Als Auditor in Braunschweig

[25] Auch in dieser Stellung bot sich mir die schönste Gelegenheit, um bei den sehr wenigen Arbeiten, welche mir mein Amt auferlegte, meine Kunststudien weiterzutreiben. Ein Freund meines Vaters, Professor Blasius, hatte nämlich nach dem Tode des Prinzenerziehers und Galeriedirektors Eigener neben seinen naturhistorischen Sammlungen, die den einen Flügel des alten Museums einnahmen, auch die Kunstsammlungen unter seine Leitung bekommen. Da er mir sehr wohlwollte und[25] meine Bestrebungen von jeher gefördert hatte, stellte er mir die Sammlungen für meine Studien zu freiester Verfügung. Ich bekam einen eigenen Schlüssel zu den Sammlungsräumen, erhielt die Erlaubnis, die alten Klebebände mit den Stichen und Handzeichnungen zu zerschneiden und eine Ordnung nach Künstlern vorzubereiten, die Inschriften auf den Bildern zu kopieren: kurz, ich hatte Gelegenheit zu den lehrreichsten, praktischen Studien, die ich gründlich ausnützte.

Gleichzeitig erhielt ich bei meiner regelmäßigen Anwesenheit im Museum Gelegenheit, fremde Kunstfreunde, welche die Sammlungen an den Tagen, an denen sie nicht geöffnet waren, besuchten, kennenzulernen und zu führen, was mir Professor Blasius gern überließ. Unter den Besuchern war der bekannte Aachener Sammler Barthold Suermondt, der mit seinem Freund W. Bürger (Thoré) eine kurze Reise durch die westdeutschen Galerien machte. Sie forderten mich auf, sie nach Kassel zu begleiten, was ich natürlich mit größtem Dank annahm. Bürger, dessen Bücher über die holländischen Galerien ich besaß und fast auswendig kannte, war von echt französischer Lebendigkeit. Seine Erklärung der Bilder, die ihn im höchsten Maße interessierten, war noch anregender für mich als jene schriftlichen Aufzeichnungen. Ein anderer Besucher, freilich ganz anderen Schlages, war Eduard Mündler, auch ein Pariser, aber ein echter, braver Deutscher. Wie Koloff, den ich später kennenlernen sollte, war er in Paris hängengeblieben; und während jener in einer untergeordneten Stellung an der Bibliothèque Nationale sein Leben kümmerlich und verbittert fristete, hatte Mündler, der als Hauslehrer beim preußischen Gesandten Grafen Pourtalès, einem der feinsinnigsten Sammler seiner Zeit, Freude und Verständnis für alte Kunst bekommen hatte, schließlich als Kunsthändler seine Kenntnisse verwerten können. Während Bürgers Interesse ganz in der holländischen Malerei, namentlich in Rembrandt aufging, war Mündler ein begeisterter Anhänger der klassischen Meister und ihrer Vorläufer. Ich erinnere mich noch, wie der treffliche alte Mann,[26] als ich ihn auf sei ner Durchreise nach Petersburg im Frühjahr 1869 auf dem Bahnhof in Braunschweig wieder begrüßte, mit sichtlicher Entrüstung von dem Ausgang der Versteigerung Delessert erzählte, in der ein dekoratives Bild von Teniers die entzückende kleine Madonna d'Orleans von Raphael im Preise um 9000 francs geschlagen habe. In unserer Braunschweiger Galerie war für ihn Palmas Adam und Eva die Perle der Sammlung, wie es für Bürger Rembrandts Familienbildnis und der Vermeer waren.

Im Sommer 1868 durfte ich zum erstenmal die Niederlande besuchen. Ich nahm den Weg über Aachen, wo mir Suermondt seine Sammlung zeigte und Briefe an Freunde in Holland und Belgien mitgab. So war der junge braunschweigische Auditor überall aufs freundlichste empfangen und wurde von allen Kunstfreunden und Sammlungsvorstehern wie ihresgleichen behandelt. Ich sah in Amsterdam die öffentliche Sammlung im Trippenhuis und im Hoop-Hause, die Bilder des Stadthauses und der Waisenhäuser, die Galerien Six und van Loon, im Haag neben den öffentlichen Galerien die Sammlung Steengracht, wo Victor de Stuers mich einführte, in Haarlem die Hals'schen Schützen- und Regentenstücke und seine Bilder im Hofje van Berensteyn, in Rotterdam die Anfänge der neuen Galerie (die alte Sammlung war wenige Jahre vorher durch Feuer zerstört worden) und die Samm lung His van Blockhuisen. Ähnlich erfolgreich war der Besuch der belgischen Städte. In Brügge lernte ich James Wheale kennen, der, damals noch im geistlichen Gewande, gerade seine große Arbeit über die vlämischen gravierten Bronzeplatten vorbereitete. Sein Zimmer, in dem staubbedeckte Abdrücke der großen Platten mit Akten und Büchern in malerischer Unordnung Tische, Stühle und Wände bedeckten, ist mir noch in frischer Erinnerung geblieben, ebenso wie die lehrreiche Führung durch alte Kirchen und Stifte, in denen damals noch die reichen Kunstschätze Brügges zerstreut waren.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 25-27.
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