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[201] Unser uralter Wille, die trügerische Welt mit dem wahren Sein, dem ›Jenseits‹ zu vertauschen, kleidete früher dieses Jenseits künstlerisch in die Formen der sichtbaren Welt. Heute träumen wir nicht mehr eingeengt von den Dingen, sondern verneinen sie, da unser Wissen zu jenem Leben vorgedrungen ist, das sie verbergen.

Gott kam einst in einer Krippe ›zur Welt‹. Heute steht sie leer. Wir suchen die Formwerdung jenseits des heiligen Stalles in der visionären, in gesetzlichen Formen sichtbar gewordenen Natur.

Unser heute noch latentes Wissen wird sich morgen in formbildnerische Kraft wandeln.

Quelle:
Franz Marc: Schriften. Köln: DuMont, 1978, S. 201.
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