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[197] 22.II 16


Liebste, voraus einmal Lisbeth meinen Dank für die köstliche Tunisaufnahme von August, – wie besonnt und harmlos glücklich reitet da der gute schwere August auf seinem Esel, nicht ganz jesusgleich; es fehlt auch der Jünger Moillet; im Hintergrund ist wohl Klee mit einem seiner Malapparate in der Hand? Ich freu mich recht über diese kleine Aufnahme; sie zeigt denselben vergnügten August, wie wir ihn in Paris um uns hatten. Was Du von Augusts hinterlassenem Reichtum schreibst, freut mich riesig. Freilich erfüllt diese postume Lebendigkeit mit doppeltem Weh über den Weggang dieses Menschen; aber der jähe Weggang durch eine feindliche, fast möchte man sagen: befreundete Kugel, – denn es war eine französische – scheint mir doch nicht ungereimter als der Tod von Moillets Frau oder irgendein anderes, ›natürliches‹ Unglück. Auch der Krieg ist naturhaft; es ist nicht haltbar, wie Du es immer tust, den Krieg gänzlich außerhalb des natürlichen Geschehens zu stellen. Die Massensuggestion, die er zweifellos darstellt, ist naturhaft bedingt so gut wie die Tsetsefliege oder ein Pestbazillus. Mein Blick hat sich längst ganz vom Krieg abgewendet. Mein Wesen sucht allerdings nicht die Indifferenz von Klee und Campendonk zu gewinnen, sondern ist nur ein für allemal belehrt, geheilt und zurückgeschleudert von den Peripherien früherer Interessiertheit in's alte verlassene Zentrum der reinen Funktion. August ist diesem Zentrum von jeher näher gestanden; er war keine ausgreifende, immer fragende, unerlöste Natur wie ich. Wie freut es mich, daß Du Dir jetzt wirklich das Malen oder Sticken in Ried vornimmst, – führ es wirklich durch und führ Dein Wesen ins Fruchtbare statt in die Wüste des ewigen Jammers und womöglich Hasses, der nie was Gutes erzeugen kann. Du willst später mehr Sachen von mir aufhängen? Meinethalben, – wenn Dir dann nicht[197] mein lebendiger Leib genügt! Was mich früher immer abgehalten hat, mich mit meinen eigenen Erzeugnissen zu umgeben, ist eine scharf gefühlte – Scham vor der eigenen Produktion; dies Gefühl ist schwer erklärbar, – es geht auf den Moment der Schöpfung zurück, in dem an Stelle des persönlichen Willens der rätselhafte Zwang einer Eingebung trat. Ich weiß von so vielen und gerade meinen stärkeren Sachen absolut nicht mehr, wie sie entstanden sind; ich wundere mich, daß ich sie gemacht habe, und sie beunruhigen mich. Selbst beim Durchblättern meiner Skizzenbücher erschrecke ich zuweilen förmlich. Heut war ein strahlend schöner Tag, voll Anmut und Farbe und voll Heimweh! Seid beide umarmt und lieb ge grüßt und geküßt von Eurem Fz.

Empfiehl mich bitte bei den schön stickenden Müttern, – dies im Geiste Augusts Arbeiten ist rührend.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 197-198.
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