Auf der Promenade und in öffentlichen Lokalen.

[53] Junge Mädchen müssen auf der Promenade ganz besonders auf ihre Haltung achten; sie werden gewöhnlich schärfer beobachtet als andere Leute.

Allein spazieren zu gehen, ist unstatthaft; auch macht es keinen guten Eindruck, wenn man dich auf der Promenade lesend oder mit einer Handarbeit findet.

Lasse dich auch niemals allein auf den Bänken einer Promenade nieder.

Vermeide jede zu auffallende Kleidung, wenn auch die Toilette auf der Promenade eine gewähltere sein sollte als auf der Straße. Zu den


öffentlichen Lokalen


rechne ich hier Kaffeehäuser, Restaurationen und Gartenwirtschaften, Konzert- und Theatersäle.

Im allgemeinen soll ein junges Mädchen Restaurationen und Gartenwirtschaften allein nicht besuchen. Sollte es geschehen, so suche man das Damenzimmer auf, welches heute die meisten öffentlichen Lokale besitzen. Ist jedoch keines vorhanden, so wähle einen bescheidenen Platz; nie darfst du dich an einem Tisch niederlassen, der ausschließlich von Herren in Beschlag genommen wird. Eine Handarbeit ist hier[53] wie überhaupt in allen mehr geschlossenen Anlagen gestattet.

Es gibt jedoch Damen, die den Fleiß zu weit treiben. Ich halte es nämlich für ein schlechtes Kompliment für Redner oder Orchester, wenn während eines Vortrages oder eines Konzertes die Aufmerksamkeit der Damen sich hauptsächlich auf ihre Handarbeit konzentriert.

Treten Bekannte, und zwar ältere Herren oder Damen ein, so müssen junge Mädchen sich halb erheben; beim Vorübergehen jüngerer Herren und Damen bleiben sie sitzen.

Man erwartet mit Recht von dir, daß du Damen und älteren Herren, wenn es an Platzen mangelt, deinen Stuhl anbietest. Eine Weigerung lasse hier nicht gelten.

In öffentlichen Lokalen und Anlagen gebühren die besten Plätze stets den älteren Personen; verzichte also stets darauf, auch wenn es mit persönlichen Opfern, z.B. dem Aufgeben einer schönen Aussicht oder mit kleinen Unannehmlichkeiten verbunden ist.

Wird dir in Gesellschaft älterer Damen besondere Rücksicht erwiesen, so zwar, daß deine Begleiterin sich mit Recht zurückgesetzt fühlen muß, so lehne selbst jeden Dienst höflich ab, denn die älteren Damen haben auf jeden Fall die ersten Rechte.


Was Konzert und Theater angeht, so verliere nicht aus dem Auge, daß du nicht hingehst, am deine Neugierde zu befriedigen, dich an Publikum und Toiletten satt zu sehen, sondern um einen Kunstgenuß[54] in dich aufzunehmen. Dies bedingt allein schon, daß du nur Aufführungen beiwohnst, die dir einen solchen verbürgen.

Sei stets pünktlich da; du teilst ja nicht die Ansicht jener, die das leidige »Zuspätkommen« für vornehm halten. Ich sehe eher einen Mangel an Rücksicht darin, denn wir stören gewöhnlich einen oder mehrere der Festteilnehmer.

Ist dein Platz nicht leicht zu erreichen, so entschuldige dich bei jedem, den du belästigen oder der sich deinetwegen bemühen muß.

In größeren und feineren Konzert- und Theatersälen erscheinen die Damen gewöhnlich ohne Hut. Handschuhe jedoch sind hier so streng vorgeschrieben wie für Straßen, Promenade und jedes öffentliche Lokal.

Während der Vorstellung wende deine Aufmerksamkeit der Szene zu; Plaudern und Lachen ist dann nicht am Platze.

Belästige auch andere nicht mit Fragen über Textbuch, Schauspieler usw. – warte damit bis zu der Pause. Doch nie darfst du solche allgemeine Erkundigungen bei fremden Herren einziehen. Wird dir eine Auskunft angeboten, so nimm sie freundlich hin.

Geräuschvolles Beifallklatschen überlasse lieber den Herren. Auch mustere in den Pausen nicht allzu häufig das Publikum durchs Opernglas; bei den meisten erweckt es ein peinliches Gefühl, sich so fixiert zu wissen.

Das Begrüßen der Bekannten und Freunde gehört[55] in die Pause; begnüge dich vorher mit einer leichten Verbeugung.

Selbstredend darf während der Vorstellung nicht gegessen und getrunken werden; während der Pause magst du ein kühlendes Bonbons oder dergl. zu dir nehmen.

