Die verschiedenen Arten der Ölmalerei.

[179] Die Ölfarbe ist das vorzüglichste Mittel, durch welches dem Maler ermöglicht wird, Szenen, die er komponiert hat, oder Ausschnitte aus der Natur farbig wiederzugeben.

Das Wiedergeben der Natur durch den Maler beruht auf Übersetzung, und um diese verstehen zu können, ist wieder für den Beschauenden eine Erziehung notwendig.

An und für sich ist jede Farbe als Materie gleich reizlos und wirkungslos: das Weiß nicht viel anders wie das Schwarz. Sie werden aber zur Leuchtkraft, oder zu einer lebendigen Tiefe durch die Gegensätze, wie sie zueinander hingesetzt sind.

Der zweite Punkt, das Verständnis betreffend, die Malerei ähnlich der Natur anzusehen, ist uns bis zu einer gewissen Grenze so in Fleisch und Blut übergegangen, daß wir es bereits selbstverständlich finden. Nur wird man an das Anerzogene erinnert, wenn es neuen Erscheinungen in der Kunst gilt. Da läßt plötzlich die Urteilskraft nach; der größte Teil des Publikums wendet sich achselzuckend ab: »So sehen wir die Kunst nicht an.«[180]

Hier ist das Publikum auf einmal mit dem Bauern und dem Wilden auf gleicher Stufe, die aus Unkennt nis und Naivität sich wundern, in der Profilansicht nur ein Auge zu finden und die Schattentöne in dem gemalten Gesicht für Schwärzen halten.

Um das Farbenmaterial auf die Leinwand bringen zu können und nach Gefallen in die nötigen Grenzen und Formen zu verschieben, gebrauchen wir Pinsel oder Spachtel; aber diese Instrumente sind keine Notwendigkeit, falls bessere erfunden würden, die denselben Zweck erfüllten. Ich führe dieses als einen hauptsächlichen Grund an, um zu beweisen, daß die Art des Malens in erster Linie nur Mittel zum Zweck ist.

Weil jeder Künstler nun die Empfindung seiner Auffassung aus aller Kraft zum Ausdruck zu bringen wünscht, so sind auch infolgedessen so viel Ausführungsarten, wie es Individuen gibt. Sie können aber trotz ihrer Vielfältigkeit in Gruppen eingeteilt werden.

Eine Gruppe, in die ich Carriére und Ribot zähle, sucht in ihren Bildern nur die einfache Tonwirkung, mit Unterdrückung jeden Farbenwertes zur Geltung zu bringen. Die Bilder wirken einfarbig, dunkel und ernst. Andere wieder – wie ich bei dem dekorativen Bilde gesagt habe – unterdrücken den Glanz der Ölfarbe dadurch, daß sie einsaugende Leinwand und Terpentinöl nehmen, so daß die Malerei glatt und trocken wird.

Die Luministen und Impressionisten setzen dicke Farbe auf die Leinwand. Sie »verquälen« die Farbe nicht auf der Palette, sondern schieben sie nur zusammen und bringen sie fast unvermischt, als einzelne Farbkörper auf das Bild.

Von diesen zweigt sich eine Sekte ab, die sich zum Prinzip macht, die Farben vollständig rein und vollständig unvermischt auf dem Bilde nebeneinanderzusetzen.

Sie überlassen sozusagen das Mischen selbst den Augen. Aus einer gewissen Entfernung sieht der Beschauer die einzelnen Farbflecke zu richtigen, vollen, gemischten Farbennuancen werden. Diese[181] Sekte glaubt dadurch die höchste Helligkeit erzielen zu können, die Anhänger nennen sich »Neo-Impressionisten« oder – nach der Art ihres Verfahrens – »Pointillisten«.

So gibt es vielleicht noch mehrere Abarten, die wieder von jeder etwas haben; diese Manieren machen nur die äußere Form des Kunstwerkes aus.

Der göttliche Odem aber, der die Arbeit zum wahren Kunstwerk adelt, ist dem Menschen eingegeben. Durch seinen Geist wird die Materie zum Leben erweckt, gleichviel, ob sie eine komplizierte Malerei ist oder die simpelste – durch ein paar Striche angedeutete – Kohlenzeichnung: c'est le ton qui fait la musique.[182]

Quelle:
Corinth, Lovis: Das Erlernen der Malerei. Berlin: Bruno Cassirer, 1920, S. 179-184.
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