Domkapitular Schneider und Franz Xaver Kraus

[67] Im Herbst 1887 ging ich auf dem Rückweg von Pontresina kurze Zeit an den Ober- und Mittelrhein. Ich traf dort Otto Eisenmann aus Kassel und suchte mit ihm in Mainz den Domkapitular Friedrich Schneider auf, der uns Mainz und die Umgegend zeigte, neben den Stätten der Kunst auch einige der berühmten Weinorte, wo er die rechten Quellen für ein gutes Glas ebenso gut kannte. Ich bin seither mit diesem trefflichen Mann und feinen Kunstkenner, dessen Anregungen die Denkmalspflege wie die Sammler am Mittelrhein so viel verdanken, und der eine Reihe tüchtiger Künstler und Kunsthistoriker ihrem Berufe zugeführt hat, stets in Fühlung geblieben.

Auch den zweiten katholischen Geistlichen, dem die Kunstgeschichte in Deutschland zu großem Dank verpflichtet ist, Franz Xaver Kraus in Freiburg, hatte ich kennengelernt und war später mit ihm noch einige Tage in Venedig zusammen. Er war eine von Schneider grundverschiedene Natur. Wie jener vornehm und zurückhaltend war und zu Schwermut neigte, so war Kraus von impulsiver Art, dozierend mit glänzendem Vortrag, ein feiner, diplomatischer Kopf und zugleich eine echte Kampfesnatur. Ihm fehlte dagegen die feine, künstlerische Empfindung, die Schneider aus zeichnete. Beide standen zu unserem hohen Protektor in engster Beziehung und waren bestimmt, unter ihm als Kaiser eine Rolle zu spielen. Als aber ein trauriges Geschick Kaiser Friedrich kaum zum Regieren kommen ließ, sind sie beide wegen ihrer liberalen Gesinnung fast gemaßregelt[67] worden. Kraus trug nicht schwer daran, wußte er dabei doch immer Fühlung zu halten sowohl mit der Reichsregierung (unter Fürst Hohenlohe) wie mit einer gewissen Richtung der hohen Geistlichkeit. Aber schwer traf es den empfindsamen Schneider, zumal seit man ihm auch die Aufsicht über die Denkmäler seines Domes genommen hatte.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 67-68.
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