musikalischen Abende

musikalischen Abende

[111] abgeschwenkt werden, welche ja in gewissem Sinne Spielabende genannt werden können, wenn sie auch nicht immer so unterhaltend zu sein pflegen. Sie sind, weil hier der Dilettantismus seine wüstesten Orgien feiert, mit großer Vorsicht zu gebrauchen.

Steht man im Verdacht, unmusikalisch zu sein, so[111] braucht man das Folgende nicht zu lesen. Denn dann wird man niemals durch eine Einladung ausgezeichnet und hat sich in keiner Weise zu fragen, wie man sich zu benehmen habe. Nur für den Fall, daß man trotzdem eingeladen wird und nicht den schönen Mut hat, sich dem musikalischen Gewaltakt fernzuhalten, lese man weiter.

Die beliebteste und verbreitetste Form des leider nur in musikalischer Hinsicht seltenen Genusses ist das Streichquartett, zu welchem sich vier Männer zusammenballen, die im gewöhnlichen Leben wohlwollende und wohlhabende Leute zu sein pflegen und nur, wenn sie zu ihren Instrumenten greifen, unberechenbar sind. Lernt man sie kennen, so merkt man ihnen nichts an, man thut also gut, sich neuen Bekanntschaften gegenüber zu erkundigen, ob sie musikrein sind, und, wenn nicht, ob sie von ihrem Können einen halböffentlichen Gebrauch machen.

Hat man sich von einer Einladung zum Quartett überrumpeln lassen und rückt die Stunde der Exekution näher, so nehme man ein Abendessen ein, da ein tüchtiger Quartettgeber annimmt, daß man kein Souper erwartet, wo die klassischen Meister laut werden, was ihn veranlaßt, an Stelle der leiblichen Genüsse mehr die idealen der Kunst treten zu lassen. Erscheint man nun gegessen im Quartett, so kann man im Ertragen etwas leisten und namentlich die ersten anderthalb Stunden ruhig aushalten.

Man braucht den quartettierenden Herren nicht den Daumen zu halten, da sie fest davon überzeugt sind, daß sie diese künstliche Sicherung des Erfolges nicht brauchen, hauptsächlich deshalb, weil sie regelmäßig mit Beifall überschüttet werden und meinen, daß dieser Beifall ihren Leistungen gelte.

Man sage niemals, daß man die Melodie über alles liebe, und man unterlasse nicht, von Zeit zu Zeit[112] auf Opern, die man verehrt, zu schelten. Man erspart sich dadurch viele Unannehmlichkeiten. Allerdings wird von Musikern und solchen, die es zu sein sich einbilden, in Quartettgesellschaften selten mit Messern gestochen, wenn man außer den Klassikern auch andere Meister neben Wagner zu nennen wagt, aber man hat doch gleichwertige Grobheiten einzustecken, was verhindert wird, wenn man so musikalisch wie möglich mit den Wölfen heult. Das beste ist, daß man irgend ein Mitglied solcher Gesellschaft fragt: »Was halte ich von Bungert?« »Wie denke ich über Mascagni?« »Kann ich Leoncavallo ausstehen?« »Giebt es einen größeren Stümper als Meyerbeer?« Dann wartet man die Antwort ab und läßt hierauf die Meinung laut werden.

Wird man wegen einer unvorsichtigen Äußerung seiner aufrichtigen Meinung beleidigt, so entschuldige man sich, daß man ein eigenes Ohr, einen eigenen Geschmack und eine eigene Überzeugung habe, und verspreche Besserung. Dann wird man mit blauem Auge davonkommen.

Erscheint eine Erfrischung, so beeile man sich, da die Musik sofort wieder beginnt. Der Hausherr haßt die Pausen. Man nutze sie aus. Namentlich eignen sie sich zum Weggehen. Hat man hierzu nicht den Mut, so schreibe man sich die Folgen selbst zu.

Man sei mäßig im Applaus, wie in den Ausdrücken des Lobes. Denn was ein Quartett im Wiederholen leisten kann, das ist geradezu bewunderungswürdig.

Indem wir glauben, unser Thema erschöpft zu haben, was namentlich den Verfasser in eine angenehme Stimmung versetzt, drängt sich merkwürdigerweise immer ein neuer Gegenstand vor, welcher berücksichtigt sein will. Das Thema erscheint unerschöpflich. Aber die Geduld der Leser ist dies leider nicht, und so[113] glaube ich, in deren Sinne zu handeln, wenn ich mich dem Schluß nähere.

Im Winter gedeiht bekanntlich


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 41906, Bd. I, S. 111-114.
Lizenz:
Kategorien: