Erwerbung eines Memlings in der elektrischen Bahn

[127] Eine glückliche Erwerbung machte ich im gleichen Jahre auf sehr eigentümliche Weise. Ich fuhr vom Museum mit der elektrischen Bahn nach Haus zurück. Bald nach mir stieg ein mir bekannter, kleiner marchand-amateur ein, der einen flachen Gegenstand in der Hand hielt, schlecht in altes Zeitungspapier eingeschlagen. »Na, wollen Sie Ihr Butterbrot hier verzehren?« fragte ich ihn. »Ach, ich bin ganz unglücklich«, erwiderte er, indem er sein kleines Paket auswickelte, »mein Butterbrot ist dieses alte Bild hier! Denken Sie sich, ich habe das Bild, das ich bei einem Bekannten auf einem Gute bei Danzig entdeckt habe, unserem Freunde Alfred Thiem für 1000 Mark angeboten. Was antwortet er mir? Gehen Sie mit Ihrem Schinken; nicht 20 Mark gebe ich dafür!« Er reichte mir das Bild, in dem ich zu meiner großen Überraschung ein echtes, frühes Werk von Memling erkannte. Ich ließ es nicht wieder aus der Hand, und nach einigen Schwierigkeiten wurde es um 1800 Mark Eigentum unseres neuen Vereins.

Gleich, als ich das Bild erwarb, entsann ich mich des Porträts einer alten Dame von gleicher Größe und Anordnung, das ich einige Jahre vorher auf einer Ver steigerung in Mailand (Passalacqua) dem Kunsthändler Warneck überlassen hatte. Es war auf etwa 4500 Mark gekommen. Ich wandte mich[127] daher sofort an Warneck, um das Gegenstück unseres Männerporträts zu erwerben. Leider hatte er es kurz vorher mit dem Kunsthändler Leo Nardus (recte: Leonardus Salomon) ausgetauscht. Dieser verlangte jetzt 120000 francs dafür. Der Preis erschien mir zu hoch, doch lieh uns der Besitzer das Bild bei Eröffnung des Kaiser-Friedrich-Museums auf ein paar Jahre zur Aufstellung in der Galerie. Später kaufte es der Louvre um 200000 francs.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 127-128.
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