Unerträgliche Arbeitsverhältnisse

[137] Alle jene Erörterungen und Pläne über den definitiven Ausbau der Museumsverwaltung basierten auf der Annahme, daß Graf Usedoms Abgang von einem Tage auf den andern erfolgen müsse. Niemand ahnte, daß bis dahin noch Jahre vergehen sollten. Die nächste Zeit wurde dadurch eine Zeit der größten Versumpfung und des erbittertsten Kampfes bei allem, was durchgesetzt werden sollte, gerade für mich. Denn Meyers Morphiumkrankheit hatte inzwischen solche Fortschritte gemacht, daß er sich im Museum immer seltener sehen ließ, und aus Angst, einen Entschluß fassen zu müssen, zu nichts mehr zu bestimmen war, statt dessen sich und mich mit den unnötigsten Kleinigkeiten peinigte. Eine Hauptplage durch Jahr und Tag war die schon längst von mir angeregte Frage der Anbringung von Schildern mit Namen und Daten an den Gemälden, für die auch der Kronprinz warm eingetreten war; eine zweite versumpfte Angelegenheit war der Katalog der Galerie. Um ja keine Irrtümer in der Benennung und Datierung zu machen, ließ Meyer mich zunächst die alten Tafeln, auf denen die Namen der Künstler und die Darstellungen der Bilder an jeder Kabinettwand aufgezeichnet waren, neu bearbeiten und dann von einem »Kalligraphen« abschreiben, eine mühsame, völlig überflüssige Arbeit, die sich durch die Ungeschicklichkeit und Flüchtigkeit dieses Schreibers fast ein Jahr lang hinzog und dann noch infolge einiger Schreibfehler zu einem großen Zeitungsskandal Veranlassung gab.[137]

Ernste Dinge konnten nicht erledigt werden. Alle Verhandlungen, die ich in Italien über Ankäufe von Bildern angeknüpft und zum Teil unter Vorbehalt abgeschlossen hatte, scheiterten schon an der Unentschlossenheit Meyers, so daß sie gar nicht bis zu Graf Usedom gelangten. So hatte ich in Florenz beim Antiquar Riblet ein größeres niederländisches Madonnenbild und ein reizvolles frühes Gemälde von L. Cranach, ein Paradies, gefunden, die dem Händler in Kommission gegeben waren. Beide Werke stammten vom Conte de Bardi, also aus altem Parmenser Besitz, wie ich später erfuhr. Ich schloß den Handel auf 7000 Lire ab, nach damaliger Währung etwa 5000 Mark. In Berlin wurde mir aber bedeutet, daß ich den Ankauf wieder rückgängig zu machen habe, da die Bilder kein Interesse für uns hätten. Jenes Madonnenbild ist das Gemälde vom Meister von Flémalle, das über die Sammlung an Somzée und Salting schließlich in die National Gallery gekommen ist.

Bald darauf teilte mir Baslini von Mailand mit, daß er die Bilder des Conte Fenaroli in Brescia, die wir wiederholt mit ihm dort angesehen und mit deren Kauf wir ihn beauftragt hatten, erworben habe; er stelle sie uns mit 120000 Lire zur Verfügung. Es waren drei ganze Figuren von Moretto und Morone, ein Savoldo und vier Ansichten Venedigs von Canaletto, von denen jetzt die vier ersteren einen Hauptschmuck der National Gallery bilden. Bei Meyer fand auch diese Angelegenheit die gewohnte Behandlung: Entrüstung über die »Überrumpelung«, Ausrede mit Mangel an Mitteln, Hinzögern und schließlich – Ablehnung! Eine der intimsten Bildnisgruppen der Renaissance entging uns später in ähnlicher Weise. Ich sah bei Bardini das prächtige Bild Ghirlandajos, Großvater und Enkel, das durch den Gegensatz des abschreckend häßlichen Alten mit der Doppelnase und des bildschönen, zärtlich sich an ihn schmiegenden Jungen von so ergreifender, rührender Wirkung ist. Ich erstand es um 6000 Lire und nahm es gleich mit nach Berlin. Meyer war wenig erbaut von der Erwerbung, namentlich wegen der Kratzer auf der Stirn[138] des Alten, doch fügte er sich anscheinend. Das Bild blieb monatelang bei uns. Ich verreiste, und als ich zurückkam und vergeblich nach meinem Liebling suchte, erfuhr ich, daß Meyer das Bild an Bardini zurückgeschickt habe, der es inzwischen schon an den Louvre um 18000 francs verkauft hatte.

Bei dieser schmerzlichen Erinnerung mag ein Erlebnis aus weit späterer Zeit Erwähnung finden. Im Jahre 1905 traf ich in London mit meiner ältesten Tochter zusammen, die damals in Oxford ein College besuchte. Ich glaubte, sie außer mit den herrlichen Sammlungen auch mit ein paar berühmten Sammlern bekanntmachen zu müssen. Wir waren bei George Salting und dann bei John Pierpont Morgan. Der alte Herr ließ es sich nicht nehmen, »Mademoiselle« den ganzen Morgen hindurch seine Schätze zu zeigen. Als wir unten in der Halle den Schrank mit den kostbaren romanischen und gotischen Kirchengeräten besahen, trat Morgans jüngste Tochter mit ihren reizenden Kindern herein. Der Knabe lief voraus und sprang am Großvater hoch, der ihm entgegenging und ihn küßte. »Vater, Ghirlandajo«, sagte meine Tochter halblaut zu mir. Pierpont Morgan, dessen Nase ähnlich verunstaltet war, wandte sich schroff um und fragte unverblümt: »What about Ghirlandajo, Mademoiselle?« Ich suchte ihr aus der Verlegenheit zu helfen, indem ich darauf antwortete, wir hätten von dem herrlichen Tornabuoni-Porträt Ghirlandajos gesprochen, das er eben aus der Sammlung R. Kann erworben hatte.

Außer dem schönen Doppelbildnis von Ghirlandajo habe ich dem Louvre dann auch noch bedeutende, umfangreiche Fresken, die zum Schönsten gehören, was die italienische Kunst des Quattrocento hervorgebracht hat, in der gleichen Weise ins Netz treiben müssen. Nach langen vergeblichen Bemühungen hatte ich im Sommer 1876 durch Bardini das große Fresko der Kreuzigung von Fra Angelico aus San Domenico in Fiesole erworben. Die Ankaufskommission entschied sich gegen das Bild, da es der Maler in der Kommission, Oscar Begas, »abscheulich« fand! Und Meyer benutzte diese in seiner Abwesenheit erfolgte Ablehnung, um in Zukunft prinzipiell den Ankauf[139] von Fresken abzulehnen, als Bardini ein paar Jahre später die beiden herrlichen Fresken Botticellis aus der Villa Lemmi um 50000 francs anbot.

Schon etwas früher – ich greife hier voraus, um mir den Kummer über alle diese unersetzlichen Verluste nicht jedesmal neu in Erinnerung rufen zu müssen – ging wohl der wichtigste Bilderkauf, den ich in Italien je zum Abschluß vorbereitet habe, auf ähnliche Weise in die Brüche, die Meisterwerke der Sammlung Torrigiani, um die wir uns seit 1874 bemüht hatten. In einem günstigen Moment hatte unser Unterhändler Bardini den alten Marchese, der immer in Geldverlegenheit war, zu einer festen Forderung für 13 von mir ausgewählte Bilder bestimmt. Unter ihnen waren die beiden großen Cassonebilder von Pesellino (jetzt bei Lady Wantage), die beiden köstlichen Cassone und zwei zugehörige Schmalbilder unter Filippinos Namen (jetzt in Chantilly, bei Fürst Liechtenstein u.a.), das sog. Selbstporträt von Signorelli, ein männliches Porträt unter Pollajuolos Namen (wohl von Botticelli, später bei R. Kann), das Bildnis Alessandros de Medici von Bronzino, alle 13 Bilder zusammen für 63000 francs! Als ich in Berlin ankam und den definitiven Abschluß zu betreiben suchte, wurde mir zur Antwort: quod non! Ein oder zwei Jahre später schnellte die Forderung für die Gemälde plötzlich sehr in die Höhe, als die fesche junge Frau eines alten Pariser Pillenfabrikanten, Madame Leclanché, die Bilder mit Bardini sah und durch ihn den einen sog. Filippino allein um 60000 francs erstand. In der Versteigerung Leclanché kaufte der Duc d' Aumale das Bild um einige 80000 francs. Als ich schließlich selbständig über die Mittel der Galerie zu verfügen hatte, erwarb ich von Bardini, der die wenigen noch zurückgebliebenen Gemälde der Sammlung für sich erworben hatte, wenigstens das herrliche Porträt von Signorelli. Ich mußte dafür genau den Preis zahlen, für den ich seinerzeit die ganze Sammlung ausgehandelt hatte: 63000 francs. Aus derselben Quelle erwarb ich gleichzeitig zwei hervorragende plastische Stücke, die große Bronzebüste des päpstlichen Sekretärs Fr. del Nero und die[140] Reliefbüste eines schönen Jünglings von Luca della Robbia; beide zusammen kosteten etwa 50000 francs.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 137-141.
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