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[130] 14.III.15.


Liebe, heute wurde ich furchtbar sehnsüchtig; es regnete und tropfte von allen Zweigen mit einem Klang, den es nur im Frühjahr gibt. Ich mußte denken, wie es jetzt daheim in unsrer Waldecke duften muß! In den Gärten treiben schon die Knospen an den Obstbäumen, die Rhododendren entfalten schon Blättchen; – wie wäre es jetzt schön, in Ried zu sein! Pfleg nur alles recht schön im Gärtchen und genieße es, auch wenn Du allein bist. Was macht der Specht? Ist wieder das Rotschwänzchenpaar da? Ist der Fasan wiedergekommen? Der köstliche Storch hier macht mir doppelt Lust, einen Kranich zu halten. Grüß die kleinen Rehe; die werden wieder knabbern, wenn der Schnee weg ist! – Wenn Du mir etwas von dem Gundolf schicken willst, freut es mich sehr. Ich bin jetzt schon zum Lesen aufgelegt. Nur nichts über Plato! Daß die Leute immer hinter der Front der Gegenwart nach dem Heil und Guten suchen! Immer auf Krücken gehen, auf fremden Zeiten; es sind keine schöpferischen Menschen. Mein Hauptgedanke ist jetzt: Entwurf zu einer neuen Welt; immer schaffen, vor sich arbeiten. Kuß Dein Fz. M.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 130.
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