Vorwort.

Das vorliegende Buch ist nicht etwa ein Lehrbuch der Ceremonial-Wissenschaft, sondern eine Compilation längst vorhandener und thatsächlich am Königlich Preussischen Hofe dauernd zur Geltung gelangter Vorschriften, ein Handbuch zum Gebrauch für diejenigen Personen, welche diesem Hofe angehören, oder an demselben erscheinen wollen.

Auch eine Geschichte des Preussisch Brandenburgischen Hof-Ceremoniels kann hier nicht erwartet werden. Eine solche würde auf die älteste Zeit des Regiments der Kurfürsten des Zollernschen Hauses in und ausser den Marken, zunächst auch auf die glänzende Hofhaltung des Markgrafen, späteren Kurfürsten Albrecht, des deutschen Achilles, zurückführen und die Schilderung von Festen und Gebräuchen nothwendig machen, aus denen in der heutigen Hofordnung nur noch wenige Reminiscenzen übrig geblieben sind, z.B. der Fackeltanz bei Vermählungen. Ob das Bedürfniss eines Handbuches der angegebenen Art fühlbar sei, darüber glaubt der Herausgeber sich ein Urtheil erlauben zu dürfen; es werden wenigstens seit einer Reihe von Jahren, insbesondere wegen der Anmeldung und Vorstellung beim Königlich Preussischen Hofe, sowie wegen des Costüms, in welchem man, namentlich bei Trauer, daselbst zu erscheinen habe,[3] und vor Beginn der grösseren Hoffeste zur Carnevalszeit immer wieder eine Reihe von Fragen erhoben, welche von grosser Unsicherheit Kunde geben, und welche von den betreffenden Hofbeamten oder Hofbehörden nicht immer so schnell und nicht so ausführlich, wie gewünscht wurde, erledigt werden konnten. Durch die Mittheilung und systematische Zusammenstellung derjenigen reglementarischen Bestimmungen oder Allerhöchsten Special-Befehle, welche bei verschiedenen Veranlassungen veröffentlicht wurden, also auch für das grössere Publicum kein Geheimniss sind, dürfte dem erwähnten Uebelstande nicht blos gründlich abgeholfen werden, sondern es wird sich daraus zugleich ergeben, dass es an Bestimmungen und Normen in den zweifelhaft geglaubten Fällen nicht fehlt, sondern dass sich an dem norddeutschen grossen Königshofe, vielleicht weil gerade hier die Gesellschaft aus nicht so stabilen Elementen zusammengesetzt ist und öfter wechselt, als an anderen Höfen, insbesondere am Wiener Hofe, die Kenntniss mancher Einrichtungen und Vorschriften weniger traditionell forterbt, als dort.

In England ist die Kenntniss herkömmlicher Einrichtungen, insbesondere der Präcedenztabelle, so allgemein verbreitet, mit den davon berührten Personen und Classen so eng verwachsen, dass die zur Aufrechterhaltung der Ordnung bei grossen Hoffesten berufenen Beamten nur sehr geringe Mühe haben und von der Versammlung selbst bei Handhabung ihres Auftrags unterstützt werden.

Blickt man in die Vergangenheit zurück, so findet sich am Königlich Preussischen Hofe immer wiederkehrend die Vorliebe für einfache Formen bei den Regenten ausgeprägt, hervorgerufen durch den militairischen Geist, welcher dieselben beseelte und aus dem Preussischen Königreiche einen Militairstaat geschaffen hat. Man kam aber oftmals in die Lage, grosse, glänzende Feste ausrichten zu müssen,[4] und es hat deshalb sowohl der strenge und haushälterische König Friedrich Wilhelm I., als auch sein weiser und sparsamer Urenkel König Friedrich Wilhelm III. doch eines gewissen opulenten Hofstandes nicht zu entrathen vermocht, um bei eintretenden Veranlassungen den dringend gebotenen Aufwand mit Hülfe eines grösseren Hofstaates in würdiger Weise entfalten zu können.

So ist es gekommen, dass in Preussen, mehr als an manchen anderen Höfen, die Flügel-Adjutanten des Königs zugleich seine dienstthuenden Kammerherren sind, und dass das Ceremoniel des Preussischen Hofes an mehr als einer Stelle die militairische Gliederung durchblicken lässt. Es ist der Preussische Nationalcharakter, welcher auch im Hofleben sich deutlich abspiegelt.

Fühlbar ist besonders der Mangel an Kenntniss der Rangverhältnisse, welche am Königlich Preussischen Hofe gelten, und die sich allerdings im Laufe der Zeit nach Maassgabe der veränderten Verhältnisse selbstverständlich haben umgestalten müssen. Dieser Mangel ist offenbar der Grund unzähliger Rangfragen, welche Jahr aus Jahr ein an den Ober-Ceremonienmeister von Personen, welche hier oder in den Provinzen ein Haus machen, oder auch von Mitgliedern anderer deutschen Höfe ergehen, woselbst man sich nach den Gebräuchen des hiesigen Königlichen Hofes mehr oder minder zu richten begehrt.

Bei den in diesem Werkchen mitgetheilten Reglements, welche den Hauptinhalt des Ceremoniels am hiesigen Königlichen Hofe bilden, ist deshalb auch vorzugsweise auf das Rangreglement und dessen Entwickelung und ebenso bei der Wahl der zur Erläuterung jener Reglements beigefügten Beispiele vornehmlich auf solche Bedacht genommen worden, bei welchen die Rangfrage hervortritt. Es ist dem Herausgeber eben um den practischen Nutzen dieses kleinen Buches zu thun, und er[5] giebt sich der Hoffnung hin, dass man dies freundlichst anerkennen und andere Forderungen an dasselbe nicht stellen werde, als das Bedürfniss rechtfertigen kann, welches dazu Veranlassung gegeben hat. Wir schliessen mit den beziehungsreichen Worten eines durch lange Erfahrungen wohl geschulten alten Sängers:


Da selbst die Regel sich vergisst,

So schreibe auf, was üblich ist;

Geschrieben will es Mancher lesen,

Bevor er glaubt, was sonst gewesen.


Berlin, im Mai 1877.

Stillfried.[6]

Quelle:
Stillfried-Alcántara, Rudolf von: Ceremonial-Buch für den Königlich Preußischen Hof I. - XII. Berlin 1877.
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