45 [44] Brief an Maria Franck

München, 31.1.1911


Liebste, ... Mit Deinen Plänen, so einfache ›Aufgaben‹ zu malen, bin ich sehr einverstanden. Ich werde Dich aber jedenfalls noch viel[44] mehr auf Form, als auf Farbe korrigieren. Einen Gegenstand so zu zeichnen, daß jeder Strich unverrückbar und absolut notwendig erscheint; daß die Linie oder Modellierung den Gegenstand völlig umschreibt und darstellt, auf das allereinfachste und darum ausdrucksvollste Art, das ist alles. Sieh Dir daraufhin den Akt auf der griechischen Vase an, den ich Dir letzthin schickte. Man kann nicht die geringste Linie wegnehmen, verrücken oder dazutun. Denke Dir: welche fabelhafte Bewegung und wie unglaublich streng und einfach. Es gibt nichts Blöderes und Dekadenteres als die Gewohnheit der modernen Maler, eine Bewegung mit ›bewegter Technik‹ (z.B. springende Pferde) steigern zu wollen; oder etwas Weiches durch weiches Malen; einen Wirrwarr von Gräsern oder Blättern durch einen Wirrwarr im Malen! Es ist das traurigste Armutszeugnis. Ruhe und Überlegung; seine Gedanken in strengster Ordnung und Bewußtheit jedes Mittels, das man anwendet. Ich schalte heute jede Zufälligkeit aus meiner Malerei aus. Man darf auf der ganzen Leinwand nicht einen zufälligen Fleck finden. Das ist für Dich, glaube ich, alles noch viel wichtiger als die Komplementärfarbe etc.; farbig wirst Du es spielend machen; das zeigen schon die Blätter; aber formal. Sieh Dir die Dinge um Dich daraufhin an, und denke unablässig an das, was Matisse vom Zeichnen sagt; von der Bedeutung des Punktes und noch eines auf einem weißen Papier. Daß ich so energisch die gesetzmäßigen Farben suche, geschieht ja nur, um von meiner verdammten Beliebigkeit darin endgültig loszukommen ...

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 44-45.
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