Zustände im Kupferstichkabinett

[141] Zu allen diesen trotz glänzender Aussichten erfolglosen Bemühungen kamen gleichzeitig fortwährende, ebenso erfolglose Plackereien durch lange Gutachten und Beschwerden über alles, was in unseren Abteilungen vorging und vor allem nicht vorging, in deren Anforderung das Ministerium sich damals gar nicht genugtun konnte. Ganze Bände solcher unnützer Arbeiten von mir müssen aus diesen Jahren im Kultusministerium aufgestapelt sein. Alle Pläne und Unternehmungen, die nicht vorwärtsgehen wollten oder nicht begonnen wurden: die Abformungen in Italien, der Umbau der Gemäldegalerie, der Galeriekatalog, die Schilderfrage, die Abgabe und Taxen der Gegenstände der Kunstkammer (27000 Stück!), die Reform des Kupferstichkabinetts, der Orthsche Riesenbau über der Stadtbahn (für den der Kronprinz sich lebhaft interessierte): über diese und ähnliche Dinge mußte ich damals ausführliche Berichte erstatten. Da sie nur selten oder doch nur nach Jahren Erfolg hatten, waren solche Arbeiten, die mich an größeren wissenschaftlichen Aufgaben hinderten, meist sehr wenig erfreulich; sie brachten mir aber auch mancherlei Haß und geheime Angriffe ein.

Zu diesen Feinden gehörte namentlich Professor Weiß, den gute Freunde aus gescheiterter Künstlerlaufbahn auf den Assistentenposten am Kupferstichkabinett gerettet hatten. Dieser setzte seit Hothos Tode alles daran, um Direktor des Kabinetts zu werden. Obgleich ohne kunsthistorische Bildung und ohne auch nur oberflächliche Kenntnisse von den wichtigen Kunstgattungen, die das Kupferstichkabinett umfaßt, war er doch Graf Usedoms Kandidat, da er ihm schmeichelte und ihm in den unsinnigsten, rein dilettantischen Ankäufen billiger Stiche ganz freie Hand ließ. Der Generaldirektor hatte damals durch mehrere Jahre das Geld, ohne jede Kontrolle, für künstlerisch meist wertlose Stiche, namentlich Porträtstiche,[141] die ihn amüsierten, geradezu mit Fäusten hinausgeworfen, durchnittlich jährlich etwa vierzigtausend Mark. Mit der Durchsicht der Mappen solcher Reproduktionen, die fast täglich zur Ansicht eingesandt wurden, die Zeit zu vertrödeln, war die Lieblingsbeschäftigung des Grafen; wahllos wurde dann meist der Ankauf im ganzen dekretiert. Ich hatte gelegentlich die systematische Anschaffung von Photographien vorgeschlagen. Graf Usedom ließ sich daraufhin Brauns Katalog kommen und gab ihn mir, um danach meine Vorschläge zu machen. Ich empfahl eine Auswahl, da manche Aufnahmen veraltet oder unnütz waren; hatte doch Braun auch vielen Ballast aufgenommen, wo er nicht gut beraten war. Aber Usedom beachtete meine Vorschläge gar nicht, sodern befahl den Ankauf sämtlicher Braunscher Aufnahmen von Gemälden, Fresken und Zeichnungen, wofür – soviel ich mich erinnere – 16000 Taler auf einem Brett ausgegeben wurden.

Wie ich daneben, mit großer Mühe und leider nicht immer mit Erfolg, den Ankauf von Handzeichnungen und Miniaturen, gelegentlich ganzer Sammlungen wie die Suermondtsche und Haußmannsche, für das Kabinett durchzusetzen bestrebt war, habe ich schon erzählt. Nebenher ist es dem damaligen Assistenten, Dr. Wessely, gelungen, wenigstens eine Abteilung des Kabinetts glücklich zu bereichern: die Sammlung der Niellodrucke, für die er ein besonderes Interesse hatte. Nach denen des Barons E. Rothschild und des British Museum ist unsere infolgedessen die bedeutendste ihrer Art.

Die halbe Kuratel, unter die Professor Weiß im Kupferstichkabinett gestellt war, und das Gutachten, zu dem schließlich auf meinen Vorschlag vom Ministerium der einzige ernsthafte Sammler alter Stiche und Zeichnungen in Berlin, der Seidenhändler Adolf von Beckerath, aufgefordert wurde, hatte mir den Kollegen Weiß zum grimmigen Feinde gemacht. Ihm verdankten wir es, daß von Zeit zu Zeit in den angesehensten Zeitungen, in der Vossischen Zeitung, in der Kreuzzeitung, selbst in der offiziösen Norddeutschen Allgemeinen, die giftigsten und albernsten Angriffe gegen[142] die Galerieverwaltung, namentlich gegen mich persönlich erfolgten: bald über Schreibfehler in den Tafeln oder Schildern der Bilder, über angeblich durch Restaurierung zerstörte Bilder (zufällig fast immer solche, die seit Jahrzehnten nicht berührt waren!), über Ankäufe usw. Selbst im Kladderadatsch wurde mir damals ein kleines Monument gesetzt, in dem Professor Weiß ein gutes Wortspiel aufwärmte, das nach der Revolution 1848 auf meinen trefflichen Großvater gemacht war. Man versuchte ihn damals aus seiner Stellung als Stadtdirektor in Braunschweig zu beseitigen. »Die Zustände in den Berliner Museen – so etwa lautete der Witz – seien ganz bodenlos; sie könnten erst wieder Boden gewinnen, wenn sie Boden los wären.« Aber die Zustände sollten doch in anderer Weise Boden gewinnen, als Weiß sich dachte. Wenige Monate nach jenem Entrefilet im Kladderadatsch wurde Dr. Friedrich Lippmann zum Direktor des Kabinetts ernannt.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 141-143.
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