einem der folgenden Tage der Magistrat mit dem Oberbürgermeister Schomburg an der Spitze folgte, um sowohl ihre Freude über seine Genesung und Rückkehr auszudrücken als auch die Bitte an ihn zu richten, die seit 1815 nicht mehr einberufenen Landstände versammeln und mit denselben die Abhilfe so mancher begründeter Beschwerden beraten zu wollen. Der Magistrat wurde indessen abgewiesen und erlangte erst am folgenden Morgen in dem kurfürstlichen Palais zu Kassel eine Audienz, während welcher die halbe Stadt nach dem Friedrichsplatz eilte, um sogleich zu erfahren, ob das Resultat der Deputation ein günstiges sei, in welchem Falle der Küfermeister Herbold vom Audienzzimmer aus durch ein weißes Tuch das Zeichen zu geben versprochen hatte. Als nun die Deputation in feierlichem Zug vom Oberneustädter Rathause kommend dem Palais nahte und die Schwelle desselben überschritten hatte, richteten sich aller Augen auf die Fenster des Audienzzimmers, und mit klopfendem Herzen erwartete man die Entscheidung. Der Kurfürst, dem sicherlich auch beunruhigende Gerüchte zu Ohren gekommen waren, und der wohl der Gesinnung seines Militärs, von dem sich viele, wie es die spätere Zeit lehrte, nach einer Verfassung sehnten, nicht zutrauen mochte, daß sie sein Palais beschützen und die Revolution mit Erfolg bekämpfen würden, gab zu allgemeiner Freude[149] eine bejahende Antwort. Kaum hatte das Schwenken des weißen Tuches diese dem Volke verkündet, so brach auf dem Friedrichsplatz ein tausendstimmiges Vivat los, worauf der Kurfürst sich einen Augenblick dankend am Fenster zeigte. Abends wurde die Stadt aus freien Stücken glänzend erleuchtet und im Theater statt der vorher angekündigten »Ahnfrau« als Festvorstellung »Der Barbier von Sevilla« gewählt, wo dann das freudetrunkene Publikum vor dem Beginn der Oper beim Erscheinen des Kurfürsten und seines Sohnes ein stürmisches Vivat ausbrachte und »Heil Kurfürst Wilhelm Dir!« anstimmte. Schon am 19. September erfolgte nun die verheißene Einberufung der ehemaligen althessischen Landstände, bestehend aus Abgeordneten der Ritterschaft, der Städte, der Universität und der Bauern, die sich am 16. Oktober zuerst versammelten und sogleich eine beruhigende Bekanntmachung an das Volk erließen. Am folgenden Tage wurde die Eröffnung der Ständeversammlung durch feierlichen Gottesdienst in der großen Kirche begangen und auf Befehl der Regierung durch einen vom Cäcilienvereine mit Begleitung des Orchesters ausgeführten festlichen Kirchengesang verherrlicht. Ich wählte dazu die Schlußnummer meiner in Wien komponierten Kantate: »Das befreite Deutschland« mit dem darin vorkommenden Soloquartett und der Schlußfuge: »Lasset uns den Dankgesang erheben«, einen vierstimmigen Choral, der abwechselnd mit der Gemeinde gesungen wurde, und das Halleluja aus Händels »Messias«. Die den Ständen vorgelegte landesherrliche Proposition wurde nach mehrwöchentlichen Beratungen zwischen dem landesherrlichen Kommissar und den Ständen mit mancherlei Zusätzen und Abänderungen als Grundlage zu der neuen Landesverfassung angenommen sowie auch die vom Kurfürsten getanen Vorschläge hinsichtlich der Feststellung einer Zivilliste und Teilung des sämtlichen Staatsvermögens, das überdies größtenteils durch den Verkauf der Landeskinder in den Sold der Engländer gegen die rebellischen nordamerikanischen Kolonien unter Landgraf Friedrich II. zusammengebracht war. Zur Verkündigung der neuen Verfassung wurde der 8. Januar 1831 festgesetzt, und abends zuvor kam auch die Kurfürstin mit ihrer Tochter Karoline von Fulda, wo sie ihren Aufenthalt seit längerer Zeit genommen, zurück, um Zeuge dieses freudigen Ereignisses zu sein. Der Kurfürst empfing sie bei ihrer Ankunft in ihrer Wohnung im Bellevueschlosse, und ich erhielt vom Oberhofmarschallamt den Auftrag, den versöhnten Gatten ein Ständchen mit der Hofkapelle zu bringen. Nachdem ich im Laufe des Nachmittags die Probe dazu gemacht hatte, zog ich mit der Kapelle bei heftiger Kälte vor das Bellevueschloß, erkundete die Zimmer, wo sich der[150] Hof befand, und wir machten unsre Musik so gut, wie es bei dem ungünstigen Wetter gehen wollte. Gegen das Ende derselben zeigte sich das fürstliche Paar, indem der Kurfürst seine Gemahlin umarmte, am Fenster, und die Einwohner Kassels, die trotz der argen Kälte sich zahlreich versammelt hatten, brachen in lauten Jubelruf aus. Am folgenden Morgen fand nun die allgemeine Bekanntmachung und feierliche Beschwörung der neuen Verfassung statt, was von Seiten der Bürgergarde auf dem Königsplatze, von Seiten des Militärs auf dem Friedrichsplatze öffentlich, von allen Behörden, den Hofdienern und der Kapelle aber in ihren Geschäftslokalen geschah. Abends war die Stadt illuminiert, und im Theater wurde bei glänzend erleuchtetem Hause als Festoper »Jessonda« nebst einem der Vorstellung vorangehenden Festspiele vom Hofrat Niemeyer gegeben. In letzteres war zugleich eine von mir komponierte Hymne: »Hessens Feiergesang bei Einführung seiner Verfassung« verwebt und zum Schlusse das bekannte, schon oben erwähnte Lied damit verbunden, welches mit angepaßtem Texte vom Publikum mitgesungen wurde, worauf dieses in stürmische Vivats für die in der großen Loge versammelte kurfürstliche Familie ausbrach. Nun hoffte jedermann auf eine glückliche Zukunft; allein das Unglück wollte, daß schon am andern Tage die Gräfin Reichenbach mit Herrn Ortlöpp, ihrem Bruder, nach Wilhelmshöhe zurückkehrte. Kaum war dies in Kassel bekannt geworden sowie auch, daß der Kurfürst sie dort besucht habe, als die Unruhen sogleich wieder ausbrachen. Bürger und Bauern drangen in großen Scharen nach Wilhelmshöhe vor das Schloß und drohten laut, mit Gewalt die Gräfin zu verjagen, bis man endlich erfuhr, daß dieselbe nach Hanau abgereiset sei, und in Kassel eine öffentliche Bekanntmachung erschien: »daß der Anlaß zur Aufregung beseitigt sei«. Doch folgte ihr der Kurfürst schon nach wenigen Wochen, wie man glaubte, mit der Absicht, seine Residenz nach Hanau zu verlegen.


