Die Titel der Bilder.

[167] Eine echte Malerei soll allein durch sich selbst wirken.

Sind die Titel erforderlich (bei Bestellungen vom Staate und bei allegorischen und historischen Motiven), so wird dennoch nur die rein malerische Qualität gewürdigt werden, wenn das Bild zu den guten gezählt wird.

Diese durch Titel verständlichen Bilder sind immer noch nicht gleichbedeutend mit jenen Sachen anekdotischen Inhalts, die das reine Frage- und Antwortspiel bedeuten; vor denen ich am Anfang dieses Teiles gewarnt habe.

Aber ein derartiges Werk spekuliert bereits nicht mehr auf die rein sinnliche Augenempfindung, sondern auf Empfindeleien und novellistisches Spintisieren des Publikums.

Die Christusbilder von Uhde sind nicht deshalb bedeutend, weil er diese Motive in die moderne Zeit verlegt hat, sondern weil in den Bildern große malerische Qualitäten enthalten sind.

Viele Bilder werden durch den Titel erst zu Werken, die vom Publikum geliebt werden; die Betrachtenden erhalten mit dem Titel eine Handhabe, sich eine eigene Szene nach ihrer Fasson erdichten zu kön nen.[168]

In der Malerei ist es nicht möglich, darzustellen, wieviel Zeit jemand noch zu leben hat. Malt Munkácsy aber ein Bild mit einem tiefsinnigen Menschen, der von andern Figuren mitleidig angesehen wird, und nennt dann dieses Bild: »Letzte Stunde eines zum Tode Verurteilten«, so kann das liebe Publikum sich aus den paar Worten einen ganzen Roman zurechtmachen und tut dieses auch mit dem größten Vergnügen.

Das heißt dann im Laienmund: »Sich etwas bei einem Bilde denken können«.

Böcklin hat seinen Bildern niemals Titel gegeben; sie sollten durch sich selbst sprechen. Das Resultat war dadurch vom merkantilen Standpunkt ein sehr negatives. Dann nahm sich der Kunsthändler, mit dem er in Verbindung getreten war, der Sache an und versah jedes Bild mit einem wirklich sehr geschickt ausgedachten Titel.

Und das Geschäft florierte.

Jetzt können wir in vielen Böcklinschen Bildern Gemälde und Titel gar nicht mehr auseinanderhalten. Es geht uns hier wie bei den bekanntesten Gedichten, welche wir nur mit ihren ins Blut übergegangenen Melodien halb singend, halb sprechend in dem musikalischen Rhythmus uns ins Gedächtnis zurückrufen können.

Wer wird sich des bekannten Bildes mit Felsen und einer bootfahrenden Staffage ohne den Titel »Toteninsel« erinnern können? Ferner Bilder »Das Schweigen im Walde«, »Der Abenteurer« u.s.f.

Dieser kunsthändlerische Trick ist wohl das beste Beispiel für den künstlerischen Unwert der Titel.

Das Richtigste wäre wohl, die Werke jedes Malers zu nummerieren, als Opus soundsoviel. Es würden dann einzelne Nummern, wie bei den Musikern, als bedeutende Schöpfungen gefeiert werden.

Quelle:
Corinth, Lovis: Das Erlernen der Malerei. Berlin: Bruno Cassirer, 1920, S. 167-169.
Lizenz:
Kategorien: