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[133] 29.III.15.


Liebste, heut kam endlich Dein großer und kluger Brief über die Aphorismen. Ich kann unmöglich schnell und ausführlich antworten und schreibe diese kurze Karte nur um Dir zu sagen, daß ich mit keinem Gedanken traurig über Deinen Widerspruch bin, sondern nur dankbar. Über Kunst kann man nicht ›reden‹, höchstens über die Mittel. Es wird gewiß mein Fehler in den Aphorismen sein, daß sie durch sehr viel mißverständliche Worte und Unklarheiten den Anschein erwecken, als wollte ich die Kunst definieren, während ich nie mehr als eben die Mittel definieren kann (wie es Delacroix und van Gogh z.B. getan haben). Wenn ich sie je überarbeite und herausgebe, müßte ich dies in voller Klarheit herausstellen. Aber daß die[133] ›Form‹ von selber kommt, wenn man nur wirklich etwas zu sagen hat, das scheint mir nicht wahr. Beständige Meditation über die Form, beständigen Willen zur Form, den man immer wieder korrigiert, verwirft, neu ansetzt, mit allen Hebeln der Welt und Erfahrung, – ohne das geht's nicht. Bloß leben, das Leben fühlen bis zum Kern und auf die Form warten wie die Blumen auf den Frühling, das war und ist nie produktive Kunst; das Werk freilich muß den dornenvollen Weg ganz vergessen machen. Der Beschauer soll und kann nur das reine Werk sehen, unsre Nöte gehen ihn nichts an, auch unsre ›Mittel‹ nicht. Ich schrieb Dir schon einmal, daß ich die Aphorismen eigentlich nur für mich geschrieben habe, und Du errätst richtig, daß ich sie eigentlich geschrieben habe, um mich von meiner ›Romantik‹, die mir schon so viel Qual verursacht hat, da ich sie als unrein empfinde, zu befreien. Ich bin sehr neugierig auf Tolstoi. So weit ich ihn kenne, ist gerade T. derjenige, der immer Zweck in der Kunst sieht! (z.B. ›Einigung der Menschen‹, – was ich als Phrase empfinde); aber ich will ihn lesen, ehe ich urteile und will Dir noch viel über alles schreiben: Schreib mir einmal: ist K[aminsky] produktiv! Schafft er wirklich, oder lebt er nur rein? Ist er ein mehr passiver oder aktiver Geist? Osterkuß!

Dein Frz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 133-134.
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