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[201] Unsre alte Empfindungswelt ist durch die Entwicklung unsres Weltwissens langsam abgebaut worden; unser dichterisches und malerisches Sehen ist gänzlich verändert. Was früher als ›Bildstoff‹ von unsrer Leidenschaft umfaßt wurde, löst sich uns in einfache Zahlenverhältnisse und Schwingungen auf. Wir bleiben bei ihm nicht stehen. Unsre Leidenschaft bricht sich nicht mehr sentimentalisch an den Dingen, sondern sucht ihren Ausweg, ihre ›Bändigung durch Form‹ in den tiefsinnigen Bildern, die die neuerfaßten Naturgesetze unserm erstaunten Auge zeigen.

Die Energielehre erregt unsre Lust zur Form mächtiger als eine Schlacht oder ein fließender Strom.

Quelle:
Franz Marc: Schriften. Köln: DuMont, 1978, S. 201.
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