Tyrannen.

[85] Es soll hier nicht von den Herrschern gesprochen werden, welche wir aus der Geschichte kennen, die uns von ihren blutigen Gewohnheiten und grausigen Eigenschaften erzählt. Sie sind ohnedies nicht mehr modern, und von einem Verkehr mit ihnen könnte überhaupt nicht die Rede sein, wie damals, als sie noch auf dem Thron saßen und ihren Unfug trieben, zu dessen Ausführung nur ihre zahlreichen diensthabenden Henker und galonierten Giftmischer mit ihnen zu verkehren pflegten. Die Tyrannen waren höchst unleidliche Leute, welche die Grausamkeit als einen Sport betrachteten, sich langweilten, wenn sie nicht köpfen ließen, und köpfen ließen, wenn sie sich langweilten. Man darf sie sich nicht einmal als Gemütsmenschen denken, wie Schiller seinen Tyrannen Dionys, der zwar seinem Möros zur Hochzeit seiner Schwester einen dreitägigen Urlaub gibt, aber an seiner Stelle dessen Freund und Bürgen kreuzigen lassen will. Was ein gerechter Tyrann ist, wird keinen Urlaub und am allerwenigsten Pardon geben, wie Dionys dies schließlich tut. Aber die wirklichen und die Balladentyrannen sind aus der Mode gekommen, und wir brauchen uns nicht zu fragen, wie[85] man mit ihnen zu verkehren habe, wenn man zufällig nicht Möros wäre.

Aber es gibt heute unzählige Tyrannen, mit denen wir oft genug zu verkehren haben, Tyrannen in Uniform und Zivil, Tyrannen, die wir in der Familie, im Parlament, am Biertisch, in der Gesellschaft, auf Reisen, in den Gerichtssälen, in den Straßenbahnwagen, im Verein, im Theater, im Konzert, überall treffen, wo sie ihre Willkürherrschaft ausüben. Auch solche weiblichen Geschlechts, welche nicht immer die weniger schlimmen sind. Im Gegenteil. Der Verkehr mit diesen thronlosen Tyrannen ist nun bekanntlich der möglichst schwierige, wenn man nicht selbst Tyrann, sondern ein umgänglicher Mensch ist, der sich des lieben Friedens willen und weil er kein eigensinniger Charakter ist, zu fügen weiß.

Der Tyrann hat einen nicht zu unterschätzenden Vorzug: er kann sein Wesen keinen Augenblick verbergen. Der geringste Anlaß gibt ihm Gelegenheit, sich zu demaskieren. Die Mehrzahl der Tyrannen ist nicht fein genug, um ausschließlich in wichtigen Fragen die Kraft ihres Eigenwillens anzuwenden. Der kleine Tyrann verrät sich namentlich in kleinen Dingen. Kommt einem ein Tyrann von Mottenburg in die Quere, so weicht man ihm aus oder man lacht ihn aus.

Ist man ein Tyrann in der Ehe, so darf man vollständig überzeugt sein, daß diese Tyrannei gleich hinter den Flitterwochen anfing, wirkungslos zu bleiben. Denn jede halbwegs kluge Frau – und jede Frau ist mindestens halbwegs klug – wird ihrem angetrauten Dionys sehr bald die Art, wie er seine Tyrannei ausübt, abgesehen haben und ihn nun um so sicherer beherrschen. Sie läßt ihm seine Eigenheit, wie sie seine Tyrannei nennt, und erscheint eingeschüchtert und gehorsam, während sie tut, was ihr[86] gefällt. Sie erschrickt scheinbar über das Furchtbare seiner Blitze und Donner und amüsiert sich heimlich über den blinden Lärm, den er verursacht, wenn er mit den Ketten rasselt. Jede Frau ist eine Virtuosin der Pfeife, nach der ihr Mann tanzt, einerlei, ob er als Pantoffelheld tanzt oder als Tyrann einen Kriegstanz aufführt. Er glaubt über die Frau zu herrschen und wird von ihr regiert, und bald hört sie von seinem Toben, an das ihr Ohr gewöhnt worden, so wenig, daß nur er selbst es zu vernehmen scheint, und er ist längst entthront, wenn er sich einbildet, die Höhe seiner Macht erreicht zu haben. Gattinnen brauchen, wie wir sehen, nur in den seltensten Fällen einen Rat, wie sie den Haustyrannen zu bändigen vermögen. Sie haben nur darauf zu achten, daß er wirklich ein Tyrann ist, d.h. sein Tyrannengeschäft ehrlich ausübt. Es kommt auch vor, daß der Tyrann es auf die Küche oder auf die Kinderstube ausdehnt, und dann hat die Frau zu prüfen, ob ihm dort nicht die Köchin oder die Gouvernante ganz besonders interessiert. Denn sie darf niemals vergessen, daß der Tyrann, wenn nichts weiter, wenigstens ein Mensch ist.