Inzwischen war nun in meinem Hause ein bereits im vorigen Sommer nach der Zeichnung meines Schwiegersohnes Wolff begonnener Bau vollendet. Hierdurch gewann ich außer einigen häuslichen Räumen insbesondere einen bei unsern Quartettpartien längst vermißten Musiksaal, welcher, obgleich an das Haupthaus anstoßend, dennoch ein höheres Dach bekam, um ihm eine erwünschte Höhe geben zu können. Auch bei der Dekoration desselben war vorzüglich eine gute Akustik erstrebt, indem durch die architektonische Bekleidung der Türen und Fenster die dem Klange hinderlichen Vorhänge entbehrlich gemacht wurden. Am 2. Februar 1831 weiheten wir die neu gewonnenen Räume[151] durch die darin begangene Feier unserer silbernen Hochzeit ein, wozu auch meine Eltern von Gandersheim hieher gekommen waren und uns als Geschenk eine mit Silber reich verzierte Porzellanvase mitgebracht hatten, die außer den Namen der Geber auch die Inschrift enthält: »Jetziges Silber werde einst Gold«. Die eigentliche Feier war von meinen Kindern im Vereine mit unseren musikalischen Freunden veranstaltet und wurde mit dem von den Gästen ausgeführten Fackeltanz aus meinem »Faust«, wobei den Chorstellen passender Text unterlegt war, eröffnet. Hierauf folgte eine Reihe lebender Bilder, in welchen die Hauptmomente meines Lebens sinnreich dargestellt wurden. Neben vielen andern Gedichten komischen und ernsten Inhaltes, welche man bei Tisch vortrug, hatte auch Freund Pfeiffer ein Gedicht dazu geliefert mit der Absicht, daß alle an der Feier Teilnehmenden in Kostümen, den Personen meiner Opern entlehnt, erscheinen und K. Pfeiffer das Gedicht selbst vortragen sollte. Die Vorlesung dieses Gedichtes mit all seinen humoristischen Beziehungen erregte allgemeine Heiterkeit, und niemand hätte wohl geahnt, daß der jugendliche Verfasser desselben schon nach wenigen Monaten durch den Tod unserm Kreise entrissen werden sollte. Am 31. Juli traf ihn frühmorgens beim Baden in der Fulda ein Schlagfluß, und es wurde dadurch seinem schönen vielseitigen Wirken auf Erden ein plötzliches Ende gemacht. Zu seinem Leichenbegängnisse veranstaltete ich einen feierlichen mehrstimmigen Grabgesang, und als ihm später die hiesige Bürgergarde ein Denkmal auf seinem frühen Grab errichten ließ, wurde bei Einweihung desselben vom Cäcilienvereine der Chor aus den »letzten Dingen«: »Selig sind die Toten« am Grabe gesungen, und zwar unter Mitwirkung auch der weiblichen Mitglieder, was bei derartigen Veranlassungen in Kassel noch niemals der Fall gewesen war. Der Vater des Verstorbenen, der bisher nur durch seine öffentliche Wirksamkeit mir bekannt gewesene Oberappellationsrat Dr. B.W. Pfeiffer, besuchte mich darauf, um mir für diese Aufmerksamkeit zu danken, und so kam ich hierdurch zuerst mit ihm, zu dem ich später in ein so nahes Verhältnis als Schwiegersohn treten sollte, in persönliche Berührung.


