Auf der Universität

[23] Ostern 1864 bezog ich die Universität Göttingen und drei Jahre später machte ich in Braunschweig mein juristisches Staatsexamen. Diese Zeit, die fast jedem, der studiert hat, als eine der glücklichsten und heitersten seines Lebens im Gedächtnis bleibt, hat für mich keine so fröhlichen Erinnerungen[23] zurückgelassen; sie wurde empfindlich gestört durch schwere Rückfälle in die Flimmermigräne, die mich schon als Knabe heimgesucht hatte. Im ersten Semester genoß ich mit früheren Schulfreunden, die vor oder mit mir nach Göttingen gezogen waren, den schönen Sommer durch Ausflüge in die freundliche Umgebung bis nach Kassel.

Am Schluß des Semesters meldeten sich mehrere von uns bei dem Korps Brunsviga, der alten Landsmannschaft der Braunschweiger, zu der meine Landsleute, die einer Verbindung in Göttingen beiraten, auch damals noch meist zu gehen pflegten, zumal wenn – wie es bei mir der Fall war – auch der Vater doch aktiv gewesen war. Volle Freude oder gar überschwengliche Begeisterung für das Korpsleben konnte ich aber nicht gewinnen. Das tägliche Kneipen widerstand mir schon physisch, und das Gebundensein an alle die vielen kleinen Formen, die dem Verbindungsstudenten heilig sind, war mir nicht sympathisch. Auch fand ich unter der damals kleinen Zahl meiner Korpsbrüder wenige, mit denen ich harmonierte. Trotzdem machte ich, freilich bei regelmäßigem Besuch der Kollegien, das Korpsleben mit, war im folgenden Sommersemester 1865 dritter Chargierter des Korps und konnte in wenigen Monaten bei der mir anerzogenen Sparsamkeit die Korpskasse, die seit Jahren arg verschuldet war, wieder in Ordnung bringen.

Aber die Folgen dieses ungewohnten Lebens auf meine empfindsamen Kopfnerven machten sich bald geltend. Die Flimmererscheinungen und Krämpfe, die mich jahrelang verschont hatten, traten wiederholt und sehr heftig auf, so daß ich mehrere Monate im elterlichen Hause ganz der Rekonvaleszenz leben mußte und zum Winter nicht mehr nach Göttingen zurückkehrte, sondern, da sich mein Befinden allmählich besserte, in Berlin weiter studierte.

In Berlin habe ich meine juristischen Studien pflichtmäßig fortgesetzt und bis zum notwendigen Abschluß gebracht, aber der Anziehungspunkt waren für mich in den drei Semestern die Sammlungen der Königlichen Museen. Wie ich von Göttingen aus wiederholt die Galerie in Kassel besucht habe, so[24] hatte ich gelegentlich auf einer Schweizer Reise im Sommer 1864 die Münchener Sammlungen und bald darauf, auf einem Ausflug in die Sächsische Schweiz, die Dresdener Kunstsammlungen kennengelernt. An Hand der Kataloge hatte ich schon gelernt, mich darin selbständig einigermaßen zu orientieren, und begann nun in Berlin mit Hilfe der wenigen damals erschienenen Handbücher von Kugler, Waagen, Lübke, die Sammlungen systematisch durchzuarbeiten, wobei mir ein Kolleg Waagens mit Führung in der Gemäldegalerie wichtige Fingerzeige gab.

Der Wunsch, Kunstgeschichte als Lebensberuf zu erwählen, wurde immer lebhafter in mir, aber ich scheiterte an dem Widerspruch meines Vaters, der mir – nicht mit Unrecht – vorwarf, daß ich ja bisher durchaus Naturwissenschaften hätte studieren wollen und daß diese mir doch noch viel eher Aussicht auf eine feste Lebensstellung geboten hätten als das völlig brotlose Studium der Kunstgeschichte. In letzterem stimmte auch Professor Waagen, den ich um Rat fragte, meinem Vater bei: eine ordentliche Professur für Kunstgeschichte sei an keiner deutschen Universität vorhanden, und die wenigen Direktorenstellen an größeren Galerien würden an Maler verliehen; er selbst sei der einzige Kunsthistoriker, der einer Galerie vorstehe. Ich mußte also verzichten, machte mein Examen und trat im Sommer 1867 beim Amtsgericht in Braunschweig als herzoglich Braunschweigischer Auditor (Referendar) ein.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 23-25.
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