Graf Usedoms Abschied

[163] In Berlin hatten die Zustände in der obersten Leitung der Museen seit dem Winter 1877 eine sehr eigentümliche Färbung angenommen. Graf Usedom war bei aller Rücksichtslosigkeit und Dickfelligkeit doch durch das einmütige Zusammenhalten der einzelnen Abteilungsvorsteher und das Vorgehen des Protektors und Ministers gegen ihn schließlich so mürbe geworden, daß er seine Urlaubszeiten immer länger ausdehnte. Der plötzliche Tod seines Schützlings, des Restauratorgehilfen Stübbe,[163] im Herbst 1878 entriß ihm auch den letzten, absolut devoten Diener. Im Frühjahr 1878 hatte er freilich noch einmal Hoffnung geschöpft. Er erfuhr, daß Falks Stellung erschüttert war. Sofort erschien er wieder auf seinem Posten. Gegen uns trat er besonders barsch und rücksichtslos auf. Aber seine Hoffnungen wurden damals noch zuschanden. Falk hielt sich nicht nur, sondern benutzte die Anwesenheit des Grafen, um die Erledigung einer ganzen Reihe jahrelang verbummelter Arbeiten unter Androhung von Disziplinarstrafen zu erlangen. Damals ließ sich der Generaldirektor endlich auch dazu zwingen, nach vollen sechs Jahren einen Bericht über die mir bei meiner Berufung zugesagte Anstellung als Assistent an der Gemäldegalerie zu machen, denn ich versah den Posten immer noch auftragsweise ohne Gehalt. Trotzdem fühlte sich der Graf nicht verpflichtet, den Antrag auf meine Anstellung zu stellen.

Eine wichtigere Angelegenheit, die Umgestaltung der gesamten Museumsverwaltung, ließ er auch jetzt einfach unerledigt. Er betrachtete diese Anfrage des Ministeriums und des Protektors als eine persönliche Schikane, die seiner Beachtung nicht wert sei. Es war dies um so rücksichtsloser und unvorsichtiger, als damals, infolge der infamen Attentate von Hödel und Nobiling auf den alten Kaiser, dem Kronprinzen die Regentschaft für längere Zeit übertragen war. Doch hatte Usedom die Geduld seines hohen Vorgesetzten überschätzt. Im Auftrage des Kronprinzen-Regenten arbeitete Geheimrat Schoene ein Statut über eine Neugestaltung der gesamten Verwaltung der Kgl. Museen aus. Dieses erhielt die Unterschrift des Kronprinzen und wurde im November 1878 veröffentlicht. Graf Usedom traute seinen Augen nicht, als er es aus den Zeitungen kennenlernte. Entrüstet nahm er Urlaub auf unbestimmte Zeit, aus dem er nicht mehr zurückkehrte, wenigstens nicht mehr zu wirklicher Tätigkeit. Geheimrat Schoene wurde mit der Stellvertretung beauftragt, aber erst im Laufe des Jahres 1879 erhielt Graf Usedom seinen definitiven Abschied und lebte seither auf einem Gute in Pommern, wo er 1884 im[164] Alter von fast achtzig Jahren starb. An den Museen war er rasch vergessen, aber die Wunden, die er den seiner Leitung anvertrauten Instituten geschlagen hatte, verheilten zum Teil nur langsam, die Verluste, die er verschuldet hatte, waren meist nicht mehr zu ersetzen. Eine schwere Zeit für unsere Sammlungen, eine Zeit schlimmer Prüfungen und Verfolgungen für mich war vorüber. Über die Vorbereitungen zu der neuen Zeit, über die Neuordnung durch das Statut von 1878, die noch vor den eigentlichen Abgang des Grafen fallen, mag im folgenden die Rede sein, da die neue Zeit damit schon begann.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 163-165.
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