Leider war das eben erwähnte Familienfest das letzte, welches mein Bruder Ferdinand erlebte. Er erkrankte bald darauf so ernstlich, daß ihn der Arzt gleich für rettungslos erklärte, und ich schon wenige Tage nachher Zeuge seines letzten Atemzuges war. Da seine Witwe, alles Sollizitierens ohnerachtet, keine Pension von der Intendanz erhielt und daher nur auf die kleine Einnahme aus dem von mir wenige Jahre vorher gestifteten Unterstützungsfonds angewiesen war, so setzte ich[152] für ihre Existenz einen jährlichen Beitrag aus, wodurch es ihr möglich wurde, ihre beiden Kinder gut zu erziehen und den Sohn Ludwig, meinen Paten, studieren zu lassen. Nachdem sich derselbe bereits einige Jahre mit großem Fleiß vorbereitet hatte, um die Universität in Marburg zu beziehen, kam er noch einmal auf seinen schon früher gehegten Wunsch zurück, sich ganz der Musik widmen zu dürfen. Doch schien mir dies bei näherer Prüfung nicht ratsam, da es wohl schon zu spät war, um sich noch die erforderliche gründliche musikalische Vorbildung anzueignen, und so blieb er auf meinen Rat seinem einmal gewählten Berufe, der Jurisprudenz, treu, machte im Jahre 1847 ein glänzendes Examen und trat in den kurhessischen Staatsdienst.

