31 [30] Brief an Reinhard Piper

Sindelsdorf 20.IV/10


Lieber Herr Piper, Sie denken vielleicht, daß es furchtbar einfach für mich sein muß, zu sagen, worin das ›Charakteristische von m. künstlerischen Tätigkeit‹ liegt. Ich könnte Ihnen mit dem im ›Rembrandt als Erzieher‹ angeführten Satz Cromwells antworten: ›Der kommt am weitesten, der nicht weiß, wohin er geht‹. Aber damit ist Ihnen schwerlich gedient. Also will ich's versuchen, und wo die Begriffe fehlen werden, müssen ›Worte‹ sich rettend einstellen.

Meine Ziele liegen nicht in der Linie besonderer Tiermalerei. Ich suche einen guten, reichen und lichten Stil, in dem wenigstens ein Teil dessen, was wir moderne Maler zu sagen haben werden, restlos aufgehn kann. Und das wäre vielleicht ein Empfinden für den organischen Rhythmus aller Dinge, ein pantheistisches Sichhineinfühlen in das Zittern und Rinnen des Blutes in der Natur, in den Bäumen, in den Tieren, in der Luft ...; das zum ›Bilde‹ machen, mit neuen Bewegungen u. mit Farben, die unseres alten Staffeleibildes spotten. In Frankreich schult man sich seit mehr als einem halben Jahrhundert auf dieses Thema. Von Delacroix u. Millet über Degas, Cézanne zu van Gogh u. den Pointillisten führt ein gerader Weg; und die jüngsten Franzosen sind in einem wundervollen Wettlauf nach diesem Ziel begriffen. Nur gehen sie, sonderbarerweise, dem natürlichsten Vorwurf für diese Kunst, sorgfältig aus dem Wege: dem Tierbild. Ich sehe kein glücklichers Mittel zur ›Animalisierung der Kunst‹ als das Tierbild. Darum greife ich danach. Was wir anstreben, könnte man eine Animalisierung des Kunstempfindens nennen; bei einem van Gogh oder einem Signac ist alles animalisch geworden, die Luft, selbst der Kahn, der auf dem Wasser ruht, und vor allem die Malerei selbst: Diese Bilder haben gar keine Ähnlichkeit mehr mit dem, was man früher ›Bilder‹ nannte. Meine Plastik ist ein tastender Versuch nach derselben Richtung. Das Kreisen des Blutes in den beiden Pferdekörpern,[30] ausgedrückt durch die mannigfachen Parallelismen und Schwingungen in den Linien. Der Beschauer sollte gar nicht nach dem ›Pferdetyp‹ fragen können, sondern das innerliche, zitternde Tierleben herausfühlen. Ich habe absichtlich getrachtet, den Pferden jedes besondere Rassezeichen zu nehmen. Daher z.B. das Gewaltsame der Gliedmaßen, das gewissermaßen unpferdehaft ist.

Vielleicht gelingt es Ihnen, aus diesem Geschreibsel etwas herauszuschälen, was meine vagen Ideen präziser faßt. Im Grunde plagen mich die Ideen viel weniger, als es nach einem solchen Schreiben den Anschein haben mag ...

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 30-31.
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