August Macke Dezember 1911

[87]  

Bonn, vor Weihnachten [1911]


Lieber Franz und Maria,


die letzten Wochen waren für mich so ereignisreich und ereignisarm, dass ich Euch nie einen ruhigen, netten Brief schreiben konnte, wie es mein Herz täglich, stündlich, ja minütlich verlangte.

Ich habe wirklich in der Bilder-musikalisch-poetischen Ausstellung mein möglichstes geleistet. Schärfer kann man das Publikum nicht anfassen und innerlich enttäuschter[87] kann man trotz der erreichten grössten Wirkung hier am ›goldenen Rhein‹ auch nicht sein. Zunächst beim Auspacken der Bilder masslose Aufregung der Gereonsdamen. »Ach, wenn das nur gut geht.« Übrigens müsse ich den Vortrag aus dem Stegreif halten. Vorlesen wirke ermüdend. Auf mein Maul mich verlassend, werde ich nach dem ›Abend‹ zu immer erwachsener, sicherer etc. Drei Tage vorher fragt mich einer, was ich denn eigentlich sagen wolle. Zwei Musiker hatten abgesagt. Zum Rezitieren der Gedichte konnte ich auch niemand finden. Ein Tag wurde nach dem Musiker verlaufen, den ich endlich (und was für einen guten) fand. Der Vortrag war auf grossen Zeichenbogen mit Bleistift fertig, die in vier Teile geschnitten und mit Stecknadeln zusammengesteckt wurden. Als ich an dem Nachmittag glücklich in die Festversammlung hineingerate, kommen mir die Leute alle vor, als sei das alles gar nicht nötig. Flechtheim und Reiche hängen sich an die Schösse meines neuen Gehrocks und flüstern mir immer wieder ins Ohr: Nun, Herr Kandinsky, Herr Oberlehrer etc. Siehst Du, jetzt habe ich's schon zum Oberlehrer für diese Leute gebracht durch die ewige Belehrerei. Nur hatte ich nachher bei der grossen Rede schlacht (Reichstag zu Worms: Ich kann nicht anders ..... Leckt m .... alle a ... A ...) das Vergnügen, den Herrn Dr. Reiche bei seiner ›im Monokel‹ gehaltenen Rede über den ›Naturalismus‹, den jeder einmal durchgemacht haben müsste, an Japan und Griechenland zu erinnern (Vasen und Pinselzeichnung). Und der Flechtheim fragte mich vor versammeltem Publikum, warum das Weib von Campendonk so hässlich sei (im Ulk). Ich fragte ihn, warum er so hässlich sei, und die Situation war wiederum gerettet. Der ›grösste und modernste‹ Kölner Kunstsammler, Korsettfabrikant Herz, fragte, warum die Maler ihre Modelle aus der Kloake nähmen. Flechtheim ihm ins Ohr: »Sie Korsettfabrikant!«

Eine französische Steinplastik und ein Thorn-Prikker wurden verkauft. Die besten Kunstsammler vom Rhein waren sehr interessiert. Das Publikum ist über alle Maßen hinter uns Künstlern zurück in bezug auf Geruchsnerven für die schönen Blumen. Die ›Bande‹ muss erst eine Rose in Fetzen reissen, und dann kann man natürlich nicht mehr dran riechen. Was im Kandinskybuch und im Blauen Reiter steht, ist Herzblut, was in den Mägen der Menschen bestenfalls zu Blutwurst wird, die an einem Abend den flüchtigen Hunger stillt. Aber trotzdem werden wir nicht müde werden ........................ ......................... Landstrasse!

Und Euch lieben, guten Menschen dort allen ein recht gutes, mildes, warmes Feiertagsglück von Herzen zu wünschen


Euer August


Sag dem Kandinsky, ich habe von Moskau einen Brief und Statuten gekriegt, in dem immer böböböböaugustowitsch steht und er erteile die Auskunft. Der Bube![88]

Kannst Du Kandinsky sagen, er solle möglichst die Noten, die er da hat, schicken die als sehr neu in Betracht kommen.

Quelle:
Franz Marc, August Macke: Briefwechsel. Köln: DuMont, 1964., S. 87-89.
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