Infolge der neuen Verfassung war nun im April auf Grund des damit verbundenen Wahlgesetzes die erste Ständeversammlung einberufen und hielt ihre Sitzungen in einem Saale des Bellevueschlosses. Der Bürgermeister der Hauptstadt, Schomburg, wurde einstimmig zum Präsidenten derselben gewählt, und die Regierung wagte auch nicht, ihm die Bestätigung zu verweigern. Da die Sitzungen öffentlich waren, so wurde dadurch sogleich ein reges politisches Leben in der Stadt erweckt, und man folgte mit großer Teilnahme den Verhandlungen bis zum Schlusse derselben. Professor Sylvester Jordan, der Deputierte der Universität Marburg, machte sich bald durch seine Beredsamkeit bemerkbar, und es gelang ihm fast immer, seine freisinnigen Propositionen bei der Ständeversammlung durchzusetzen.

Um solche liberale Gesinnungen unter den Bewohnern Kassels immer mehr zu verbreiten, hielten es einige als freisinnig bekannte Männer für ersprießlich, unter dem Namen »Lesemuseum« einen politischen Klub zu bilden, und auch ich schloß mich ihren Bestrebungen bereitwillig an. Da wurde jeden Nachmittag erzählt, was am Vormittag in der Ständesitzung vorgekommen war. In dieser ging es häufig sehr bunt her, und obgleich der Präsident es jedesmal rügte, wenn die Zuhörer einem Redner ihren Beifall zu erkennen gaben, und den Zuhörerraum durch die Bürgergarde räumen zu lassen drohete, so kehrten sich doch die täglichen Besucher der Sitzungen nicht viel daran und suchten ihre Einwirkung auf die Abstimmung fortzusetzen. Die Regierungsgeschäfte erlitten indessen dadurch eine wesentliche Störung, daß der Kurfürst seit März seine Residenz Kassel verlassen und seinen bleibenden Aufenthalt in Hanau genommen hatte. Die Ständeversammlung, deren wiederholt getane Schritte, ihn zur Rückkehr dahin zu bewegen, bisher ohne Erfolg geblieben waren, beschloß Ende August, in Gemeinschaft mit dem Kasseler Stadtrat eine Deputation nach Hanau abzusenden mit[153] dem Vorschlag, der Kurfürst möge baldigst in die Residenz zurückkehren oder anderweitig Sorge für einen ungestörten Fortgang der Regierung treffen. Zu dieser Deputation gehörte auch der Abgeordnete aus Rinteln, Obergerichtsdirektor Wiederhold, und ihm gelang es, den Kurfürsten zu bewegen, seinen Sohn als Mitregenten anzunehmen und demselben die Regierungsgeschäfte, solange er selbst von Kassel entfernt sein werde, ausschließlich zu übertragen. So kehrte denn der Kurprinz, und zwar als Mitregent, nach längerm Aufenthalt in Fulda nebst der Gräfin Schaumburg, in deren morganatische Ehe mit seinem Sohne der Kurfürst nun eingewilligt hatte, nach Kassel zurück, ließ dort den Ständen einen Revers über die Angelobung der Verfasungsurkunde übergeben und wurde anfangs, besonders als er den Vermittler, Obergerichtsdirektor Wiederhold, zum Justizminister ernannte, in Kassel mit Wohlwollen aufgenommen. Als man aber bemerkte, daß die Kurfürstin infolge ihrer Weigerung, die Gräfin Schaumburg als Schwiegertochter zu empfangen, mancherlei Unannehmlichkeiten und Kränkungen erfuhr, da äußerte sich in der Stadt entschiedene Mißbilligung, und man nahm allgemein Partei für die edle Fürstin, die sich durch ihre wohlwollenden, milden Gesinnungen seit langen Jahren die Liebe und Verehrung des hessischen Volkes erworben hatte. Für meine Person hatte ich mich indessen damals der Gunst des Kurprinzen zu erfreuen. So forderte er mich z.B. auf, ihm im Schlosse zu Wilhelmshöhe einige Hofkonzerte zu arrangieren, und als er bald darauf nach der Stadt zurückkehrte, bat er mich sogar in einem sehr verbindlichen Schreiben, ihm und der Gräfin doch die Freude zu bereiten, ihnen auch einmal meine Quartetten vorzutragen und zu dem Behufe eine Quartettpartie im Schlosse zu veranstalten. Sie mochten ihnen aber doch wohl Langeweile genug gemacht haben, denn es ist nie eine zweite Aufforderung der Art an mich ergangen.

