Auf der Straße.

[50] Gehe weder zu rasch noch zu langsam und achte darauf, daß du die Füße nach auswärts setzest.

Betrachte keinen Vorübergehenden starr und anhaltend; noch viel weniger wende dich um, um einem nachzuschauen.

Ein junges Mädchen grüßt zuerst, wenn es einer Dame begegnet.

Bei Herren hast du deren Gruß abzuwarten und ihn durch ein leichtes Neigen des Hauptes zu erwidern. Ausgenommen sind ältere Herren der Verwandtschaft und Bekanntschaft, ferner auch direkte Vorgesetzte, z.B. Geistliche und Lehrer. Diese darf, ja mußt du, unbeschadet deiner Würde als heranwachsende Dame, zuerst grüßen.

Es verrät ein undankbares Herz oder einen sehr beschränkten Verstand, wollte ein junges Mädchen nach der Rückkehr aus der Pension die früheren Wohltäter und Lehrer ignorieren und übersehen.

Der Gruß vor einer alten Dame ist selbstredend tiefer als vor einem Herrn oder einer jüngeren Person.

Befindest du dich in Gesellschaft deiner Eltern und diese werden von dir unbekannten Personen gegrüßt, so hast du stets den Gruß zu erwidern.[50]

Die einzelnen Fälle beim Grüßen lassen sich nicht so genau bestimmen; ich glaube jedoch, niemand wird es unschicklich finden, wenn ein junges Mädchen auch einmal freundlich dankt, wo es streng genommen nicht dazu verpflichtet ist. Das wäre z.B. der Fall, wenn ihr euch in Begleitung von ziemlich fernstehenden Bekannten befindet und diese werden von Vorübergehenden gegrüßt. Ihr braucht dann nicht den Gruß zu erwidern, dennoch würde ich dazu raten.

Fange mit älteren Personen kein Gespräch auf der Straße an; einer Aufforderung dazu jedoch leiste höflich und gefällig Folge. Es ist eine häßliche Gewohnheit, lange auf der Straße stehen zu bleiben, die Unterhaltung laut und mit lebhaften Bewegungen zu führen, so daß die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden erregt wird. Es ist anzuraten, beim Gespräche langsam weiterzugehen.

Niemals darf ein Gruß oder eine Bemerkung über die Straße gerufen werden. Auch spreche nicht von der Straße aus mit einer Person in den oberen Stockwerken des Hauses, wie du auch nicht auf die Straße hinausrufen darfst.

Geht ihr mit Eltern oder mit älteren Personen aus, so gebührt ihnen natürlich der Ehrenplatz an der rechten Seite, aber wenn ihr zu mehreren seid, in der Mitte. Beim Auf- und Abpromenieren ist es nicht nötig, jedesmal peinlich die linke Seite zu suchen, achtet nur darauf, daß ihr beim Umwenden dem Begleiter nicht den Rücken zukehrt.

Das Einhängen oder Sich-in-den-Arm-Nehmen ist freilich bei jungen Mädchen eine beliebte Mode,[51] dennoch auf belebten Straßen nicht immer zu empfehlen, besonders nicht, wenn ihr zu drei oder vier zusammen seid.

Gegen ältere und gebrechliche Leute zeigt euch besonders gefällig, führet sie und bietet ihnen beim Überschreiten der Straße oder ungeschwollenen Gossen hilfreiche Hand. Auch ganz unbekannten Personen dürft ihr diese Rücksicht erweisen. Duldet nie, daß Damen oder ältere Personen etwaige Pakete selbst tragen.

Richtet euren Schritt nach dem eurer älteren Begleiter. Gilt es, einen schmalen Weg zu passieren, so laßt älteren Damen den Vortritt. Ebenso auf einer Brücke oder Treppe.

Weitläufige Begrüßungsformen sind auf der Straße zu vermeiden; unter Bekannten ist ein leichter warmer Händedruck üblich.

Die dargebotene Hand halte nicht zu lange fest; unter allen Umständen jedoch mußt du sie annehmen; es wäre grobe Taktlosigkeit, wolltest du sie absichtlich übersehen. Im allgemeinen sollen junge Mädchen im Darreichen der Hand vorsichtig sein; der Handgruß hat gewöhnlich von der älteren Person auszugehen.

Leidenden und Unglücklichen gegenüber sei nicht karg im Beweise dieser Anteilnahme; ihnen wird es stets wohltun, wenn du ihnen mit tröstenden Worten oder mit einer Gabe zugleich die Hand drückst.[52]

Quelle:
Tante Lisbeth: Anstandsbüchlein für junge Mädchen. Regensburg 4[o.J.]., S. 50-53.
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