Geheime Elsternkraft

[264] Unter die Vergnügungen, denen ich in Lausa ausgesetzt war, muß eine Beschäftigung gezählt werden, die an und für sich zwar nichts weniger als amüsant war, aber durch die Beteiligung Rollers, welcher auch die geistlosesten Arbeiten cum grano salis zu genießen wußte, dennoch einigermaßen erträglich wurde. Wir setzten uns nämlich, mein Pastor und ich, einander gegenüber an die Wachstuchtafel, ein gewisses schwarzes Pulver zu gleichen Gewichtsteilen in ebenfalls gleichgroße Papierhülsen füllend, und dabei pflegte Roller mit ganz besonderem Vergnügen sich selbst als Doktor, mich aber als Subjekt und Pharmazeuten zu verhöhnen und allerlei sonderbare wie auch sehr ärgerliche Erlebnisse zu erzählen, die auf die Sache Bezug hatten.

Von Jonathans Kränklichkeit ist schon die Rede gewesen; derselbe war ein äußerst gebrechlicher Mensch, der früherhin an bösen Krämpfen gelitten hatte, die für epileptisch galten. Ärztliche Behandlung wie kluger Freunde Rat waren lange Jahre hindurch erfolglos geblieben, als endlich ein fremder Handwerksbursche, der zufällig fechtend auf den Hof kam und Zeuge eines solchen Anfalles wurde, sich folgendermaßen vernehmen ließ. Jede Krankheit, sagte er, indem er einem Topf mit Zwiebelsuppe zusprach, den Charitas ihm spendete, sei ein Übermaß des Feuers in Blut und Nerven. Inzwischen habe jedes Feuer auch sein Wasser, das es lösche, wenn man's nur kenne. So gäbe es denn auch ein kleines Tierchen, welches das böse Wesen dämpfe und vertilge, und nicht ehrlich wolle er sein und zeitlebens keinen Speckkuchen mehr essen, wenn er nicht selbst dadurch geheilt worden sei. Auch sei besagtes Tierchen überall zu Hause und habe so viel Namen, daß es gar nicht zu verfehlen sei. Es heiße nämlich: Elster, Alster, Alkaster, Schalaster, Heister oder Hester. In den heiligen zwölf Nächten, wo die Natur – denn es sei ein Naturmittel – ihre ganze Kraft beisammen habe, schieße man dies nützliche Vögelchen; danach werde daselbe im Backofen verkohlt und pulverisiert. Von solchem Pulver müsse man täglich eine Messerspitze voll in Wasser nehmen, dabei ohne Wandel leben, nicht tanzen und sich nicht besaufen; so werde man die Krankheit bald vermissen.

Den Versuch zu machen, war Roller nichts weniger als abgeneigt. Zur angegebenen Zeit schoß er die erste Elster und behandelte den Bruder mit solchem Glück, daß jenes fürchterliche Leiden schon nach Monatsfrist gehoben schien und auch nicht wiederkehrte. Die Kur machte Aufsehen im Dorf; es meldeten sich andere Kranke und genasen gleichfalls. Zu meiner Zeit verkohlte Roller jährlich schon an hundert Schalastern,[265] die ihm von allen Seiten, sogar vom Harz und aus Schlesien, durch Freunde eingeliefert wurden, und versandte die Pulver bis Hamburg, Königsberg und Wien. Diese ausgedehnte Praxis nahm ihm einen bedeutenden Teil seiner Zeit, denn fast täglich überliefen ihn die Pulverleute, wie er sie nannte, oder hatte er sein schwarzes Mittel brieflich zu versenden. Da er aber von der Wirksamkeit fest überzeugt war, so freute er sich, daß Gott ihm einen Weg eröffnet habe, sich für die Heilung seines Bruders dankbar zu erweisen, und wies beharrlich jede Gegenleistung ab. Er verlangte nichts von seinen Patienten als gewissenhaften Bericht, wie es bekommen sei, und da dieser häufig ausblieb, andererseits aber immer neue Versuche gemacht wurden, Geld und Geschenke anzubringen, so war auch recht viel Ärger bei der Sache.

»Daß diese Stadtleute verdammt wären mit ihrem Gelde!« sagte er dann wohl, »für alles wollen sie's entweder haben oder geben; aber daß sich einer dankbar erweisen und wie ein vernünftiger Mensch melden sollte, wie ihm was bekommen, dazu sind sie doch zu einfach in ihren Sperlingsköpfen. Wenn ich«, fuhr er fort, »dem dümmsten Kerl im Dorfe einen Scheffel Weizen zur Aussaat schenke mit der Bedingung, daß er mir hernachmals ansage, das wievielte Korn er geerntet habe, so kann ich einen körperlichen Eid darauf tun, daß er mir kein Geld anbietet; er nähme lieber noch etwas dazu. Aber zu seiner Zeit pocht es an meine Türe, und mein Mann stellt sich richtig dar und sagt: Mit Verlaub, Herr Pastor, das dritte Korn oder das siebente, oder wenn er guten Dung hat und ein großmäuliger Kerl ist, so sind es wohl auch eine Mandel von jedem Korn gewesen. Nun: solche Klugheit kann man freilich von Städtern nicht erwarten, aber mit ihrem Gelde sollen mir diese Krämer doch vom Leibe bleiben!«

Dergleichen Reden hielt der uneigennützige Arzt nicht selten, und daß es jeder hören konnte, aber seinen Zweck erreichte er nicht, denn die Leute boten ihm immer wieder Geld an. So eine Dresdner Dame, deren Sohn er geheilt hatte. Diese schickte zwanzig Taler Gold mit der ergebenen Bitte, der Herr Pastor möge, wenn er das Gold für sich nicht nehmen wolle, einen beliebig wohltätigen Gebrauch davon machen.

»Daß dich!!« sagte Roller in großer Entrüstung und expedierte die Summe sogleich zurück, begleitet von einem obligaten Handschreiben, welches seiner Meinung nach ausreichend deutlich war, um es auf immer mit jener undankbaren Frau zu verderben. Nichtsdestoweniger erschien am anderen Tage ein Fäßchen Wein, zwar ohne Angabe des Absenders, doch vermutlich aus derselben Quelle, und die Schwestern, welche häufig vornehme Gäste zu bewirten hatten, empfingen es mit ungeheuchelter Freude. Der Bruder aber erkannte den Feind auch in[266] dieser Verkappung, und wenn ihn nicht die Würde seines Amtes hinderte, sagte er, so würde er das Weib in ihrem eigenen Wein ersäufen. Sofort ließ er das Fäßchen, trotz aller Fürbitte der Hausgenossen, auf die Treppe legen, den Kran daran und einen derben Henkelkrug daneben; allen Pulver- und Bauersleuten aber, die von ihm gingen, empfahl er, sich im Vorübergehen zu bedienen und sich dabei nicht etwa von der Bescheidenheit übermannen zu lassen. Im Umsehen war's so weit, daß auch der pfiffigste Küfer kein Tröpfchen mehr herausgezapft hätte, und das war die Strafe jener Dame.

Quelle:
Kügelgen, Wilhem von: Jugenderinnerungen eines alten Mannes. Leipzig 1959, S. 264-267.
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