Im Herbste 1831 beendigte ich auch meine Violin schule, eine Arbeit, die ich auf vielfache Aufforderungen unternommen hatte, zu der ich aber mehr als ein volles Jahr gebrauchte, weil ich dazwischen immer wieder andere Kompositionen, die mich mehr anzogen, begann.

Darauf schrieb ich drei Quartetten, die als Op. 84 bei André in Offenbach erschienen, und später, zunächst für den Cäcilienverein, drei Psalmen nach Mendelssohnscher Übersetzung für zwei vierstimmige Chöre und vier Solostimmen, die bei Simrock in Bonn (Op. 85) gestochen sind und weite Verbreitung gefunden haben.

Im Sommer 1832 wurde mir von meinem Arzt eine Kur in dem bekannten warmen Schwefelbade Nenndorf verordnet, weil ich an Steifigkeit[154] im Knie litt, welche ich mir im letzten Winter beim Schlittschuhlaufen durch eine Erkältung zugezogen hatte. Meine Frau, welche mich begleitete, hatte unter anderer Lektüre auch die Gedichte meines Freundes Pfeiffer, die erst jetzt nach seinem Tode im Druck erschienen waren, mitgenommen, und da ich schon längst gewünscht hatte, zu seinem Andenken etwas daraus zu komponieren, so wählte ich eines derselben: »Die Weihe der Töne«, welches mir sehr gefiel und zur Komposition einer Kantate vorzüglich geeignet erschien. Als ich aber die Arbeit beginnen wollte, fand ich, daß sich der Text dieser Gattung doch nicht her geben wollte; ich bekam vielmehr Lust, den Inhalt dieses Gedichtes in einer Instrumentalkomposition zu schildern, und so enstand meine vierte Symphonie unter dem Titel: »Die Weihe der Töne«.


Über die Entstehung seiner Sinfonie »Die Weihe der Töne« hat Spohr in einem Brief vom 9. Oktober 1832 Wilhelm Speyer Näheres mitgeteilt:


»Obgleich ich jetzt, ohne Theatergeschäfte, Muße genug zum Komponieren hätte, so habe ich doch in der letzten Zeit nicht recht zur Arbeit kommen können. Bei dem großen Anteil, den ich an der politischen Wiedergeburt Deutschlands nahm und fortwährend nehme, haben mich die letzten Rückschritte zu sehr geärgert, als daß ich mich hätte ruhig in eine Arbeit vertiefen können. Doch habe ich unlängst wieder eine große Instrumental-Komposition vollendet. Es ist dies eine vierte Symphonie, die aber in der Form von den frühern sehr abweicht. Es ist ein Tongemälde nach einem Gedichte von Karl Pfeiffer: ›Die Weihe der Töne‹. Dieses Gedicht wird mitabgedruckt und muß vor der Aufführung im Saale verteilt oder laut vorgetragen werden ... Im ersten Satz hatte ich die Aufgabe, aus den Naturlauten ein harmonisches Ganzes zu bilden. Daß dies wie das ganze Werk eine schwierige, aber höchst anziehende Aufgabe war, werden Sie aus dem Vorstehenden schon ersehen haben, und wirklich hat sie mir, bevor ich an die Arbeit ging, viel Kopfzerbrechens gemacht. Um so größer war nun aber auch meine Freude, wie ich die Symphonie hörte und mich überzeugte, daß die neuen Zusammenstellungen, zu denen mich die Aufgabe geführt hatte, wirklich den erwarteten Effekt machten, freilich erst, nachdem alles sorgfältig eingeübt war. Nun wurden aber auch den Zuhörern meine Intentionen völlig klar, und ich überzeugte mich, daß diese neue Gattung von Instrumentalmusik, weil sie neben dem Gefühl auch den Verstand in unerwarteter Weise beschäftigt, nicht nur den Kenner, sondern auch den Laien in erhöhtem Maße anspricht. Über die Zulässigkeit der in dem Werke vorkommenden Musikmalereien hatte ich vor[155] der Arbeit mit Hauptmann und andern manchen Disput. Nach gelöster Aufgabe haben sie aber nichts mehr zu erinnern gefunden.«