Als ein gutes Mittel, die Tyrannei eines Tyrannen zu brechen, sei in manchen Fällen das Übertyrannen bestens empfohlen und dem Tyrannen also einen Spiegel vorzuhalten, in welchem er sich in seiner ganzen Unleidlichkeit erblickt. Aber in der Ehe ist das Übertyrannen nicht nur der Ruhe des Hauses, sondern auch dem Geschirr gefährlich, welch letzteres namentlich der Hausfrau ganz besonders wertvoll und gewöhnlich auch von anderen Feinden umgeben ist, von deren Porträts sie ein ganzes Verbrecheralbum füllen könnte. Das Übertyrannen ist nur außerhalb des Hauses auszuüben.

Hält man den Privattyrannen für wichtig genug,[87] sich mit ihm zu beschäftigen, – er ist gewöhnlich obenein unbedeutend und wird langweilig, – so mache man einmal den Versuch, ihn zu bessern und dadurch umgänglich zu machen. Man gebe ihm in seinem lächerlichen Gebahren immer recht und sage ihm, daß man ihn um seine Charaktereigenschaften beneide. Ist er noch nicht gänzlich vertrottelt, so wird er die Ironie merken, ihre Berechtigung erkennen und in sich gehen. Leider ist er aber gänzlich vertrottelt.

Hast Du das Unglück, daß sich unter Deinen Freunden plötzlich ein Tyrann bemerkbar machen sollte und willst Du Dir jeden Kreis, den Du um Dich versammelst, zerstören lassen, so lade ihn in jeden dieser Kreise ein. Dann mußt Du allerdings überzeugt sein, daß ein Freundeskreis durch Zank, Streit und Friedensstörungen angenehm unterhalten wird, im andern Fall suche Dich bei der nächsten Gelegenheit mit ihm zu überwerfen, um den Hansnarren niemals wieder einladen zu dürfen.

Kann man die Gesellschaft eines solchen Rechthabers und -nehmers nicht vermeiden, oder ist man durch irgend einen Umstand genötigt, mit ihm zu verkehren, so äußere man niemals einen Wunsch, irgend etwas zu unternehmen, wie man einen solchen Wunsch in der Gesellschaft eines zivilisierten Menschen ausspricht, sondern man spreche das Gegenteil aus. Will man z.B. mit dem Tyrannen ins Theater gehen, so sage man: »Wir wollen etwas unternehmen, aber ich schließe das Theater aus, das ich in letzter Zeit nur zu häufig besucht habe.« Nun wird in dem lieben Freund der Tyrann lebendig und er dekretiert in seinem Bedürfnis nach Opposition und Unduldsamkeit: »Du gehst mit mir ins Theater, da wirst Du Dich unterhalten, es ist lange her, daß ich es besucht habe.« Und so sieht man denn den eigenen Wunsch erfüllt. Man muß dem Unhold immer die Überzeugung[88] aufzwingen, er setze seinen eigenen Willen durch, wenn man ihm Gelegenheit gibt, das Gegenteil dessen zu bestimmen, was man wünscht, wenn man eben dessen Gegenteil erreichen will. Will man, daß er Hü sage, so muß man Hott sagen, oder umgekehrt. Soll er verneinen, so verlange man, daß er bejahe, oder umgekehrt. Dann wird der Verkehr mit ihm wenigstens annähernd erträglich werden, was freilich dennoch zu bezweifeln ist.

Aber furchtbarer als der Tyrann ist


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV, S. 85-89.
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