Ankunft in Bernburg

[291] Bernburg, die Kapitale des Herzogtums, ist ein an beiden Seiten der Saale wohlgelegenes Städtchen, das zu jener Zeit etwa siebentausend Einwohner zählen mochte. Über der Stadt thront malerisch auf einem Felsen das uralte Schloß, die Krone Anhalts. Mit stattlichen Mauern, starken Türmen und einer Mannigfaltigkeit von Gebäuden selbst einem Städtchen gleichend, blickt es hinab auf den Ort und den Strom, welcher, jenen durchschneidend, sich zwischen Rebenhügeln, grünen Wiesen und lieblichen Laubgehölzen hinzieht. Unfern des Schlosses und mit demselben in gleicher Höhe erhebt sich die Kathedrale des Landes, die Schloß- oder Ägidienkirche, welche von einem geräumigen Rasenplatz umgeben ist. Hier liegt in fast ländlicher Einsamkeit die Wohnung des Superintendenten.

Vor diesem Hause fuhr ich am Johanni-Abend des Jahres 1817, auf meinem Gepäcke sitzend, bestäubt und müde in einem einspännigen Leiterwägelchen vor. Die Post, welche jetzt zweimal täglich auf glatter Chaussee in wenigen Stunden von Ballenstedt nach Bernburg hinrollt, ging damals nur zweimal in der Woche, und zwar des Nachts, wo sie denn auf den bösen Wegen so oft umzuschlagen pflegte, daß nur Wagehälse sich dieser Gelegenheit bedienten. Beckedorff hatte daher ein eigenes Fuhrwerk für mich gemietet mit einem besonnenen Kutscher, der auf dem fünf Meilen langen Wege zwar seine richtigen zwölf Stunden unterwegs blieb, mich aber dafür auch mit unzerbrochenen Knochen am Bestimmungsorte abliefern konnte.

Die Herzlichkeit, mit der mich Krummachers empfingen, erfreute mich nicht weniger als die heitere Schönheit des hübschgelegenen Hauses, denn ich hatte mir unter einer Superintendentenwohnung, nach Art der Dresdner Superintendentur, ein gar gespenstisches Kastell gedacht. Ich ward sogleich in ein freundliches Eckzimmer geführt mit drei hellen Fenstern, die teils nach dem Garten, teils auf die Kirche und den grünen Kirchhof blickten. Hier sollte ich wohnen, und zwar gemeinschaftlich mit zwei wackeren Söhnen des Hauses, dem Primaner Emil und dem Sekundaner Eduard, welcher letztere, kaum ein Jahr älter als ich, mir[291] gleich zum voraus wie ein richtiger Spezialissimus aussah. Der älteste Sohn, der nachmals durch sein eminentes rhetorisches Talent so rühmlich bekannt gewordene Friedrich Wilhelm, studierte damals schon in Jena, der jüngste, mit Namen Julius, obgleich schon Quartaner, gehörte seinen Jahren nach noch so ziemlich in die Kinderstube und logierte bei der Mutter. Außer diesen vier Söhnen zählte die Familie noch zwei Töchter, die ältere, Marie, ein liebliches, auffallend hübsches Mädchen von achtzehn Jahren, und das kleine Julchen, das noch in die Ferkelschule lief und weitere Ansprüche auf Beachtung nicht erhob; indessen half es dasein, und wenn es fehlte, gab's eine Lücke am Familientisch.

Eine Bowle Maitrank, kunstvoll von Mariens Hand bereitet, dazu Gesang und muntere Reden, ließ mich den neuen Hausgenossen schnell bekannt werden. An so fröhlichem Tische glaubte ich noch nicht gesessen, mit liebenswerteren Menschen nie verkehrt zu haben. Arm in Arm mit Eduard und Emil schwelgte ich um zehn Uhr abends die Treppe hinauf nach unserem Zimmer und ging fröhlich schlafen als ein zufriedener Junge.

Quelle:
Kügelgen, Wilhem von: Jugenderinnerungen eines alten Mannes. Leipzig 1959, S. 291-292.
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