255 [210] Brief an Elisabeth Macke

12.5.1915


Liebe Lisbeth, Dank für Deinen langen guten Brief; ja, in Müllheim mußte ich soviel an August und an Dich denken; ich kam sehr erschöpft nach einem langen 40 km-Ritt am Bahnhof an, band mein Pferd an einen Laternenpfahl und ruhte mich an der Gastwirtschaft am Bahnhof aus, – da mußte ich an Euch denken. Ich blieb dann in[210] Müllheim über Nacht und ritt am anderen Tage etwas schweren Herzens zurück. Ich trennte mich so ungern vom Schwarzwald, der mir so deutsch und heimisch schien. Es kostete mich wirklich einen Entschluß, wieder über den Rhein zurück nach Westen zu reiten! Wann werden wir wieder friedlich über den Rhein zurückkehren dürfen?! ... Mein Mißverständnis Deiner Frage betreff xxx ist lustig; ich wunderte mich selbst im stillen, aber konnte die eine Stelle Deines Briefes nicht anders verstehen; wahrscheinlich bezog sie sich auf eine Ausstellung bei xxx. Ich kann Dir schwer raten in dieser Sache. Walden ist für mich ein bis jetzt leider notwendiges Übel, oder besser gesagt: das kleinste der zu wählenden Übel, wenn ich ausstellen und eventuell auch verkaufen will. Die Zeitschrift ›der Sturm‹ ist mir schrecklich, aber die Persönlichkeit Waldens, wenig stens in seinem Verhältnis zu mir (andere klagen ja) hat, abgesehen vom ›Sturm‹, viel gute, anständige Seiten, die anderen Händlern völlig mangeln. Aber für Deinen Plan mit Augusts Ausstellung sind wohl noch andere Gesichtspunkte zu erwägen. Ich glaube jedoch nicht, daß Walden sich von der Übernahme abhalten läßt, wenn er keine Verkaufsmöglichkeiten hat; sogar gewiß nicht, gerade das ist eine seiner guten Seiten. Außer Walden käme eine Wanderausstellung durch die Kunstvereine in Betracht. Dafür müßte sich von vornherein eine richtige und gewichtige Persönlichkeit einsetzen; vielleicht ausgehend vom Frankfurter Kunstverein. Die Ausstellung könnte trotzdem die Bezeichnung ›von seinen Freunden veranstaltet‹ tragen. Ich schreibe gern ein paar Freundesworte als Vorwort im Katalog, vielleicht in Verwertung und Überarbeitung meines kleinen Nachrufes. Die Koehlergalerie als Berliner Ausstellungsort halte ich nicht für ganz glücklich, – es würden zu wenige hingehen. Ich schlug schon einmal Koehler vor, ein Gedächtniszimmer für Augusts Kunst in seiner Galerie einzurichten, das immer bliebe und mit aller Liebe und Sorgfalt ausgestattet sein müßte (auch mit Stickereien, Glasbildern und dergleichen). Koehler hat ja davon schon prächtige Stücke. Ein solches Zimmer würde die Intimität der ganzen Sammlung vertiefen und ein dauerndes Denkmal für August sein. Aber die geplante Gedächtnisausstellung ganz auf privatem Wege zu leiten ist kein ganz glücklicher Gedanke. Man kann dabei in den meisten Fällen die Räumlichkeiten von Händlern doch nicht umgehen, oder es würde ein unverschämtes Geld kosten, das in keinem Verhältnis zum Zwecke der Sache stehen würde. Ich gebe Dir den einen Rat: warte; jetzt ist nicht die freudige und gesammelte Stimmung für ein solches Unternehmen. Augusts Bilder bleiben immer jung, – nichts, was Wert hat, hat Eile; im Gegenteil; das Gute verlangt Distanz und wird immer besser. Schreibe mir nur mal wieder; ich freu mich immer so, wenn aus dem großen Feldpostsack ein Brief mit Deiner Handschrift herausfällt. Seid alle herzlich gegrüßt, auch Deine liebe verehrte Mutter und Großmutter und W Gerhardt mit Frau.

Dein Fz. Marc.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 210-211.
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