Ueber die Ausführung.

[193] Noch einige Worte über diesen Begriff: Der Laie sagt, etwas wäre ausgeführt, wenn er es von nah ansehen kann. Nach seiner Meinung müßte ein Bild möglichst glatt zusammengestrichen sein, und wenn dann feine Striche für Fingernägel oder Augenbrauen zu sehen sind, und gar irgendein Schönheitsfleck genau umrissen – für Spitzen weiße, feine Linien wie abgedruckt zu erkennen sind, findet er ein derartiges Bild entzückend. Was ihm nicht aus der Nähe klar und verständlich erscheint, urteilt er als etwas Unfertiges unbarmherzig ab.

Es liegt daran, daß das Publikum nicht das Ganze zu sehen versteht, sondern eben nur auf das einzelne seinen Blick richtet.

Nichts von alledem gehört zur Fertigkeit in dem Auge des Künstlers. Der Künstler hat vor allen Dingen darauf zu sehen, daß alle Tonwerte in seinem Werk gleich wie in der Natur enthalten sein müssen; keine Stelle des Bildes darf tot wirken.[194]

Eine Leerheit ist eben das Kennzeichen einer schlechten Malerei. Das Fertigsein eines Bildes ist gleichbedeutend mit gut gemalt sein. Ebenso in diesem Sinne fertig ist auch eine gut gemalte Skizze.

Die Ausführung wird verschiedenartig angestrebt.

Entweder, wie vorher gesagt, legt man den Hauptwert auf die Wiedergabe der Töne, auf den charakteristischen Ausdruck, und man verlangt zur Betrachtung dafür eine notwendige Distance. Denn wie zur Betrachtung des Bildes eine gewisse Helle Voraussetzung ist, ja sogar eine bestimmte Seitenbeleuchtung, so kann man wohl auch das Verlangen stellen, sein Werk von der Entfernung betrachtet zu wissen, für die es gemalt ist.

Dafür spricht die sehr zutreffende Anekdote aus dem Leben Rembrandts: Da das Publikum immer über die nach seiner Meinung wild hingehauenen Farbkleckse seine Glossen machte, verbreitete er, daß in seinen Farben ein für das Einatmen gefährliches Gift enthalten sei. Durch diese Warnung wurde das Publikum in angemessener Entfernung von seinen Bildern gehalten.

Andere Künstler suchen freilich etwas drin, Schmuckgegenstände, Hautstrukturen, einzelne Haare, das Gewebe im Stoff, mit mikroskopischer Genauigkeit nachzuahmen.

Für diese Art Ausführung verlangen sie dann freilich auch ein Betrachten ans der Nähe.

Aber sobald ein derartiges Bild unter die Kunstwerke rangiert, muß es ebenfalls auch in erster Linie in der Fernwirkung gut sein; deshalb die Tonwirkung ebenso reich und verschiedenartig wirken muß und die Detailschilderung nur gewissermaßen als angenehme Zugabe für das nahe Beschauen anzusehen ist.

Für diese Art nenne ich zur Erläuterung zwei große Meister: Dürer und Leibl.

Beim Betrachten der Bildwerke dieser beiden großen Deutschen wird meine Ansicht als die richtige von allen erkannt[195] werden. Das Selbstporträt von Dürer in der Münchener Pinakothek z.B. ist so minutiös ausgeführt, daß jedes Haar in den Locken, Augenwimpern und Pelzkragen zu erkennen ist; auch ist in dem übrigen dieselbe liebevolle Ausarbeitung: die Beschaffenheit der Haut, das vielfach zusammengesetzte Grau der Pupillen und die genaue Spiegelung des Atelierfensters im Glanzlicht des Auges. Ebenso durchgeführt wirkt Leibl in seinen Sachen: Die Holzfaserung des Kirchenstuhls, das Muster und Gewebe der Kleider, das Gefunkel und die genaue Ornamentik des Bauernschmuckes, so daß ein Goldschmied direkt darnach arbeiten könnte.

Und dennoch verschwindet all diese angewandte Mühe beim weiteren Zurücktreten und übrig bleibt nur die große Auffassung und das breit Gesehene der Massen.

Umgekehrt ist nun die Art, von der ich Rembrandt und Velasquez als Vertreter nenne. Wenn diese Arbeiten von der richtigen Distance gesehen werden, so glaubt man alles bis auf das Schwarze vom Nagel zu sehen, alles strotzt von Lebendigkeit und Farbenpracht. In der Nähe betrachtet, scheint aber das wüsteste Farbenchaos die wildesten Orgien zu feiern. Wohl sollte dieses furiose Umspringen mit den Farben und deren Wirkung in die Ferne eher als der wundervollste Kunstausdruck angestaunt werden; aber die Menge ist nun einmal so: Was sie nicht versteht, wird von ihr verdammt.

Unsre Sache ist es nicht, die Ansicht des Publikums zum Bessern umzubilden – das macht die Zeit, sondern dafür zu sorgen, daß nicht falsche Anschauungen der Mehrheit das richtige Gefühl der Wenigen überwuchern.

»Verstand ist stets bei Wenigen nur gewesen.«

Quelle:
Corinth, Lovis: Das Erlernen der Malerei. Berlin: Bruno Cassirer, 1920, S. 193-196.
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