Meine musikalischen Freunde in Hannover, Freund Hausmann an der Spitze, hatten kaum meine Anwesenheit in Nenndorf erfahren, als sie sich zum Besuch mit ihren Instrumenten ankündigten und mir dadurch Gelegenheit verschafften, den in Nenndorf anwesenden Musikfreunden eine Musikpartie zu geben, bei welcher ich die unlängst geschriebenen Quartetten produzierte. Meine Kur ging inzwischen glücklich zu Ende und befreite mich von meiner Knielähmung hauptsächlich durch eine kräftige, aber sehr schmerzhafte Dusche auf die leidende Stelle. Nach Kassel zu rückgekehrt, beendigte ich vor allem meine neue Symphonie und gab sie dann den Musikfreunden in einer Probe und später in einem Abonnementkonzerte zu hören. Noch immer erinnere ich mich mit Freuden der großen Wirkung, die sie auf alle Zuhörer machte. Bald darauf wurde sie mit vielem Beifall im Gewandhauskonzert in Leipzig gegeben, und Rochlitz berichtete in seiner Musikalischen Zeitung mit Begeisterung über das Werk. Keine meiner Symphonien hat sich einer so weiten Verbreitung in fast allen deutschen Städten zu erfreuen gehabt, und noch immer ist sie das Lieblingswerk und wird in den meisten stehenden Konzerten alljährlich wenigstens einmal wieder gegeben.

Im April 1832 wurde auf Anordnung des Kurprinzen das Hoftheater »auf unbestimmte Zeit« geschlossen, nachdem vorher allen Sängern und Schauspielern, welche nicht auf längere Zeit Kontrakte besaßen, gekündigt war. Nur mit zwei Sängern, den Herren Föppel und Rosner (dessen Frau erste Sängerin war), konnte dies nicht geschehen. Ich wurde nebst der Kapelle ebenfalls vorgefordert; allen von uns, die keine Reskripte vom Kurfürsten besaßen, wurde gekündigt, und wir übrigen befragt, ob wir nicht gesonnen seien, unsere Stellen gegen Entschädigung, über welche mit jedem Einzelnen verhandelt werden sollte, aufzugeben. Ich, der ich zuerst meine Antwort zu Protokoll zu geben hatte, erklärte sogleich, daß ich dazu nicht geneigt sei, sondern das Weitere abwarten und im äußersten Falle Recht bei den Gerichten suchen würde. Die andern Musiker schlossen sich dieser Erklärung einfach an, und so verloren wir nur einen Oboisten, den ich früher auf des Kurfürsten Ermächtigung hin zur Ergänzung der Kapelle von Prag verschrieben, und der nach seiner Ankunft unglücklicherweise versäumt hatte, sich ein Reskript ausfertigen zu lassen. Dem ersten Fagottisten, der in gleicher Lage war, gelang es, seine Entlassung zu hintertreiben, weil er einen Brief von mir vorlegen konnte, in welchem ich[156] ihm im Namen des Kurfürsten versprochen, daß sein Engagement bis zur Ausfertigung des Reskriptes durch den Brief verbürgt sei; durch diesen Umstand wurde er der Kapelle erhalten. Wir übrigen wurden nicht wieder vorgefordert, und es blieb daher alles beim alten.

Quelle:
Spohr, Louis: Lebenserinnerungen. Tutzing 1968, S. 126-157.
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