Zum Schlusse dieses Abschnittes darf Tante Lisbeth sich wohl die Bemerkung erlauben, daß sie bei jungen Mädchen den allzu häufigen Besuch des Theaters nicht gern sieht. Solche Vergnügen sind um so wertvoller, je seltener sie genossen werden. Auch rate ich, über die betreffenden Stücke sich im voraus wenigstens in etwas zu orientieren: ein klassisches Drama vorher z.B. zu lesen. Das Verständnis wird alsdann um so großer und leichter sein.

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Intermezzo.

Der Herr Oberförster.


Wie ich den Titel schreibe, ersteigt der Träger vor meinem Geiste; eine hohe, militärische Gestalt, zwar ein unglücklicher Nimrod, den aber trotzdem Jagdtasche und Kappe besser kleideten als der »Gesellschaftsanzug«, in dem er auf Wunsch seiner Frau Gemahlin zuweilen sich einen Kunstgenuß verschaffen mußte. Es gehörte zum guten Ton, und das genügre. Aber der ehrliche Oberförster leugnete nicht, daß es ihm eine »harte Nuß« sei; trotzdem wurde er nicht davon dispensiert, sie aufzuknacken.[56]

Einmal traf mich das Los, in einem der städtischen Konzerte neben dem Herrn Oberförster zu sitzen; an jedem anderen Orte hätte man mich darum beneiden können; denn der Jägersmann würzte seine Unterhaltung stets mit so viel Jägerlatein, daß die Lachmuskeln seiner Zuhörer selten zur Ruhe kamen.

Aber in der Konzerthalle ging das nicht an; der Herr Oberförster im Galaanzug mußte mäuschenstille sitzen und lauschen. Die Musik leistete wirklich Großartiges; die herrlichen Chöre, die getragenen, ausdrucksvollen Solos mußten auf jedes Herz Eindruck machen. Da höre ich plötzlich neben mir ein leises Geräusch, – immer stärker – und entsetzt sehe und höre ich, wie mein musikalischer Nachbar tief in Morpheus' Arme gesunken.

Es war mir eine Erleichterung, als bald der Schlußakkord erklang; der arme Oberförster hatte so lange widerstanden, als es ihm eben möglich war. Dann aber sprang er, wie entsetzt, in die Höhe und schaute eine Weile verzweifelt umher. Ein leises Gekicher ließ sich hier und dort vernehmen; aber der Musikalische hatte sich bald wiedergefunden und begab sich mit der größten Seelenruhe in eine der zum Auf- und Abwandeln in der Pause bestimmten Glashallen. Und nachher versicherte er, unbekümmert um die strengen Blicke der Frau Gemahlin;

»Das Beste am ganzen Konzert sind die Pausen gewesen.«

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –[57]

Die Quintessenz meines Intermezzos:

Wenn du so unmusikalisch bist wie der gute, ehrliche Oberförster, dann bleibe lieber daheim. Übrigens ist bei den meisten jungen Mädchen der musikalische Geschmack mehr oder weniger gebildet.

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Ich erwähnte schon, daß Handschuhe im Konzert und Theater unerläßlich sind. Die ganze Toilette muß überhaupt sein und elegant sein, jedoch, wie ich stets betone, nicht übertrieben. Sie richtet sich ab und zu nach den Plätzen. Ich würde jungen Mädchen zu weißen oder hellen Kleidern raten, oder wenn dies nicht immer möglich, wenigstens zu leichten Blusen von weißer oder sehr heller Seide, wie sie heute in so reicher Abwechslung und geschmackvoll hergestellt werden.

Über die Geschmacksverirrung des »Halbärmels« – die sich wohl wieder schnell verlieren wird, will ich schweigen, und nur bemerken, daß die Handschuhe eine dementsprechende Länge haben müssen.

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Schon wollte ich diesen Abschnitt schließen, als mir etwas einfiel, was ich für recht hier am Platze halte. Ich meine den Gebrauch der Parfüms. Einige junge Mädchen haben die Gewohnheit, sich gerade dann, wenn sie ausgehen wollen, mit Wohlgerüchen förmlich zu begießen. Und doch, wie unangenehm kann das für andere werden! Vermeide alle scharfen, penetranten Gerüche wie Moschus, Patschuli usw., da sie einigen Personen heftiges Kopfweh verursachen[58] können. Von anderen leichteren Essenzen nimm, wenn es denn sein muß, nur wenig, nicht, daß man deine Anwesenheit schon auf 20 Schritte merken kann. Der angenehmste und kräftigendste Wohlgeruch ist Eau de Cologne; dazu würde ich auch am ersten raten, schon damit du nötigenfalls ein Belebungs- und Erfrischungsmittel zur Hand habest. Du magst es in einem kleinen Flakon bei dir tragen.[59]

Quelle:
Tante Lisbeth: Anstandsbüchlein für junge Mädchen. Regensburg 4[o.J.]., S. 53-60.
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