Tod des Kollegen Lippmann

[157] Im gleichen Jahr traf unsere Museumsverwaltung ein schwerer Schlag. Im Sommer erkrankte Friedrich Lippmann ganz plötzlich, wie sich herausstellte, an schwerer Herzarterienverkalkung; schon im Oktober standen wir an seiner Bahre. In fünfundzwanzig Jahren hatte er, ohne große Mittel und aus eigener Tüchtigkeit, die Sammlungen des Kupferstichkabinetts in die Reihe der ersten Sammlungen ihrer Art zu rücken verstanden und hatte durch seinen Geschmack und seine vielseitigen Kunstkenntnisse sich auch den übrigen Sammlungen nützlich erwiesen. Wie regelmäßig bei dem Verluste eines so bedeutenden, autokratisch waltenden Mannes war die Frage eines Nachfolgers außerordentlich schwierig. Unter seinen Beamten war niemand, der als sein Nachfolger[157] geeignet erschien, da er ihnen nie völlige Selbständigkeit oder Gelegenheit zu genügender Ausbildung gegeben hatte. Als tüchtigster Kenner in seinem Fach galt mit Recht ein Schüler Lippmanns, der Direktor des Dresdener Kabinetts, Dr. Max Lehrs; seine Berufung wurde daher allgemein erwartet. Aber der Generaldirektor Schoene war wenig geneigt dazu, nicht nur, weil er glaubte, Lehrs sei hier am unrechten Platze, sondern, weil ihm die Ernennung Tschudis zu Lippmanns Nachfolger am meisten erwünscht schien. Freilich nahm er dabei weniger Rücksicht auf das Kabinett, als er sich durch die Überzeugung leiten ließ, daß Tschudis Tätigkeit an der Nationalgalerie, namentlich seine Beteiligung an der Leitung der Sezession und seine demonstrativ feindliche Stellung der älteren Richtung der Berliner Kunst gegenüber, die Interessen der Museumsverwaltung schädige. Da aber Tschudi fast jede Erfahrung für die Leitung des Kabinetts fehlte, und da er zudem nicht die geringste Neigung hatte, sie mit der Direktion der Nationalgalerie zu vertauschen, kam es nach fast zweijährigen Bedenken schließlich zur Berufung von Lehrs. Doch zeigte es sich bald, daß Schoene in dessen Beurteilung recht gehabt hatte. Lehrs' beschauliche Art und stille Kleinarbeit in der Forschung paßte nicht in das unruhige Berliner Getriebe, nicht in die internationale Konkurrenz. Es war daher kein Wunder und günstig für beide Institute, daß er nach wenigen Jahren in seine alte Dresdener Stellung zurückkehrte.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 157-158.
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