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[190] 4.II 16.


Liebste, ich weiß nicht, ob Du das, was ich in meinen letzten Briefen über den Krieg gesagt habe, (Krieg als natürliche Folge und insofern als gerechte, unausbleibliche Sühne), richtig verstehen konntest. Die Dinge im Leben sind so verkettet. Man kann ja zweifellos auch fragen, worin sich denn eine Folge von einer Ursache unterscheide, und ob nicht beide identisch sind oder zu mindesten gleich, sodaß man sie auch vertauschen kann. Was sie voneinander scheidet, ist vielleicht nur der Begriff der Zeit, die zwischen ihnen liegt, – und das nennt man fälschlich ›Unterschied‹ und unterscheidet Ursache und[190] Wirkung. Es liegt sogar sehr im Menschlichen begründet, den Folgen zu fluchen und an den Folgen zu ›leiden‹ als an den Ursachen. Das tiefere Leiden ist aber gewiß das Leiden an den Ursachen. In diesem Sinne geschieht es, wenn ich sage, daß der Krieg für mich, für mein Mit-leiden vorüber ist und ich längst, mit pochendem Herzen am Anfang der Dinge, an meinem eigenen Anfang stehe, mit heimlicher Schaffensfreude; mit solchen Gedanken kann man warten, ohne stündlich zu schmähen und stündlich kränker zu werden an der Gegenwart. Dahin und dort möchte ich auch Dich und meine Freunde wissen. ›Meine Freunde‹, – auf die bin ich wirklich neugierig. Gundolf will ich unbedingt kennenlernen. Ich bin sehr neugierig auf die neuen Hefte der Jahrbücher; wir kennen nur 10, 11 und 12. Versäume nicht, Dich zu erkundigen, was seitdem noch erschienen. Vergiß auch bitte nicht, mir den Verlag der Jahrbücher zu ermitteln. Ich habe ja beide wieder heimgeschickt und will nun Heimendahl auf sie aufmerksam machen, kann mich aber des Verlags nicht entsinnen; es ist ein mir unbekannter Name.

Das Wetter scheint sich endlich ausgeregnet zu haben; nach einer kleinen Nebelperiode wird es jetzt immer klarer und frühlingshafter. Nach allen Anzeichen steht uns eine ziemlich harmlose Veränderung bevor, da – d.h., ich darf ordnungshalber nichts darüber schreiben und will diese Vorschrift einhalten; aber die Bemerkung kann Dich beruhigen ...

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 190-191.
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