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[136] Ostersonntag [4.4.] 15.


Liebste, heut am Ostersonntag mußte ich so lebhaft an Ried denken, an die Büsche am Bach, die jetzt sicher schon ihren Frühlingsschimmer haben, an die unzähligen Leberblümchen und Anemonen und Blättchen, die nun alle kommen; wie fabelhaft muß es sein, dies alles einmal wieder im Frieden beobachten und miterleben zu können, das große Wachstum unter dem fruchtbaren ›Osterwasser‹, das doch auch von jeher als besonders heilkräftig angesehen wurde. (Man schöpfte aus den fließenden Frühlingsbächen und bespritzte damit seine Liebsten, um ihre Liebe zu erregen und ihre Schönheit dauernd zu machen!). Ostern hatte für mich immer etwas höchst Feierliches und Bewegendes, mehr noch als Weihnachten, vielleicht weil es in seiner Stimmung und Bedeutung heidnischer und älter ist. Nächstes Jahr wollen wir uns an allem freuen, so gründlich und feiertägig, als wir nur können. – Was ist wohl mit Hanni? ist sie trächtig? Beobachte mal, ob ihr Leib eckig wird, links stärker als rechts; man merkt es auch am Atmen, linksseitlich-unten, (Leibatmung); beobachte sie mal. Wie fein, daß Bauer die Bäumchen jetzt doch noch geschützt hat. Wenn sie nach 2 Jahren festgewurzelt sind und oben gesund austreiben, kann man die unteren Zweige den Rehen ruhig preisgeben; nur der Stamm selbst muß dauernd geschützt bleiben. Wenn doch[136] die Obstblüte heuer wieder gelänge; Du mußt mir immer schreiben, wie es damit steht. Einliegend sind wieder ein paar Wintersachen, die ich nicht mehr benötige, dazu leere Büchsen und Fläschchen und ein kleines Väschen für Dich; der Fuß ist gekittet, hoffentlich hält er gut. Stell Dir immer ein paar Blümchen hinein. ...

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 136-137.
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