231

[196] 19.II 16


Liebe Maman, ich weiß nicht, ob Du von meinen kleinen häuslichen Traurigkeiten gehört hast; die gute kleine Hanni ist plötzlich eingegangen. Sie litt ja schon seit November an einer Kehlkopfgeschwulst, schien aber nie besondere Beschwerden davon zu haben, – nun ist sie ziemlich plötzlich, während Maria in Berlin war, erkrankt und gestorben. Und noch eine 2. Nachricht, die Dich persönlich viel tiefer berühren wird. Dein guter alter Russl ist auch nicht mehr. Ich hab nach langem Bedenken mich doch entschlossen, ihm sein Leiden (wie seinerzeit dem kleinen Trimm) zu verkürzen. Im November erschrak ich ja schon über sein Aussehen; er war trotz der wirklich reichlichen Nahrung zum Skelett abgemagert, roch sehr schlecht und hatte ganz trübe Augen. Lina hat ihn gewiß ordentlich gepflegt, auch während Marias Abwesenheit; sie schrieb mir sehr nette ausführliche Berichte über ihn und Hanni; sie hat ihn auch vom Tierarzt untersuchen lassen, der ihn für sehr alt und schwer nierenleidend erklärte. Er war gar nicht mehr sauberzuhalten, die Hütte und der Platz, wo er war, floß immer in seinem Wasser; er hatte natürlich auch Würmer wie alle kranken Tiere; nach dem allen fand ich es würdiger und mitleidiger, ihm seinen Eingang in den Hundehimmel zu erleichtern; kranke Nieren, gar bei einem alten Tier, sind qualvoll und nicht zu heilen. Höchstens haben die Herrn Veterinäre noch einen Gewinn davon, – der arme Patient sicher nicht. Wenn ich heimkomme, werd ich ihm schon irgendein künstlerisches Denkmal setzen,[196] – vergessen wird der eigensinnige weiße treue Kerl von uns sicher nie. Die Lina, die sich, wie es scheint und wie auch ihre netten Briefe an mich und Maria zeigen, als sehr ordentliches Mädchen bewährt, hat sich alle erdenkliche Mühe gegeben, den Russl zu pflegen, aber schließlich doch ohne Erfolg; er wurde immer hinfälliger und elender und der Geruch immer schlimmer. Maria ist jetzt in Bonn und schreibt sehr beruhigt und in besserer Stimmung. Lisbeth und Maria hatten sich ja immer schon sehr gern, so grundverschieden sie auch in ihrem Wesen sind oder wenigstens scheinen. Das kleine Walterchen ist jetzt schon 5 Jahre! Er soll genau wie sein Vater sein, fast unheimlich. An ihm und an dem kleinen Wolfgang (3 Jahre) hat Lisbeth natürlich ihren größten Trost. Bei uns ist alles beim alten; ich hab immer noch die Kolonne und natürlich viel zu tun ...

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 196-197.
Lizenz:
Kategorien: