Franz Marc 09.07.1911

[57]  

[München, 9. Juli 1911]

Theresienstrasse 12


Lieber August,


wir sind hier glücklich angelangt, nach einer prachtvollen Rheinfahrt; macht sie doch auch einmal, an einem schönen Tag; wir waren ganz begeistert, nicht zum wenigsten von dem Diner (3 M.) am Schiff, das ganz fabelhaft ist. In Frankfurt waren wir bei Swarzensky, der sehr liebenswürdig war und bat, gegebenenfalls seine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Schames in Frankfurt hat eine kleine Kollektion Franzosen: Le Beau, Vlaminck, Espagnat, Camoin, Manguin etc. – immer derselbe Eindruck: schwaches Mittelgut. Ich krieg allgemach eine Wut auf diese Gesellschaft. Schames selbst als Händler vielleicht sehr brauchbar, famose, kleinere Räume (bei der Oper; 1. Stock). Die Renoirs im Städelschen Museum sind allerdings ›hors concours‹. Aber ebenso die Grecos in München. Oh mei! Hofer! Wir waren mit Hagelstange bei Kandinsky. Er ist im Begriff des Begreifens. Jedenfalls hat er einen Mordsrespekt bekommen, ebenso wie vor Munter. H. hat sich heute einen älteren Kandinsky und zwei Girieuds nach Köln auf die ›Probier‹ schicken lassen! Sieh Dir sie in Köln an. Die Girieuds sind nicht bedeutend, aber Hagelstange wollte eben diese mitnehmen. Von Nolde sahen wir zwei Bilder in der ›Juryfreien‹ – ›minder‹!

Mein eigener Eindruck von Kandinskys Sachen, nach dieser langen Pause und allen gesammelten Eindrücken, war doch wieder derselbe starke, vielmehr noch stärker als früher, – ich kann ›mir nicht helfen‹, auch nach allen Einwendungen, die ich von Deiner Seite kenne. Gerade ein ungeheuer gesteigertes Lebensgefühl sprach mir aus seinen Bildern, die wie das stärkste, tönendste Resumée aller Eindrücke meiner letzten Reise auf mich wirkten. Jedenfalls empfand ich sie in keinem Moment[57] ›kunstgewerblich‹, vielmehr das gerade Gegenteil. Und einzelne Bilder, die nicht zu mir sprachen, blieben mir ganz einfach unverständlich, weil ihr Ausdruck meinem Empfinden fern lag; aber an Kunstgewerbe respektive Dekoration kann ich dann gar nicht denken. Ihr beide müsst wirklich unbedingt in diesem Sommer kommen, meinetwegen so streitlustig, wie Ihr wollt. Ich bin so überzeugt, dass wir alle ›miteinander‹ schneller und besser vorankommen, als so getrennt.

Mit Thannhauser stehe ich famos; dem imponiert der Ausgang meiner ›Rheinfahrt‹ mächtig. Das Projekt, in Köln eine Dependance zu gründen, lockt ihn schon; nur steckt sein ganzes Geld in dem Münchner Geschäft; er sagt, er könne es kaum leisten ohne eine fremde Hilfe, und zu solcher sieht er keinen Weg. Sein Sohn sei momentan zu jung und unfertig; er will ihn erst in vier bis fünf Jahren in ein solches Unternehmen stecken, was ja ganz vernünftig ist. Schreib mir aber bitte alles, was Du über solche Pläne in Köln erfährst.

Eine sehr traurige Bestätigung der schlimmen Gerüchte über den Zustand Tschudis erfuhr ich heute; ich besuchte ihn, wurde aber nicht empfangen; er soll schrecklich leiden, unter beständiger Morphiumbehandlung. Ich hatte einen furchtbar traurigen Eindruck von der Stimmung in seinem Hause.

Morgen fahren wir endlich wieder nach unserm Sindelsdorf. Ich hab heute noch bei Proheretzky einige Sachen für Dich und Deinen Kreis ausgesucht und bestimmte ihn, die Preise für Dich wirklich zu reduzieren, ähnlich wie bei mir. Du hast noch ca. 17 M. gut bei ihm. Wenn Du Wendland siehst, fordere ihn doch auf, Proheretzky zu besuchen; ich sprach zu ihm von Wendland; die beiden Schlauberger müssten sich doch unbedingt kennenlernen und können sich gewiß gegenseitig nützen. Lasst Euch beiden noch einmal herzlich danken für die lieben Bonner Tage und seid begrüsst von

Eurem Frz. und M.


NB. Ich sprach zu Kandinsky sehr offen über Herrn Munter. – Die 50 M. schicke ich Euch von Sindelsdorf.

Quelle:
Franz Marc, August Macke: Briefwechsel. Köln: DuMont, 1964., S. 57-58.
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